Antje Flüchter / Susan Richter (eds.): Structures on the Move. Technologies of Governance in Transcultural Encounter (= Transcultural research - Heidelberg studies on Asia and Europe in a global context), Heidelberg: Springer-Verlag 2012, VIII + 285 S., ISBN 978-3-642-19287-6, EUR 223,63
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Antje Flüchter: Der Zölibat zwischen Devianz und Norm. Kirchenpolitik und Gemeindealltag in den Herzogtümern Jülich und Berg im 16. und 17. Jahrhundert, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2006
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Der Sammelband setzt transkulturelle Aspekte des Austauschs und der Entstehung von technologies of governance in den Fokus und verbindet dabei die Gebiete migrating ideas und cultural transfer. Es ist ein besonderes Anliegen der Herausgeberinnen, theoretische und methodische Grundlagen für die zukünftige Auseinandersetzung mit Transkulturalität und (Wissens)transfer zu schaffen.
Der erste Teil des Bandes kann, gemeinsam mit der Einleitung, als konzeptionelle Einführung in das Vorhaben verstanden werden. In ihrem einleitenden Beitrag erörtert Flüchter die theoretische Ausrichtung. Sie stellt fest, dass Konzepte und Terminologien zur Erforschung von Herrschaft aus der Betrachtung und der Perspektive des (im besten Falle erweiterten) Westens entstanden seien. Eine Folge sei die Setzung 'westlicher' Herrschaftscharakteristika als Ideal. Dagegen würden Konzepte, die in anderen Weltgegenden entstanden sind, negativ über das Fehlen ebendieser Charakteristika definiert und damit abgewertet. Auf einer solchen theoretischen Basis könne kein echter transkultureller Vergleich zustande kommen; dieser Befund darf auch für andere Forschungsfelder als Mahnung und Anstoß gelten. Als Ausweg wird eine kritische Revision 'belasteter' Termini vorgeschlagen. Die Autorin exerziert dies exemplarisch an den Begriffen state und Staat durch und plädiert schließlich dafür, den Begriff Staat durch eine Entschlackung von seiner modernen westlichen Prägung für den transkulturellen Vergleich nutzbar zu machen. Gerade für einen transkulturellen Vergleich ist eine konsistent anwendbare Terminologie sehr wünschenswert. Trotzdem muss die Frage gestellt werden, ob 'belastete' Termini, die in mancher Disziplin schon zum Unwort gestempelt wurden, wieder in den Forschungsdiskurs eingeführt werden können. Letztlich bleibt auch im transkulturellen Vergleich nur der Weg, aus einer konzeptionell neutralen Perspektive den Einzelfall zu betrachten, um im nächsten Schritt übergeordnete Begriffe für den Vergleich zu finden. Diesen Weg beschreitet auch der vorliegende Sammelband, der sich nicht der Verwendung von enger gefassten Begriffen wie empire enthält. Den Schritt zur Entwicklung einer übergeordneten Terminologie geht der Band nicht. Sein Verdienst ist zunächst eine Schärfung des Bewusstseins für die beschriebene Problematik.
Die Beiträge des ersten Teils vertiefen die theoretische Sicht. Brakensiek beschränkt seinen Überblick bewusst auf das Europa der Frühmoderne und betont den Nutzen akteursorientierter Ansätze für die Erforschung von Staatskonzepten, auch über den europäischen Kontext hinaus. Am Beispiel der Untersuchung von Kommunikationsformen zwischen Autoritäten und Bevölkerung zeigt er, dass frühmoderne europäische Staatsformern nicht ein Produkt herrscherlichen Willens, sondern vielmehr einer großen Anzahl von (Kommunikations)praxen war, die Einzel- oder Gemeinschaftsinteressen in politische Entscheidungen überführten. Damit zieht der Autor ein Fazit, das weitere Beiträge an Beispielen aus dem asiatischen und europäischen Kontext bestätigen. Stollberg-Rillinger betrachtet die Entwicklung transkulturell arbeitender cultural studies. Sie interpretiert den cultural turn als Perspektivwechsel, der den Blick der Forschung auf die Prozesshaftigkeit und Fluidität von unter dem Überbegriff "Kultur" zusammengefassten Phänomenen gelenkt und damit neue Zugänge eröffnet habe. Sie bricht somit eine Lanze für historische Forschung mit dem Blick eines Ethnologen. Der zweite Teil des Bandes wendet sich dem Austausch und der transkulturellen Entwicklung von Wissen zu. Er enthält fünf Fallstudien, deren drei sich mit China, zwei weitere mit dem Mogulreich befassen. Richter untersucht die Genese eines China-Bildes als Idealtyp der guten Herrschaft im Europa des 19. Jahrhunderts. Interessanterweise stellt sie fest, dass dabei eine Strategie genutzt wurde, die Flüchter in ihrer Einleitung als Problem moderner transkultureller Forschung benannt hat: Um die eigene Herrschaftsform mit der idealisierten chinesischen vergleichbar zu machen, wendeten Autoren europäische Strukturmerkmale und Termini zur Beschreibung Chinas an. Dem China des frühen 20. Jahrhunderts wendet sich Schillinger zu, der die Entwicklung von Bevölkerungsstatistik und ihren Zusammenhang mit der Ausrichtung chinesischer Politik untersucht. Der Beitrag zeichnet die Verflechtung von chinesischen und westlichen Techniken nach. Auch hier wird die Einwirkung von Akteuren aus allen Bevölkerungsschichten betont; insofern schließt das Fazit an den Beitrag Brakensieks an. Der Beitrag Mühlemanns zeigt im Unterschied dazu, dass nicht jeder Versuch transkulturellen Austauschs auch fruchtbar enden muss. Die beiden Beiträge zum Mogulreich nähern sich einer ähnlichen Fragestellung von zwei Seiten an: Lefèvre fragt nach der Rezeption von Informationen über Europa im Mogulreich sowie nach dem von Europäern oder indischen cultural brokers gelieferten Informationsbestand. Indem sie im zweiten Teil ihres Beitrags die Übernahme merkantilistischer Strategien aus dem Safavidenreich thematisiert, schlägt sie bereits eine Brücke zu Teil drei des Bandes. Richter dagegen untersucht den Wandel europäischer Wahrnehmung und Beurteilung des Mogulreiches. Sie zeigt, wie sich ein positives Bild, das besonders die administrative Gestalt und Effizienz des Mogulreiches bewunderte, im Laufe des 18. Jahrhunderts zur negativen Beurteilung einer 'asiatischen Despotie' gewandelt hat. Dieser Wandel wird mit der Entwicklung europäischer Herrschaftsideale begründet, die auch in anderen Fallbeispielen als ursächlich für eine zunehmend negative Beurteilung asiatischer Herrschaften angeführt werden.
Der letzte Teil des Bandes ist der transkulturellen Interaktion gewidmet. Es werden Beispiele aus den Bereichen Militär, Diplomatie und Administration betrachtet. Die fünf in diesem Teil versammelten Beiträge befassen sich mit Austauschprozessen zwischen Europa und China, Indien sowie dem Osmanischen Reich. Ein abschließender Beitrag von Weiler resümiert in einem weiteren Blick die diplomatischen Verflechtungen sowohl innerhalb Europas als auch zwischen Europa und Asien. Meurer zeigt anhand der Genese britischer Herrschaft in Bengalen ähnliche Phänomene wie Palasher sie an der französischen Präsenz in Pondicherry beobachtet: In beiden Fällen lässt sich nachweisen, dass der Aufbau der europäischen Herrschaft sich wiederum durch prozessualen Charakter und die Interaktion verschiedenster Gruppen und Konzepte auszeichnete. Eine interessante Variante transkultureller Interaktion untersucht Linnemann. Sie zeigt am Beispiel der europäischen Gesandten am osmanischen Hof, dass durchaus auch 'exterritoriale' Schauplätze für die innereuropäische Auseinandersetzung um Stellung und Rang genutzt wurden. Hier wird noch einmal deutlich, dass wie Brakensiek es anfangs feststellte, bereits die Interaktionen zwischen den europäischen Staaten der Vormoderne zumindest teilweise als transkulturelle Prozesse betrachtet werden können.
Der Band überzeugt durch eine wohlüberlegte konzeptuelle Ausrichtung und durchweg überzeugende Fallstudien. Eine abschließende Zusammenführung der Erträge aus den Fallbeispielen hätte die Wirkung der theoretischen Überlegungen noch stärker machen können. Aber auch ohne diese bietet der Band auch fünf Jahre nach Erscheinen neue Anstöße für transkulturelle Forschung auch außerhalb der hier betrachteten Themengebiete. Eine weitere Entwicklung des Feldes in die in diesem Band angestoßene Denkrichtung ist mehr als wünschenswert.
Anna Kollatz