Heinrich Ammerer / Thomas Hellmuth / Christoph Kühberger (Hgg.): Subjektorientierte Geschichtsdidaktik, Schwalbach: Wochenschau-Verlag 2015, 367 S., ISBN 978-3-7344-0083-4, EUR 39,80
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Christoph Bramann / Christoph Kühberger / Roland Bernhard (Hgg.): Historisch Denken lernen mit Schulbüchern, Frankfurt/M.: Wochenschau-Verlag 2018
Thomas Hellmuth / Christine Ottner-Diesenberger / Alexander Preisinger (Hgg.): Was heißt subjektorientierte Geschichtsdidaktik? Beiträge zur Theorie, Empirie und Pragmatik, Frankfurt/M.: Wochenschau-Verlag 2021
Christoph Kühberger / Philipp Mittnik (Hgg.): Empirische Geschichtsschulbuchforschung in Österreich, Innsbruck: StudienVerlag 2015
Die drei Salzburger Geschichts- und Politikdidaktiker verfolgen als Herausgeber des zu besprechenden Bandes das Ziel, einen Beitrag zur Weiterentwicklung "der domänenspezifischen Kompetenzorientierung" zu leisten (6). Dabei soll der Ansatz der Subjektorientierung "die Schüler/-innen mit ihrem je individuellen historischen Orientierungsbedürfnis und persönlichen Lernvoraussetzungen in den Mittelpunkt der geschichtsdidaktischen Bemühungen stellen" (6).
Der Einleitung folgen das Auftaktkapitel von Christoph Kühberger, in dem das Konzept theoretisch eingeordnet wird, sowie der Beitrag von Magdalena Goser, Thomas Hellmuth und Dominik Maresch mit einem Bericht über erste empirische Annäherungen.
Unter den darauf folgenden zehn Beiträgen fällt derjenige von Bärbel Völkel durch fundamentale Kritik an derzeit zentralen geschichtsdidaktischen Kategorien und damit verbundenen Setzungen auf. Ihre These lautet, "dass sich in der Trias Geschichtsbewusstsein-Geschichtskultur-historische Identität ein kolonialer Blick verzeitlicht hat, der neorassistisches Denken tradiert" (87). Sie schlägt vor, darüber nachzudenken, wie eine "dialogische Geschichte" konzipiert sein könnte (87).
Bodo von Borries geht es in seinem Beitrag um den Zusammenhang von Subjektorientierung und Identitätsreflexion (93). Er argumentiert für eine Weiterung kognitiver Kompetenzen um "emotional-ästhetisch-imaginativ-triebdynamische Geschichtskompetenzen" (114).
Markus Bernhardt spricht sich für eine Re-Lecture des Ansatzes von Friedrich J. Lucas (1927-1974) aus. Als zentrale geschichtsdidaktische Aufgabe leitet er daraus eine am lernenden Subjekt zu begründende Auswahl von Themen in Abhängigkeit von deren "Bildungssinn" (Lucas) ab. Eine Leerstelle der Kompetenzdebatte trifft Bernhardt, wenn er die geschichtsdidaktische Professionalität in Gestalt der Themenfindung mit der zwingenden Kenntnis der "geschichtswissenschaftlichen Diskussion" (143) verbindet.
Ausgehend von der Genese des Diskurses um Subjektivität und Objektivität historischen Erzählens seit dem 15. Jahrhundert zieht Wolfgang Hasberg die Konsequenz, dass "Geschichten, die zur Orientierung oder Motivation herangezogen werden, [...] diese Standards [der Zugänglichkeit rationaler Kritik] nicht unterlaufen [dürfen], soll der in ihnen transportierte Sinn intersubjektiv vermittelbar bleiben" (158).
Einen anderen Zugriff wählt Peter Schulz-Hageleit, der den Subjektbezug auf Lehrpersonen und deren "grundsätzliche Haltung [...] sowohl zur Geschichte wie auch zu den Lernenden und zu sich selbst" (213) fokussiert und dabei aus einem "psychohistorischen" Hintergrund heraus argumentiert.
Mit den Ausführungen von Lisa Konrad und Carlos Kölbl beginnt der stärker an Empirie orientierte Teil des Bandes. Die Autoren legen am Beispiel einer qualitativen Untersuchung zum interkulturellen Lernen in einer Unterrichtsstunde (6. Klasse, Gymnasium) dar, weshalb die Einzelfallanalyse zu Erkenntnissen über lernende Subjekte führen kann.
Der Eichstätter Beitrag behandelt im Kontext der Kompetenzorientierung ein breites Themenspektrum: Cognitive Labs (Michael Werner und Waltraud Schreiber), historisches Lesen (Mathias Hirsch), historisches Denken im Grundschulalter (Stefanie Zabold) und in der Mittelschule (Annemarie Kraus), den Einsatz von Theaterarbeit bei der Kompetenzförderung (Katja Lehmann), das Zeitverständnis von Geschichtslehrer/innen (Marcus Ventzke) sowie kompetenzorientierte Museums- und Gedenkstättenarbeit (Annemarie Kraus, Katja Lehmann, Waltraud Schreiber, Stefanie Zabold, Tobias Arendt, Benjamin Bräuer, Benjamin Heinz). Waltraud Schreiber konstatiert in ihrer Zusammenfassung, dass derzeit nicht die "Theorieentwicklung hin zu mehr Subjektorientierung [...], sondern die Einforderung handfester Unterstützung für die Weiterführung einer praxisbezogenen Kompetenzforschung" vonnöten sei (266).
Diesem Anliegen entspricht die von Heinrich Ammerer und dem kanadischen Geschichtsdidaktiker Peter Seixas vorgestellte Herangehensweise. In einer qualitativen Studie (n = 40, je 20 kanadische und österreichische Schüler der Sekundarstufen I und II) wurde auf Basis semi-strukturierter Interviews die Ausprägung individuellen Geschichtsbewusstseins untersucht. Neuland betraten die Autoren in der Zusammenführung nordamerikanischer mit europäischer Theorie und deren Anwendung zur Entwicklung der Erhebungsinstrumente. Bei aller Begrenztheit der Aussagekraft eines kleinen Samples sind hier Ergebnisse erzielt worden, die zur Weiterarbeit anregen.
Bei Michele Barricelli und Lena Sebening kommt den (ebenfalls qualitativen) Daten die Funktion zu, eine theoretische Konzeption des interkulturellen Lernens an einem videographierten unterrichtlichen Fallbeispiel aufzuzeigen. Barricelli und Sebening schlagen eine der Einwanderungsgesellschaft Rechnung tragende neue Konnotation des Identitätskonzepts vor, das sich in der Begriffsbildung der "[g]emeinsam geteilten Erinnerung" manifestiert. Für den Geschichtsunterricht bedeute dies, einen "Beitrag zur Weltgemeinschaftsbildung" (329) zu leisten, indem "divided memories" zur Sprache gebracht werden, um im Unterricht "in Richtung einer transkulturellen Identitätskonstruktion [...] vorzustoßen, deren Rückgrat nunmehr shared memories sind" (330).
Im abschließenden Beitrag der Briten Peter Lee und Arthur Chapman geht es um die "Freiheit des Arguments" als demokratische Errungenschaft gerade im Fach Geschichte. Geschichtsunterricht wird hier als "manifestation of an open and democratic society, not an instrument for producing democracts" (360) verstanden.
Das Anliegen dieses Bandes entspricht der Tendenz des jüngeren geschichtsdidaktischen Diskurses, sich aus der Engführung der Kompetenzdebatte zu befreien. [1] Der originäre Fokus der Kompetenzorientierung auf das Lernergebnis steht allerdings auch im Zentrum der Subjektorientierung. In entsprechender Zurückhaltung möchte Mit-Herausgeber Christoph Kühberger seine "Annäherung" an das Konzept als "Diskussionsanregung" (41) verstanden wissen. Und dazu ist das Konzept der Salzburger tatsächlich geeignet, weil es in der Summe der Beiträge einen Einblick in die divergierenden Verhältnisbestimmungen der Kompetenzorientierung zur historischen Identitätsbildung unter den Vorzeichen von Globalisierung und Migration zur Sprache bringt. Auffällig wird in der Summe auch, dass der dafür nach wie vor als zentral betrachtete Begriff des Geschichtsbewusstseins, sowohl hinsichtlich seiner theoretischen Fundierung und Zielsetzung als auch hinsichtlich seiner Verwendung im Kompetenzdiskurs und der darauf bezogenen empirischen Forschung, Anlass für sehr unterschiedliche Vorschläge einer Neubestimmung bietet.
Anmerkung:
[1] Saskia Handro / Bernd Schönemann (Hgg.): Aus der Geschichte lernen? Weiße Flecken der Kompetenzdebatte, Berlin 2016. Vgl. auch den Themenschwerpunkt der Zeitschrift "geschichte für heute" 9 (2016), H. 3 unter dem Titel "Kompetenzen ohne Ende" mit Beiträgen von Peter Gautschi und Hans-Jürgen Pandel.
Nicola Brauch