Antje Flüchter / Jivanta Schöttli (eds.): The Dynamics of Transculturality. Concepts and Institutions in Motion (= Transcultural research - Heidelberg studies on Asia and Europe in a global context), Cham [u.a.]: Springer 2015, IX + 277 S., ISBN 978-3-319-09739-8, EUR 106,99
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In dem Sammelband The Dynamics of Transculturality. Concepts and Institutions in Motion haben Antje Flüchter und Jivanta Schöttli als Herausgeber die Beiträge der Jahreskonferenz 2010 des Exzellenzclusters "Asien und Europa" zusammengestellt. Das interdisziplinäre, geisteswissenschaftliche Exzellenzcluster der Universität Heidelberg erforscht die vielschichtigen kulturellen Austauschprozesse innerhalb und zwischen Asien und Europa. Der Sammelband ist insgesamt in drei Teile unterteilt. Nach einem einleitenden Kapitel der Herausgeber umfasst der erste Teil unter dem Titel Conceptual Considerations die Beiträge der Keynote speaker der Konferenz, Sobhanlal Datta Gupta und Volkhard Krech. Die weiteren Beiträge sind in die Teile Politics and Dynamics of Transculturality sowie Religion and Dynamics of Transculturality gruppiert. Die Themenbereiche Politik und Religion wurden als wichtige Bestandteile der westlichen Narrative gewählt, die wesentliche Kennzeichen zur Verfügung stellen, mit denen Gesellschaften Entwicklungsstufen oder Zivilisationsstandards zugeschrieben werden. Als Beispiel nennen die Herausgeber das Konzept der Nationalstaaten.
In ihrem einleitenden Kapitel bemerken die Herausgeber, dass Ströme von Konzepten und Institutionen als Motor für Wandel und Entwicklung bisher nur im Kontext der europäischen Geschichte untersucht wurden. Im Laufe der letzten Jahrzehnte wurde diese Perspektive jedoch in Frage gestellt, da die Forschung inzwischen gezeigt hat, dass beispielsweise auch Renaissance oder Aufklärung nicht als isolierte europäische Entwicklungen zu sehen sind, vielmehr sind sie das Ergebnis eines Austauschs mit "nicht-europäischen" Gesellschaften. In den Beiträgen zum vorliegenden Sammelband sollen Transkulturalisationsprozesse daher nicht als bloßer Einfluss von einer Kultur auf die andere betrachtet werden, wie dies beispielweise in der Reiseliteratur zumeist der Fall ist, sondern als vielschichtige und vielfältige Prozesse der Beeinflussung, der Übertragung, Umlauf oder Zirkulierens von Konzepten und Institutionen. Dabei werden die Bewegungen als solche, aber auch die Konzepte bzw. Institutionen als "Gegenstände" des Austauschs sowie die an dem Austausch beteiligten Personen als Akteure in den Blick genommen. Auf diese Weise beschreiben die Autoren in ihren Beiträgen Mechanismen, mit denen Konzepte und Institutionen transkultureller Phänomene entstehen, geschaffen oder ausgehandelt werden. Gleichzeitig sollen aber auch Grenzen und Probleme, die in diesem Prozess aufkommen, aufgezeigt werden. Einen ausführlichen Überblick über grundlegende, allgemeine Ansätze, die zur Untersuchung des transkulturellen Austauschs im Bereich der Religionen von Bedeutung sind, gibt Volkhard Krech in seinem Beitrag. Die Ansätze, die er hier vorstellt, basieren auf den Forschungsgrundlagen des Käthe Hamburger Kollegs "Dynamiken der Religionsgeschichte", einem Forschungsprojekt innerhalb des Centrum für Religionswissenschaftliche Studien (CERES) der Ruhr-Universität Bochum. Bei dem Beitrag von Sobhanlal Datta Gupta handelt es sich hingegen um eine konkrete Fallstudie, die jedoch sehr umfassend angelegt ist. Datta Gupta untersucht in seinem Beitrag die Rezeption des Marxismus, einem Produkt der europäischen Aufklärung, in Indonesien, in der arabischen Welt (Syrien, Irak, Libanon), in Vietnam, China, Korea und Indien. Er beschreibt, auf welchem Weg der Marxismus nach Asien gelangt ist und welche Rolle bei der Rezeption des Marxismus der Islam insbesondere in der arabischen Welt gespielt hat sowie nationalistische Konzepte vor allem in Ostasien.
Der zweite Teil Politics and Dynamics of Transculturality beginnt mit einem Beitrag über die griechische Polis. Nicolas Zenzen zeigt, dass die griechische Polis keine autonome Entwicklung war, sondern sich die Entwicklung der Architektur der antiken Stadt vielmehr in einem engen Austausch zwischen der griechischen und phönizischen Welt vollzogen hat. Das lasse darauf schließen, dass es einen ebensolchen Austausch auch im Bereich der Politik gegeben haben muss. Mit dem nächsten Beitrag folgt ein Sprung über mehrere Jahrhunderte hinweg nach Ostasien. David Mervart stellt fest, dass sowohl die chinesische Sprache der Ming- oder Qing-Zeit (Mitte des 14. bis Anfang des 20. Jahrhunderts) wie auch die japanische Sprache der Tokugawa Ära (17. bis Mitte des 19. Jahrhunderts) über ein höchst komplexes konzeptionelles Vokabular für Moral, Staatskunst und politische Ökonomie verfügen. Dennoch, so Mervart, gibt es in diesen Sprachen keinen Begriff für "frei" im Zusammenhang mit Personen, Regierung oder Markt. Allerdings gibt es in diesen Sprachen komplementäre konzeptionelle Begriffspaare, denen ein hohes analytisches Potential in diesem Zusammenhang zukommt. So entspricht der Begriff fengjian im Chinesischen bzw. hōken im Japanischen in etwa einer Regierungsform, in der Mitglieder einer Art belehnten Aristokratie über weitestgehend unabhängige räumliche Einheiten herrschen, wenn auch unter der formalen moralischen und rituellen Autorität einer obersten Monarchie. Der jeweils komplementäre Begriff junxian im Chinesischen bzw. gunken im Japanischen beschreibt demgegenüber die Ausführung der Verwaltung provinzieller Einheiten unmittelbar im Namen der Zentralregierung. Das Beispiel der Dutch East India Company (VOC) führt Barend Noordam an, um zu zeigen dass, entgegen dem traditionellen Narrativ, geheimdienstliche Aufklärung bereits vor der Französischen Revolution eine Rolle gespielt haben könnte. Bei ihrem Versuch in den Jahren 1622-1624, sich neben den Portugiesen als Handelsmacht in China zu etablieren, scheiterte die Dutch East India Company letztendlich daran, dass es ihr nicht gelang, sich die geheimdienstlichen Informationsquellen für ihre Zwecke zunutze zu machen. In einer mediensoziologischen Studie untersucht Lion König, ob Sub-Kulturen und Minderheiten in Indien Zugang zu audio-visuellen Medien haben und zwar nicht nur als passive Rezipienten, sondern auch, ob sie sich aktiv an der Programmgestaltung beteiligen können, um so als "kulturelle Staatsbürger" (cultural citizenship) ihre Rechte einfordern zu können und ihr Gefühl der Zugehörigkeit zum Nationalstaat zu stärken. Die Rezeption in China von Gustave Le Bon's Werk La psychologie des foules ist das Thema von Mareike Ohlbergs Beitrag. Sie untersucht den Einfluss dieses Werks auf die Entwicklung des Konzepts der Volksmassen (crowds) in China im frühen 20. Jahrhundert, als die Qing-Dynastie, die seit 1644 in China herrschte, gestürzt und die Republik China (1912-1949) etabliert wurde.
Weniger breit gefächert als das Themenspektrum des zweiten Teils ist das Themenspektrum des dritten Teils, Religion and Dynamics of Transculturality. Die Beiträge in diesem Teil beziehen sich alle auf materielle Artefakte, die in Zusammenhang mit religiösen Konzepten oder Institutionen stehen, zum einen in Form von bildlichen Darstellungen von Göttern, zum anderen in Form einer Miniaturmalerei. Svenja Nagel veranschaulicht am Beispiel der bildlichen Darstellungen der ägyptischen Göttin Isis in griechisch-römischen Kontexten, dass einerseits Objekte als solche transferiert werden können, zum anderen mit diesen Objekten aber auch (religiöse) Konzepte. Werden Objekte als solche transferiert, so lassen sich in einem neuen kulturellen Kontext dann aber auch neue Konzepte hineinlesen, wenn sie mit dem Vokabular einer anderen Sprache entziffert werden. Auch Joachim Friedrich Quack befasst sich in seinem Beitrag mit dem Austausch von bildlichen Götterdarstellungen. Er interpretiert den Austausch von Göttern zwischen Ägypten und seinen Nachbarn als eine frühe Form der Globalisierung. Eine Miniaturmalerei mit dem Titel "Kloster" ist Untersuchungsgegenstand von Nicoletta Fazios Beitrag. Die Malerei ist Teil eines Persischen Albums, das im Topkapı Sarayı Müzesi in Istanbul aufbewahrt wird. Sie wird in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts datiert und stammt möglicherweise aus Tabriz oder Samarkand. Darstellungen aus der christlichen Tradition kennzeichnen das Kloster als ein christliches. Insgesamt hat der Künstler jedoch in seiner Miniatur Motive verschiedener religiöser und sozio-kultureller Sphären miteinander kombiniert. Über den Künstler wie auch über seinen Auftraggeber ist kaum etwas bekannt. Fazio nimmt jedoch an, dass der Auftraggeber bzw. Patron des Künstlers im Umfeld der (christlichen) dhimmis in Zentralasien zu suchen ist, also nicht-muslimischen Untertanen, die unter muslimischer Herrschaft leben. Auch wenn unklar bleibt, nach welchen Vorlagen und in welcher Absicht der Künstler die Motive miteinander kombiniert hat, so spiegelt seine Miniaturmalerei in jedem Fall das Zusammentreffen der verschiedenen Kulturen entlang der Seidenstraße wider. Gerade in dieser Region dürfte es schwierig sein, in den künstlerischen Werken, religiösen Konzepten oder politischen Institutionen Beispiele zu finden, die sich eindeutig einer einzigen Kultur zuordnen lassen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sie alle in irgendeiner Form vom Austausch verschiedener Kulturen geprägt sind. Themen zu Dynamiken der Transkulturalität ergeben sich hier praktisch von selbst. Demgegenüber wird besonders aus den Beiträgen des Themenbereichs Politik, vor allem jenen Beiträgen, die sich mit der Neueren und Neuesten Geschichte befassen, deutlich, dass in diesen Bereichen letztendlich immer noch die westliche Welt mit ihren Konzepten und Institutionen als Motor für Wandel und Entwicklung wahrgenommen wird. Ausnahmen stellen die Beiträge von Zenzen und Mervart dar. So macht Zenzen in seinem Beitrag deutlich, dass bereits das antike Griechenland, das im Allgemeinen als die Wiege der europäischen Zivilisation angesehen wird, nicht ohne einen transkulturellen Austausch mit den Phöniziern denkbar ist. Mervart nennt die konzeptuellen Begriffe in der chinesischen und in der japanischen Sprache zwar eine Alternative zur aristotelischen Typologie von Regierungsformen in Europa. Dennoch gelingt es ihm, diese Begriffe zu analysieren, ohne sie an der Begrifflichkeit der europäischen politischen Theorien zu messen. Es mag an Quellen fehlen, die Konzepte und Institutionen in anderen Regionen der Welt aus einer anderen Perspektive beschreiben, oder aber vorhandene Quellen sind noch nicht entsprechend ausgewertet. Ein weiteres Problem in diesem Zusammenhang stellt möglicherweise die Vielfalt der Sprachen dar, in der die entsprechenden Quellen abgefasst sind. Gerade aber im Bereich der Politik und der Neuzeit scheint die Beschreibung der Dynamik der Transkulturalität als ein multilateraler, nicht in Europa zentrierter Prozess, noch an ihrem Anfang zu stehen.
Insgesamt ist es den Herausgebern gelungen, in dem begrenzten Umfang dieses Sammelbandes eine vergleichsweise große Bandbreite an unterschiedlichen Ansätzen und interessanten Themen aus verschiedenen Regionen und Epochen vorzustellen. Vor allem ein solch umfassend angelegtes Thema wie die Rezeption des Marxismus in Asien kann hier jedoch lediglich in Grundzügen angerissen werden, auch wenn dieser Beitrag, im Gegensatz zu anderen Beiträgen des Sammelbandes, auf ausführliche Anmerkungen in Fußnoten und Bibliografien verzichtet.
Jutta Wintermann