Imke Hansen: "Nie wieder Auschwitz!". Die Entstehung eines Symbols und der Alltag einer Gedenkstätte 1945-1955, Göttingen: Wallstein 2015, 312 S., 50 Abb., ISBN 978-3-8353-1630-0, EUR 34,90
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Regina Fritz (Bearb.): Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933-1945. Band 15: Ungarn 1944-1945, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2021
Natalia Aleksiun / Hana Kubátová (eds.): Places, Spaces, and Voids in the Holocaust, Göttingen: Wallstein 2021
Gideon Greif / Itamar Levin: Aufstand in Auschwitz. Die Revolte des jüdischen "Sonderkommandos" am 7. Oktober 1944. Aus dem Hebräischen übersetzt von Beatrice Greif, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2015
Mariana Hausleitner: Eine Atmosphäre von Hoffnung und Zuversicht. Hilfe für verfolgte Juden in Rumänien, Transnistrien und Nordsiebenbürgen 1941-1944, Berlin: Lukas Verlag 2020
Karen Auerbach: The House at Ujazdowskie 16. Jewish Families in Warsaw after the Holocaust, Bloomington, IN: Indiana University Press 2013
Auschwitz gilt weltweit als Symbol für den industriell organisierten, deutschen Massenmord an den europäischen Juden. In Polen steht der Name Auschwitz jedoch zugleich für das Leid der Polen unter der deutschen Besatzung. Denn während im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau etwa eine Million Juden ermordet wurde, starben im Stammlager Auschwitz bis zu 150.000 nichtjüdische Polen. In Polen wurde Auschwitz bis 1989 vor allem als Ort des Leidens dieser Polen beschrieben. Seit Mitte der 1980er Jahre rief diese unterschiedliche Sichtweise einen immer offeneren Konflikt hervor, der sich vordergründig um Holzkreuze und ein Karmeliterinnenkloster am Lagergelände drehte. Im Kern ging es jedoch um religiös überformtes Gedenken an die polnischen Opfer des Lagers. In den 1990ern, nach der Demokratisierung und Öffnung Polens, prallten die polnische und die internationale Sichtweise auf das Symbol Auschwitz immer stärker aufeinander, was gar zu Handgreiflichkeiten zwischen nationalkatholischen Kreuzverteidigern und nicht minder aggressiven westlich-jüdischen Gruppen führte. Während diese Episode bereits ausführlich dokumentiert ist [1], führt die Studie Imke Hansens an den Ursprung dieser gegenläufigen Wahrnehmung des Ortes: Die Entstehung und Frühgeschichte der Gedenkstätte, die von ehemaligen Politischen Häftlingen aufgebaut wurde. Letztere macht Hansen als zentrale Akteursgruppe für Gründung, Gestaltung und Funktionieren der Gedenkstätte aus. Indem sie diese Gruppe in den Mittelpunkt ihrer Studie stellt, eröffnet sie neue und produktive Perspektiven auf die Geschichte der Gedenkstätte Auschwitz, wie überhaupt auf das Wirken von Gedenkstätten nicht nur in repressiven politischen Systemen.
Obwohl das Thema der Arbeit letztlich keine andere Verortung zulässt, ist Hansens kritische Haltung zu den Memory Studies und deren "inflationärer Nutzung" des Gedächtnisbegriffs (15) unübersehbar. Anstelle eines kommunikativen, kulturellen oder andersartigen Gedächtnisses untersucht Hansen daher Repräsentationen von Geschichte und deren Einbettung in verschiedene Narrative, was zweifellos als recht bodenständiger Ansatz gelten kann. Innovativ ist allerdings ihre Kombination dieser Herangehensweise mit einer akteurszentrierten Alltagsgeschichte der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau. Dadurch gelingt es ihr einerseits, die oftmals starke Fokussierung der Memory Studies auf Elitendiskurse und politische Instrumentalisierungen zu relativieren. Andererseits kann Hansen dadurch deutlich machen, dass Museumsführer, Mitarbeiter und Zeitzeugen beträchtlichen Einfluss auf die Repräsentationen von Geschichte und deren Einbettung in historische Narrative hatten.
Der chronologischen Darstellung des Buches ist ein einführendes Kapitel vorangestellt, das einen Überblick über die politische und gesellschaftliche Lage in Nachkriegspolen bietet sowie die geschichtspolitischen Akteure und die wiederkehrenden historischen Narrative vorstellt. Hier zeichnet Hansen zunächst die Machtübernahme der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PVAP), bzw. deren Vorgängerin, der Polnischen Arbeiterpartei, nach und geht ausführlich auf antisemitische Ausschreitungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit ein. Zu den geschichtspolitischen Akteuren zählt sie politische Parteien und Regierungsstellen ebenso wie Opfer- und Veteranenverbände sowie jüdische Institutionen. Zudem klassifiziert sie insgesamt sieben ausgewählte Narrative, die von kollektivem Heldentum über die deutsch-polnische Feindschaft und das Martyrium bis hin zur Rettung von Juden reichen. Diese hätten sich überlappt, seien teilweise nur schwer voneinander abzugrenzen und schließlich auch ideologisch nicht eindeutig zuordenbar. Deshalb versteht Hansen sie als "flexible Interpretationsangebote"(62) der damaligen Akteure.
In den folgenden vier Kapiteln betrachtet Hansen zunächst die Transformation des Lagers zur Gedenkstätte (1945-1947), die Debatten darüber, was Auschwitz "sein soll" (1947-1950), die Arbeit der Gedenkstätte im Stalinismus (1950-1953) und schließlich den "Abschied" von diesem in den Jahren 1954-1955. Hansen zeigt auf, wie ehemalige Politische Häftlinge aus eigener Initiative das eben befreite Lager in eine Gedenkstätte umwandelten und als Akteure vor Ort entscheidenden Einfluss auf deren Gestaltung ausübten. Im Herbst 1945 starteten die ersten Initiativen zur Umwandlung des Geländes in ein Museum, die zunächst vor allem mit praktischen Problemen zu kämpfen hatten: dem Kampf um knappe Ressourcen und der Abwehr der "Friedhofshyänen" - Grabräubern, die nach Zahngold und anderen Wertgegenständen der Ermordeten suchten. Unterstützung erfuhren die Aktivisten durch den Verband ehemaliger Politischer Häftlinge, aber auch durch ehemalige Häftlinge, die in Regierung, Politik und Gesellschaft einflussreiche Posten bekleideten, und schließlich aus der Bevölkerung. Waren die ersten Jahre der Gedenkstätte von Offenheit und Pluralität geprägt, so setzte die PVAP, wie Hansen aufzeigt, ab 1948 verstärkt ihren Machtanspruch bei deren Gestaltung und weltanschaulicher Einbettung durch. Dass sich die aktuellen politischen Zielsetzungen der Partei jedoch selbst häufig wandelten, habe ihre Durchsetzung ebenso erschwert wie die selbstbewusst auftretenden ehemaligen Häftlinge im Mitarbeiterstab des Museums. Der ausgeprägte Wille zur kleinteiligen Kontrolle der historischen Repräsentationen auf der einen und der Mangel an fachlich qualifizierten und ideologietreuen Kadern auf der anderen Seite habe daher zu einer aus Sicht der Partei unvollständigen Realisierung der kommunistischen Konzepte geführt. Wie Hansen ausführt, waren es die Museumsmitarbeiter vor Ort, die beispielsweise mit der Ausgestaltung von Führungen über die Gedenkstätte dafür sorgten, dass selbst in der Hochphase des Stalinismus noch eine gewisse Pluralität der Darstellung gewahrt werden konnte. Nach Stalins Tod und dem in Polen vergleichsweise früh einsetzenden Tauwetter habe auch die von staatlichen Stellen vorgegebene Darstellung der Geschichte des Lagers wieder verstärkt Anknüpfungspunkte zu nichtkommunistischen Narrativen geboten.
Insbesondere zeigt Hansen auf, wie die Erinnerung an die Ermordung etwa einer Million Juden in Auschwitz in den Debatten um das Museum und in der Ausstellung von Anfang an randständig blieb. Doch gelingt es ihr auch überzeugend zu erklären, dass dies keineswegs allein oder vorrangig aus antisemitischen Motiven erfolgte, sondern vielschichtige Ursachen hatte. Dazu zählt die Fokussierung der Mitarbeiter auf die eigene Erfahrung als Politische Häftlinge ebenso wie das Fehlen von jüdischen Akteuren vor Ort und die starke Fixierung jüdischer wie nicht jüdischer Narrative der deutschen Besatzung auf Widerstand und Kampf. Auch reagierten die Museumsmitarbeiter offen auf die Kritik von jüdischer Seite, denen sie daraufhin allerdings auch die Verantwortung für die Ausgestaltung der betreffenden Ausstellungsteile zuschoben. Fraglich bleibt, ob die jüdischen Akteure Auschwitz tatsächlich erst wegen dessen "Präsenz im gesellschaftlichen Diskurs in Polen 'entdeckten'" (288), wie die Autorin schreibt. Immerhin veröffentlichte Filip Friedman, Leiter der Zentralen Jüdischen Historischen Kommission in Polen, bereits im Frühherbst 1945 ein schmales Bändchen über das Lager [2], also noch bevor die Umwandlung des Lagers in die Gedenkstätte begonnen hatte. Insgesamt führt Hansen Leserinnen und Lesern vor, worauf die bis in die 1990er Jahre vorherrschende unterschiedliche Wahrnehmung des Symbols Auschwitz inner- und außerhalb Polens beruhten. Indem sie nachweist, dass neben Partei- und Regierungspolitikern auch die Museumsmitarbeiter direkten und prägenden Einfluss auf die durch das Museum verbreiteten Geschichtsbilder hatten, legt sie Schwächen bisher gängiger Konzepte zur Geschichtspolitik offen. Auch die gerade in der westlichen Literatur häufig perpetuierte Vorstellung über die - offenbar widerstandslos hingenommene - Instrumentalisierung der Geschichte im sowjetisch dominierten Block, relativiert Hansen überzeugend. Gerade deshalb wirken die vielfach eingefügten und sichtlich um Abgrenzung bemühten Bezüge zur Arbeit Jonathan Hueners [3] zwischen den ansonsten betont selbstbewusst vorgetragenen Thesen unnötig. Hansens Buch stellt sowohl in inhaltlicher wie auch in methodischer Hinsicht einen bedeutenden Forschungsbeitrag dar.
Anmerkungen:
[1] Geneviève Zubrycki: The Crosses of Auschwitz. Nationalism and Religion in Post-Communist Poland, Chicago / London 2006.
[2] Filip Friedman: To jest Oświęcim!, Warszawa 1945.
[3] Jonathan Huener: Auschwitz, Poland and the Politics of Commemoration, 1945-1979, Athens 2003.
Stephan Stach