Martin Wroblewski: Moralische Eroberungen als Instrumente der Diplomatie. Die Informations- und Pressepolitik des Auswärtigen Amts 1902-1914 (= Internationale Beziehungen. Theorie und Geschichte; Bd. 12), Göttingen: V&R unipress 2016, 341 S., ISBN 978-3-8471-0569-5, EUR 50,00
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E-Mail, SMS, Twitter, What's app - immer rascher entwickelt sich die Technik der modernen Kommunikation. In ihrer Tragweite vergleichbar scheint die jüngste Revolutionierung der Nachrichtenübertragung wohl nur mit der Erfindung der Buchdruckkunst im 16. bzw. dem Aufstieg der Massenpresse an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Ob der damalige Bedeutungszuwachs der sogenannten veröffentlichten Meinung für die inneren und äußeren Angelegenheiten der Staaten mit heutigen Prozessen korreliert, wird die Zukunft zeigen müssen.
Dass die Presse die internationalen Beziehungen seit Beginn des Hochimperialismus massiv zu beeinflussen verstand, ist von der Geschichtswissenschaft seit langem nachgewiesen. Wie aber das Deutsche Reich die Medien für seine Außenpolitik einzuspannen versuchte, hat die Forschung zwar intensiv für die Ära Bismarck [1], kaum indes für die Wilhelminische Epoche untersucht. [2] Umso interessierter greift der Leser daher zu der in mancherlei Hinsicht Neuland betretenden Studie von Martin Wroblewski über die Informations- und Pressepolitik des Auswärtigen Amts zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Dem Autor geht es darin nicht um eine deskriptive Schilderung an der Zeitschiene entlang, sondern um eine "systematische Darstellung" des Themas im Zeitraum von 1902 bis 1914. Auf der Basis intensiver Forschungen im Politischen Archiv des Amts erörtert er sowohl "strukturell-organisatorische" als auch "politische" und "ideelle Faktoren" (17) der medialen Bestrebungen der Reichsregierung, analysiert ihre Zielsetzungen und fragt nach den Erfolgen ihrer Beeinflussung der ausländischen Öffentlichkeiten.
Die Eckdaten sind mit Bedacht gewählt. Mit einem Runderlass an die Auslandsmissionen verordnete Reichskanzler Bernhard von Bülow der deutschen Pressepolitik 1902 den Auftrag, durch eine "systematische Öffentlichkeitsarbeit im Ausland [...] ein deutschfreundliches Klima zu schaffen" (11). Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 musste sein Nachfolger Theobald von Bethmann Hollweg sich eingestehen, dass die "medial unterstützte deutsche 'Weltpolitik'" gescheitert war (54).
Zu Beginn der von Wroblewski ausgeleuchteten Epoche ging es dem Auswärtigen Amt neben der klassischen Pressepolitik um die Kontrolle in- und ausländischer Kommunikationskanäle durch eine Zusammenarbeit zwischen deutschen und ausländischen Telegrafenagenturen. Kurz vor der Jahrhundertwende hatte Bülow als Staatssekretär mit seinem Kollegen Victor von Podbielski den Aufbau eines weltumspannenden deutschen Kabelnetzes entwickelt, das es dem Reich ermöglichen sollte, verbündete Telegrammagenturen zu fördern und die globalen Nachrichtenkanäle zu kontrollieren. Eine exponierte Rolle spielten in Bülows Überlegungen das "Wolff'sche Telegraphenbüro" (WTB) und die Informationsdienste des Berliner Journalisten Ludwig Asch. Sein Ziel einer flächendeckenden Informationspolitik im Ausland mittels befreundeter Agenturen sollte das Auswärtige Amt jedoch verfehlen. Während das WTB nicht bereit war, sein Nachrichtenkartell mit den Agenturen Havas und Reuters zu opfern, agierte das "System Asch" zu "schwerfällig" (91).
Im weiteren Verlauf der Studie lenkt der Autor den Blick von der Zentrale in der Wilhelmstraße auf die deutschen Vertretungen im Ausland. Seine Entscheidung, diese zweite Säule der Informations- und Pressepolitik des Auswärtigen Amts geographisch nach europäischen (Russland und Österreich-Ungarn) bzw. außereuropäischen Missionen (USA, Südamerika, Ostasien und Osmanisches Reich [!]) zu teilen, erscheint ob der unterschiedlichen Rahmenbedingungen durch die verschiedenen Staatsformen nicht unproblematisch. In Bezug auf die USA konstatiert Wroblewski ein durch die politischen Gegensätze zum Deutschen Reich vorprogrammiertes "weitestgehende[s] Scheitern der Beeinflussung der US-Öffentlichkeit" (135). Auch in Südamerika trugen die informationspolitischen Bemühungen der deutschen Diplomaten kaum Früchte, weil sie sich nicht gegen die Dominanz der französischen und englischen Nachrichtenagenturen durchsetzen konnten. Erfolgreich gestaltete sich hingegen die Öffentlichkeitsarbeit des Generalkonsulats Shanghai, was Wroblewski vor allem auf die "sehr guten diplomatischen Beziehungen" (199) zwischen Peking und Berlin zurückführt. Der Versuch der Wilhelmstraße, diesen Erfolg in Japan zu kopieren, scheiterte, weil das bilaterale Verhältnis erheblichen Spannungen unterworfen war. Weitaus günstiger fällt Wroblewskis Befund zu den pressepolitischen Maßnahmen der deutschen Vertretungen im Osmanischen Reich aus, wobei einmal mehr die Tatsache half, dass die außenpolitischen Ziele beider Mächte "kompatibel" waren (233).
Wenn Wroblewski im letzten Teil seiner Studie deutliche Unterschiede zwischen der außereuropäischen Pressearbeit der deutschen Auslandsmissionen und den nun behandelten Aktivitäten auf dem europäischen Kontinent konstatiert, stellt sich die Frage, ob das evtl. auch den ausgewählten Fallbeispielen Wien und St. Petersburg geschuldet ist. Da wie dort lag der Fokus der Berliner Öffentlichkeitsarbeit Wroblewski zufolge "fast vollständig auf einer klassischen Pressepolitik" und folgte "in erster Linie bündnis- bzw. sicherheitspolitischen Maximen" (323). Genährt von der "Furcht vor einer Destabilisierung des Zweibunds durch pressepolitische Maßnahmen Frankreichs, Russlands und Großbritanniens" (267), behandelten die Berliner Akteure ihre Wiener Mitspieler "in Belangen medialer Öffentlichkeit nicht als einen Partner auf Augenhöhe, sondern vielmehr als Klienten" (269). Das Ergebnis fiel "durchwachsen, wenn nicht gar problematisch" aus (267).
In Bezug auf Russland geht Wroblewski von der These aus, dass die Pressepolitik des Auswärtigen Amts "zunächst primär von bündnispolitischen und im späteren Verlauf der Untersuchung von sicherheitspolitischen Maximen geprägt" war (24); eine Differenzierung die nur bedingt plausibel wirkt, da Bündnispolitik im Kaiserreich doch stets auch Sicherheitspolitik war. Eine aktive Informationspolitik blieb der Wilhelmstraße seines Erachtens wegen der technischen Rückständigkeit der russischen Kabelnetze und der Behinderung ausländischer Einflussnahmen durch die Petersburger Regierung verwehrt. Das einzige Instrument zur Durchsetzung "deutschoffiziöse[r] Diskurse in die russische Öffentlichkeit" (313) war die russische Führung selbst. Doch mit dem Abtritt deutschlandaffiner Minister von der Bühne der Macht in St. Petersburg trocknete dieser Kanal aus.
Am Ende seiner lesenswerten Studie gelangt der Autor zu drei bedeutsamen Ergebnissen, die Anlass zu weiterführenden Forschungen bieten können. Der Erfolg der deutschen Presse- und Informationspolitik im Ausland hing im Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg von der "Subtilität" der Maßnahmen, der "Autonomie" der Diplomaten vor Ort und dem "politischen Verhältnis" Deutschlands zum jeweiligen Land ab (325). Aufgrund der sich verschlechternden diplomatischen Lage gewann die Presse- und Informationspolitik seit 1908 einen neuen Charakter. Das Auswärtige Amt erachtete sie nicht mehr als "Werkzeug einer weitgefassten 'Weltpolitik'", sondern als "essenziell für die Sicherheitslage Deutschlands". Dabei verzichtete das Amt fortan weitgehend auf eine zentralisierte Informationssteuerung und garnierte seine Entspannungsbemühungen ab Ende 1913 mit einer "mediale[n] Abrüstung" (317). Seit dem Sommer 1914 standen dann nicht mehr die noch 1912 vollmundig verkündeten "moralischen Eroberungen" (Paul Rohrbach) im Visier der Reichsführung, ab jetzt ging es um territoriale Gewinne.
Anmerkungen:
[1] Zur Pressepolitik Otto von Bismarcks vgl. vor allem: Eberhard Naujoks, Bismarcks auswärtige Pressepolitik und die Reichsgründung (1865-1871), Wiesbaden 1968; Manfred Overesch, Presse zwischen Lenkung und Freiheit. Preußen und seine offiziöse Zeitung von der Revolution bis zur Reichsgründung (1848 bis 1871/72), Pullach bei München 1974; Heinz-Alfred Pohl, Bismarcks "Einflußnahme" auf die Staatsform in Frankreich 1871-1877. Zum Problem des Stellenwerts von Pressepolitik im Rahmen der auswärtigen Beziehungen, Frankfurt am Main 1984; Reinhard Schwarz, Emil Pindter als offiziöser Redakteur und "Kritiker" Otto v. Bismarcks, Frankfurt am Main 1984; Dominik Feldmann, Von Journalisten und Diplomaten. Die Entdeckung der Presse für die Außenpolitik in Preußen und Österreich 1849-1879, Berlin 2016.
[2] Vgl. Dominik Geppert, Pressekriege. Öffentlichkeit und Diplomatie in den deutsch-britischen Beziehungen (1896-1912), München 2007.
Ulrich Lappenküper