Sylvette Guilbert / Jean-Michel Matz / Vincent Tabbagh (Hgg.): Fasti Ecclesiae Gallicanae. 14 Diocèse de Châlons-en-Champagne, Turnhout: Brepols 2015, X + 449 S., ISBN 978-2-503-55546-1, EUR 65,00
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Die Anzahl der Bände, die im Rahmen der Fasti Ecclesiae Gallicanae erscheinen, wächst beständig. Sie bilden das derzeit zuverlässigste und vollständigste Hilfsmittel bei der prosopographischen Erschließung von Bischöfen, Dignitären und Kanonikern im französischen Königreich in einem Zeitraum von 300 Jahren, genauer: von 1200 bis 1500. Der 14. Band der Serie liegt nun vor und ist der Diözese Châlons-en-Champagne (bis zur Umbenennung im Jahr 1995: Châlons-en-Marne) gewidmet. Die prosopographische Methode zeigt auch hier ihre Leistungsfähigkeit, gestattet sie doch die bessere Kenntnis mittelalterlicher Gesellschaften über den Blick auf Einzelpersonen bzw. Personengruppen.
Im vorliegenden Band werden 21 Bischöfe (zu denen ein Elekt und ein Administrator treten), ihre Generalvikare und Offiziale, die Dignitäre und die Mitglieder des Kapitels behandelt: insgesamt liegen Einträge zu 870 Personen vor.
Im Mittelalter orientierte man sich in der Diözese Châlons an den bischöflichen Zentren von Reims (dem Sitz des Metropoliten) im Norden und Troyes im Süden. Die östlichen Nachbarbistümer Verdun und Toul waren Teil des Imperiums, so dass Châlons nicht nur von den französischen Königen als "Grenzgebiet" begriffen wurde. Das Bistum war in vier Archidiakonate (Châlons, Perthois, Astenai, Vertus) und neun Dekanate gegliedert, die insgesamt rund 300 Pfarreien umfassten. Von den sieben großen Kollegiatskirchen waren fünf bereits vor dem Jahr 1200 gegründet worden. Das Bistum, entstanden wohl im ersten Drittel des vierten Jahrhunderts (der erste sichere Beleg für die Existenz eines Bischofs datiert freilich auf das Jahr 461), gehört somit zu den ältesten Frankreichs. Spätestens seit 1065 amtierte der geistliche Oberhirte gleichzeitig auch als seigneur der Stadt, als Graf von Châlons und einer der sechs geistlichen Pairs des Königreichs, dem bei der Königskrönung die Sorge um den Ring des Monarchen oblag. Das Bistum gehörte sicherlich nicht zu den allerreichsten der Christenheit, doch ein für das Jahr 1362 überlieferter Taxvermerk von 6000 livres deutet auf einigen Wohlstand hin.
Die Verwaltung der Diözese und die Rolle, die jeder Amtsträger darin spielte, waren klar geregelt. Seit Anfang des 13. Jahrhunderts ist ein vom Bischof ernannter Offizial nachweisbar, wobei die Herausgeberin davon ausgeht, dass sowohl der Bischof als auch der Erzdiakon über einen eigenen Offizial verfügten.
Das Kathedralkapitel, dessen Geschichte vor 1200 noch geschrieben werden muss, umfasste im späten Mittelalter zumindest theoretisch 40 Mitglieder. Zwei Mitgliederlisten von 1297 und 1309 sind überliefert, die allerdings nur die Namen von 36 Personen umfassen. Der "Fehlbestand" ist wohl darauf zurückzuführen, dass die Einkünfte einzelner Pfründen dem Unterhalt verschiedener Institutionen wie dem Hospital oder den Chorknaben dienten, also gleichsam "zweckentfremdet" wurden - ein Vorgehen, das in einigen Bistümern Deutschlands noch heute gepflegt wird. Das Kapitel gehörte zu den großen Grund- und Immobilienbesitzern sowohl in der Stadt als auch auf dem Land. 1362 wurde jede Pfründe mit 75 livres tournois taxiert, was den Kanonikern einen angemessenen Lebensstil ermöglicht haben dürfte. Das Kapitel bestimmte grundsätzlich selbst über die Aufnahme neuer Mitglieder. Das Expektanzenunwesen der avignonesischen Päpste ignorierte man beharrlich und vergleichsweise erfolgreich - die Inhaber solcher Expektanzen, die ihre Ansprüche nicht realisieren konnten, verfügen folgerichtig denn auch über keinen prosopographischen Eintrag im vorliegenden Band. Die Inhaber der vier Dignitäten - Dekanat, Thesaurarie, Kantorat, Subkantorat - konnten, mussten jedoch nicht zwangsläufig Mitglied des Kapitels sein. Die Verluste innerhalb des Kapitelsarchivs sind enorm. Lediglich zwei originale Register mit Sitzungsprotokollen sind für die Jahre 1367-1370 und 1404-1410 überliefert. Glücklicherweise wurden Mitte des 18. Jahrhunderts Abschriften der wichtigsten Dokumente angefertigt, die heute in sieben umfangreichen Bänden in den Archives départementales de la Marne (G 403) verwahrt werden.
In einer knappen, ausgesprochen lesenswerten "Notice institutionnelle" (3-24) führt die Bearbeiterin des Bandes in die Verwaltungsstruktur und institutionelle Gliederung des Bistums ein. Beschrieben werden auch die zwölf in Gravuren des 17. Jahrhunderts (Roger de Gaignières) dokumentierten und für den behandelten Zeitraum einschlägigen Bischofsgräber in der Kathedrale (25-42). Nach der Auflistung der Quellen und einer Bibliographie folgen die Personeneinträge, das eigentliche Herzstück der Arbeit, gegliedert nach Bischöfen, Dignitären, bepfründeten Kanonikern, Offizialen, Generalvikaren und unsicheren Fällen.
Indices kommt bei solcherart Publikationen ein ganz besonders hoher Stellenwert zu. Im vorliegenden Fall sind sie außerordentlich sorgfältig gearbeitet und umfassen Personen, die mittels eines Haupteintrags gewürdigt wurden (357-382), in Pfründenangelegenheiten erwähnte Diözesen (383-398), Pfründen der Diözese Châlons (399-402), Identifikationsnummern (403-414), Namen der unsicheren Personen (415-417) und der von einem Eintrag Ausgeschlossenen (417f.). Es schließen sich chronologisch geordnete Übersichten zu Bischöfen, Vikaren, Offizialen, Dignitären und den Kanonikern an.
Jeder Personeneintrag umfasst Angaben zur familiären Herkunft und Abstammung (1), zu Ausbildung bzw. Studium (2), zur Ämter- und Pfründenkarriere vor der Erhebung zum Bischof (3), zu den Umständen dieser Erhebung (4), zur pastoralen und administrativen Wirksamkeit innerhalb des Bistums (5), zu Tätigkeiten für Gesamtkirche bzw. Königreich während des Pontifikats (6), zum Transfer in ein anderes Bistum bzw. zur Kardinalskreation (7), zur Teilnahme am kulturellen und geistlichen Leben, zu eigenen Werken, zum Mäzenatentum (8), zu den Umständen des Todes bzw. dem Begräbnis (9), zu zeitgenössischen bildlichen Darstellungen (10) und zu Wappen, Siegeln, Devisen (11). Beschlossen wird jeder Eintrag von einer Bibliographie (Quellen, Literatur).
In Zeiten, in der in nahezu jeder Stellenbeschreibung innerhalb der Mediävistik Kompetenzen in digital humanities eingefordert werden, erscheint eine gedruckte Prosopographie wie die vorliegende seltsam aus der Zeit gefallen. Jeder weiß: die gedruckte Version spiegelt den aktuellen status quo der Kenntnisse über einen Bischof oder einen Kanoniker wider - Kenntnisse, auf die in der gedruckten (gleichsam autoritativen) Fassung sicher zurückgegriffen werden kann. Wünschenswert wäre es allerdings, diese "autoritative" Fassung durch eine für jeden Forscher zugängliche Datenbank zu ergänzen, in der neue Informationen eingetragen und verarbeitet werden können. Es dürfte dabei wohl nur in den allerseltensten Fällen geschehen, dass ein gedruckter Haupteintrag aufgrund überbordender Neufunde seinen Wert verliert. Substantielle Änderungen sind freilich bei denjenigen Fällen zu erwarten, wo Inhaber von Kanonikaten nicht sicher identifiziert werden können, weil in den maßgeblichen Quellen lediglich mit Abkürzungen oder einem wenig spezifischen "Petrus" oder "Guillermus" operiert worden ist.
Dem Unternehmen der Fasti Ecclesiae Gallicane ist weiterhin gutes Gelingen und ein rascher Publikationsrhythmus zu wünschen. Als Arbeitsinstrument bei der Erforschung der Gesellschaft Frankreichs im späten Mittelalter bleiben die Fasti unentbehrlich.
Ralf Lützelschwab