Regina Schleuning: Hof, Macht, Geschlecht. Handlungsspielräume adeliger Amtsträgerinnen am Hof Ludwigs XIV. (= Freunde - Gönner - Getreue. Studien zur Semantik und Praxis von Freundschaft und Patronage; Bd. 11), Göttingen: V&R unipress 2016, 393 S., ISBN 978-3-8471-0529-9, EUR 55,00
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Ludwig XIV., bekannt als Sonnenkönig, ist wohl eine der bekanntesten und schillerndsten Figuren der (französischen) Geschichte. Kein historisches Schulbuch geht an ihm und seinem Hof in Versailles vorbei - gilt dieser doch als pompöses Sinnbild absolutistischer Großmachtambitionen. Auch die historische Forschung schenkte dem Hof vergleichsweise große Aufmerksamkeit, war aber lange Zeit gefangen in der Auseinandersetzung mit den Thesen von Norbert Elias, der den französischen Adel vom König am Hof domestiziert und seiner Selbstständigkeit beraubt sah. Die jüngere Forschung brachte dieses Bild fundiert ins Wanken und erkennt im französischen Hofzeremoniell ein Instrument, das den Zugang zum König sicherte und sozial begrenzte. [1] Horowski legte schließlich eine exzellente, monumentale (prosopografische) Vermessung des französischen Hofes von 1661 bis 1789 vor und zeigte quellengesättigt in feinen Linien auf, dass und wie die Inhaber obersten Hofchargen aus ihrer Nähe zum König soziales Kapital schlugen und generationsübergreifend Machtfülle generierten. [2]
Regina Schleuning zielt mit ihrer 2015 publizierten Promotionsstudie in die gleiche Richtung, fragt jedoch konkret nach Handlungsspielräumen von Frauen am Hof Ludwigs XIV. Dass am frühneuzeitlichen Hof Einfluss und Macht nicht allein in Männerhand lagen, sondern auch von Fürstinnen, Frauen der Herrscherfamilie, Mätressen und höfischen Amtsträgerinnen in unterschiedlichem Grade ausgeübt wurden, gilt mittlerweile als Konsens. [3] Für Frankreich sieht Schleuning jedoch noch die "Leerstelle einer systematischen Analyse des Hofes aus gendergeschichtlicher Perspektive" (18). Ihre Untersuchung adliger Amtsträgerinnen soll diese Lücke füllen. Fürstinnen werden nicht einbezogen, und auch die größte weibliche Gruppe des Hofes - die nichtadligen Frauen in niederen Positionen - bleibt ausgeschlossen. Das ist so gewollt (12, 88), da das Interesse nur jenen Frauen gilt, die als Hofbedienstete in unmittelbarer Nähe zum König wirkten und damit am "höfischen Konkurrenzkampf um Chargen, Pensionen und Gunsterweise" teilnehmen konnten (14). Der Fokus beschränkt sich somit auf den Adel, der in Frankreich - wie an anderen zeitgenössischen Höfen - für hohe Ämter vorausgesetzt wurde.
In vier recht unterschiedlich gewichteten Großkapiteln führt Schleuning ihre Leserschaft nach einer konzisen Einleitung zunächst in die Geschichte und Strukturen des französischen Königshofes ein (Kap. II.), verortet darin die Position adliger Frauen am Hof (Kap. III.) und präsentiert sodann mit der Analyse von Zugangsbedingungen, Vor- und Nachteilen des Hofdienstes, Aufgaben, Amtsdauer, Karrieren und Dienstenden (Kap. IV.) sowie einer Analyse der Korrelation von Geschlecht und Hofleben (Kap. V.) die beiden Kernstücke ihrer Studie. Mit einer reflektierten Rezeption der breiten Forschung und einer soliden Quellenanalyse kommt sie zu dem Schluss, dass sich in dem stark kompetitiven Kampf um die wenigen weiblichen Hofstellen vornehmlich verheiratete französische Katholikinnen aus verdienstreichen, hofnahen Schwertadelfamilien (noblesse d'epée) im Alter von 35 bis 45 Jahren durchsetzten (349). Ausländerinnen, die im Gefolge frisch vermählter Prinzessinnen nach Frankreich gekommen waren, wurden umgehend zurückgeschickt. Ludwig XIV. trieb damit die schon unter Heinrich II. begonnene Nationalisierung des Hofdienstes auf die Spitze (110-113).
Ähnlich bemerkenswert ist der Ehestand, der als französische Eigenheit gelten kann. Allein die filles d'honneur mussten hier ledig sein (197). Andere Höfe der Zeit zogen es dagegen vor, vornehmlich unverheiratete oder verwitwete Damen zu verpflichten, um über deren Zeit voll verfügen zu können, ohne auf Ehemänner und Kinder Rücksicht nehmen zu müssen. Auch der französische Hof erwartete offenbar stete Anwesenheit. Die Damen mussten und durften ihren Herrinnen überallhin folgen und im Alltag wie bei Festen begleiten. Schleuning interpretiert diese beständige Präsenz der Amtsträgerinnen im Gefolge der Fürstinnen als Vorteil mit Blick auf Macht und Einflusschancen. Offen lässt sie jedoch, wie sich dies auf das Familienleben der Amtsträgerinnen auswirkte, die in großer Zahl mit Männern verheiratet waren, die ebenfalls in den Diensten der Königsfamilie standen. Man hätte sich hier eine weitergreifende Interpretation hinsichtlich weiblicher Rollenbilder und Handlungsspielräume gewünscht. Führten die Ehepaare einen eigenen Haushalt innerhalb des Hofes? Wie wirkte sich die stete Präsenzpflicht auf Schwangerschaft, Mutterschaft sowie Ehe- und Familienleben aus? Welche Konflikte kamen auf und wie wurden diese gelöst?
Dass die verheirateten Damen Kinder bekamen und diese zum wichtigen Spielstein höfischer Machtpolitik wurden, zeigt Schleuning in der Analyse der sozialen Nahbeziehungen und Netzwerke. Adlige Amtsträgerinnen beschützten, bewahrten und förderten aktiv ihre Familienmitglieder, setzten dafür ihre eigenen Meriten ein und verschafften so ihrer Familie Vorteile. Es gelang ihnen, in Streitfällen zu vermitteln, brisante Informationen geheim zu halten, Zugang zu zentralen Entscheidungsträgern zu eröffnen, unliebsame Konkurrenten entfernen zu lassen und die Ämtervergabe zu beeinflussen. Kinder profitierten zum Beispiel, wenn es die Verdienste von Amtsträgerinnen zu würdigen galt und dafür Pensionen oder (Hof)Ämter an den Nachwuchs als Belohnung vergeben wurden (286). Das Geschlecht spielte dabei keine Rolle, Privilegien erhielten Töchter wie Söhne. Die Etablierung einer noblesse de service am Hof gelang wohl auch deshalb. Entfernte Verwandte wurden nur bei Kinderlosigkeit begünstigt und zuweilen als Konkurrenten geschasst. Beim Ehrverlust kam diese Familienlogik ähnlich zum Tragen.
Grundsätzlich erwiesen sich adlige Amtsträgerinnen in vielfältigen Rollen als "wichtige Kooperationspartner" für ihr "soziales Umfeld" (352). Das Geschlecht war dabei nicht immer relevant: In symmetrischen Beziehungen zwischen Verwandten und Freunden waren Stand, (höfischer) Rang und Gunst wichtiger. In asymmetrischen, "mit Machtgefälle verbundenen" Beziehungen bevorzugten Herrinnen das eigene Geschlecht und wählten meist Frauen zu Vertrauten oder Favoritinnen (353). Die gleiche Beziehung zwischen Mann und Frau implizierte in der Regel ein sexuelles Verhältnis. Beide Beziehungsarten pflegte die maîtresse du roi und erlangte dadurch einen Status, der den Frauen der Königsfamilie gleich kam (347).
Die gut lesbare Studie beansprucht, einen "erheblichen Beitrag zur Politik-, Sozial- und Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit" zu leisten (16), und für die Erforschung des französischen Hofes liefert sie auch fraglos ein wichtiges Puzzlestück. Es wird klar, dass die kleine Gruppe adliger Amtsträgerinnen unter Ludwig XIV. als zentrale Akteurinnen am Hof fungierten und einen bedeutenden Teil jener Macht auf sich vereinten, die dort durch königliche Gunst generiert wurde. Schleuning greift dazu in weiten Teilen gekonnt auf die bestehende Forschung zurück und ergänzt diese um eine detaillierte Beschreibung des Bedingungsgefüges weiblicher Hofämter sowie um die Erkenntnis, dass Geschlecht am Hof vor allem in machtungleichen Beziehungen zum Tragen kam. Das ist aufschlussreich und wirft neue Fragen auf, zum Beispiel inwieweit dies nur für Adlige galt oder auch für die große Gruppe der Frauen in nichtadligen subalternen Hofstellen. Der Weg für komparative intra- und interhöfische Studien scheint damit geebnet. Ein Personen- und ein Sachregister runden das Buch ab.
Anmerkungen:
[1] Vgl. z.B. Jeroen Duindam: Vienna and Versailles. The courts of Europe's dynastic rivals, 1550-1780, Cambridge / New York 2003.
[2] Leonhard Horowski: Die Belagerung des Thrones. Machtstrukturen und Karrieremechanismen am Hof von Frankreich 1661-1789, Ostfildern 2012. Die Dissertation wurde bereits 2003 an der TU Berlin eingereicht.
[3] Heinz Duchhardt / Matthias Schnettger: Barock und Aufklärung, 5. neu bearbeitete und erweiterte Auflage, München 2015, 192.
Stefanie Freyer