Amina Elbendary: Crowds and Sultans. Urban Protest in Late Medieval Egypt, Kairo: American University in Cairo Press 2015, xiii + 276 S., ISBN 978-977-416-717-1, USD 49,95
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Amina Elbendary, die an der American University in Cairo arbeitet, hat hier eine sehr interessante Studie vorgelegt, bei der in erster Linie Formen des Protestes im urbanen Kontext des Mamlukenreiches während des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts untersucht werden sollen. Das stimmt so nicht ganz, denn eigentlich geht es um viel mehr, nämlich um eine sehr plausible Gesamtdeutung dieser Zeit, die sich ganz bewusst von der - sowohl in der Forschung wie auch im kollektiven Bewusstsein der Ägypter und Syrer - sehr beliebten Niedergangsnarration absetzt. (Kap. 1 "Introduction: The Long Fifteenth Century", 1-18) Verschiedene Ereignisse - etwa die verheerenden Pestwellen, die einen dramatischen Rückgang der Agrarproduktion und schwere Wirtschaftskrisen verursachten, die globalen ökonomischen und politischen Veränderungen, die u.a. zur Etablierung der Safaviden, Osmanen, Aq- und Qara-Qoyunlu führten, oder die durch einen akuten Mangel an Gold hervorgerufene Geldkrise - lösten in Ägypten (und Syrien) einen massiven Transformationsprozess aus. Davon betroffen war die gesamte Gesellschaft: die mamlukischen Institutionen, die ökonomischen Verhältnisse, die kulturellen Paradigma und die Beziehungen zwischen den Herrschern und der Bevölkerung. All dies erzeugte vor allem unter den Gelehrten das Gefühl, die früheren Zeiten, in denen die "eigentlichen" mamlukischen Prinzipien befolgt worden wären, seien besser gewesen. Die Umgestaltung der gesamten Lebenswelt bewirkte allerdings auch, so Elbendary, dass sich in zunehmendem Maße Personen, die nicht der Elite angehörten, öffentlich artikulierten, um gegen Ungerechtigkeiten zu protestieren. In den Kapiteln "The Mamluk State Transformed" (19-43) und "A Society in Flux" (45-69) beschreibt die Verfasserin, mit welchen Mitteln die Sultane versuchten, angesichts der monetären Engpässe neue Geldquellen zu erschließen. Ein bekanntes Beispiel ist die Errichtung eines Monopols auf alle Gewürze, die durch das Rote Meer transportiert wurden. Wie wir wissen, führte dies dann mittelfristig nicht nur dazu, dass die Karimi-Kaufleute ihre starke Position im Handel über den Indischen Ozean verloren, sondern auch dazu, dass man in Europa begann, sich Gedanken über alternative Routen zu den "Pfefferinseln" zu machen. Ämterverkauf und Korruption sorgten ebenso wie der Ankauf älterer Sklaven dafür, dass neue, unzureichend ausgebildete Gruppen zahlreiche Positionen innerhalb des mamlukischen Herrschaftssystems besetzten. Hinzu kamen der Zusammenbruch des iqtaʾ-Systems und durch den Verkauf staatlicher Ländereien das Aufkommen einer neuen Klasse von Landbesitzern. Beduinen, die offenbar weniger von der Pestepidemie betroffen waren, erweiterten ihren Macht- und Einflussbereich. Insgesamt ist zudem eine gewisse Islamisierung zu vermerken, zumindest scheinen sehr viele Kopten in dieser Zeit zum Islam konvertiert zu sein.
Diese ganzen Veränderungen beeinflussten nachhaltig auch den kulturellen Sektor. Andere Bevölkerungsschichten erlangten vermehrt Zugang zu Bildungsinstitutionen und partizipierten - neben den Religionsgelehrten - an der Produktion von Texten. (Kap. 4: "Popularization of Culture and the Burgeois Trend", 71-121). Es kam, wie vor allem Konrad Hirschler gezeigt hat, zu einer Veränderung und Popularisierung verschiedener Genres. [1] Neue literarische Formen entstanden sowohl in Prosatexten wie auch in der Dichtung. Sie erfreuten sich großer Beliebtheit, nicht zuletzt weil ihre Verfasser Umgangssprachliches aufnahmen. Es kam ferner zur Verschriftlichung von bis dahin mündlich überlieferten und vorgetragenen Stoffen. Vor allem die Historiker zeigten ein neues Interesse am Individuum und an dem Alltagsleben und thematisierten gesellschaftliche Missstände. Eine städtische Mittelklasse formierte sich im Laufe der Zeit, die diese neuartigen Textproduzenten finanziell unterstützte. Ich denke, man kann der Verfasserin beipflichten, wenn sie schreibt, dass wir es hier mit der allmählichen Herausbildung einer öffentlichen Meinung zu tun haben. Trotz der ganzen Möglichkeiten von sozialer Mobilität, die diese Transformationsepoche ermöglichte, dürfen wir, so Elbendary, nicht vergessen, dass die Grundstimmung der normalen Menschen Angst war, Angst vor Veränderungen, Angst vor neuen Katastrophen, Angst vor gewalttätigen Übergriffen und Angst vor wirtschaftlicher Not. Am besten drückt sich diese persönliche Unsicherheit in den Einträgen des detaillierten Tagebuchs aus, das uns der Damaszener Notar Ahmad Ibn Tawq (lebte 1443-1510) hinterlassen hat. [2]
Nun erst, in den letzten beiden Abschnitten ihres Buches, kommt Amina Elbendary auf das im Titel so prominent genannte Thema zu sprechen: "Between Riots and Negotiations: Popular Politics and Protest", 121-155 sowie "Protest and the Medieval Social Imagination", 157-201. Sie kann sehr schön zeigen, dass sich allgemeiner Unmut und Missbilligung der politischen und sozialen Verhältnisse im Verlaufe des 15. Jahrhunderts in mannigfaltigen Arten des Protestes artikulierte, der sich vor allem gegen allzu große Veränderungen des von alters her Gewohnten, gegen zu Sündenböcken deklarierte Gruppen (etwa die Kopten) und natürlich gegen die Vertreter der Herrschaftselite richtete. Letzten Endes betont Elbendary allerdings die konstruktiven Kräfte, die Konflikte eben auch freisetzen können: "As protests often resulted in negotiation and compromise, it allows us to see how the non-elite negotiated their position vis-à-vis their rulers - in essence, how they participated in politics. It thus brings a larger percentage of the population into the political narrative." (206)
Obgleich die Verfasserin am Ende ihrer Studie zu Recht darauf hinweist, dass wir aufgrund der problematischen Quellenlage in erster Linie städtische Verhältnisse beschreiben und die Majorität der Menschen Beduinen waren oder auf dem Land lebten, scheint mir ihr Narrativ, das auf einen Verfallsdiskurs verzichtet und stattdessen Transformationsprozesse in den Vordergrund stellt, für das Verständnis der zweiten Hälfte der Mamlukenzeit ein richtiger Ansatz zu sein. Und was die Geschichte der Randzonen und der rural geprägten Gegenden während der Mamlukenzeit angeht, so sind die Arbeiten, die Bethany Walker in den letzten Jahren vorgelegt hat, nicht nur vielversprechend, sondern bahnbrechend. [3]
Anmerkungen:
[1] Vgl. Konrad Hirschler: The written word in the medieval Arabic lands. A social and cultural history of reading practices, Edinburgh 2011 und ders.: Medieval Damascus: Plurality and Diversity in an Arabic Library. The Ashrafīya Library Catalogue, Edinburgh 2016.
[2] Siehe dazu jetzt Torsten Wollina: Zwanzig Jahre Alltag. Lebens-, Welt- und Selbstbild im Journal des Ahmad Ibn Tawq, Göttingen 2014.
[3] http://www.mamluk.uni-bonn.de/the-kolleg/organization/forschungsprofessur
Stephan Conermann