Cord Ulrichs: Die Entstehung der Fränkischen Reichsritterschaft. Entwicklungslinien von 1370 bis 1590 (= Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte; Bd. 31), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2016, 633 S., ISBN 978-3-412-50527-1, EUR 85,00
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Cord Ulrichs' Buch, das auf einer Würzburger rechtshistorischen Dissertation beruht, bietet erstmals eine tief in die Quellen eindringende Darstellung der Vereinigungen des fränkischen Adels und ihrer jeweiligen politischen Hintergründe und Zielsetzungen von den ersten Anfängen im 14. Jahrhundert bis zur Konsolidierung als fränkischer Reichsritterschaft im 16. Jahrhundert. Den Schlusspunkt setzt Ulrichs mit dem Jahr 1590, als eine erste Ordnung über ein gemeinsames Direktorium des fränkischen Ritterkreises entstand (572f.).
Nachdem sich der fränkische Adel im 14. Jahrhundert zunächst in Turniervereinen und Bruderschaften zusammengefunden hatte, wurden diese, wie prosopografische Beobachtungen zeigen, wenig später zur Ausgangsplattform für die erste große Einung der Würzburger Stiftsritterschaft von 1402. Gegründet als Akt des Widerstands des Adels gegen neue Steuerforderungen des Bischofs, waren deren Regelungen über gegenseitige Hilfe gegen Dritte und die Etablierung eines internen Schiedsgerichts das Vorbild ähnlicher Zusammenschlüsse der folgenden Jahrzehnte. Seit etwa 1470 erkennt Ulrichs einen Wandel im Charakter der Würzburger Einungen von "einer adeligen Rechts- und Friedensgemeinschaft hin zum politischen Bündnis ohne konkrete Verpflichtungen" (215) - eine Reaktion auf die Intensivierung der bischöflichen Herrschaft. Im Hochstift Bamberg und in den beiden Markgraftümern Ansbach und Kulmbach spielten diese Bestrebungen hingegen eine geringere Rolle - wahrscheinlich der Hauptgrund, weshalb es dort auch kaum zu Einungen gekommen ist.
Die 1480er-Jahre sind für Ulrichs das Jahrzehnt der "Formierung der süddeutschen Ritterschaft", ausgelöst bzw. widergespiegelt vor allem durch die überregionalen süddeutschen Vierlandeturniere. Die Entwicklung zur freien Reichsritterschaft lässt Ulrichs im Einklang mit der Forschung wenig später mit der Auseinandersetzung um den Gemeinen Pfennig von 1495 beginnen. Erstmals erschienen in diesem Zusammenhang die sechs Orte der fränkischen Ritterschaft als Foren des Adels zur dezentralen Beschlussfassung und Abstimmung über seine Interessen. Neu war auch die Begründung, wonach der "freie" Adel Frankens ausschließlich persönlich diente und daher grundsätzlich von jeder Steuerpflicht befreit war. Mit den Organisationsformen des Widerstands gegen eine Besteuerung knüpfte man in Franken an die früheren Einungen des 15. Jahrhunderts an, wie Ulrichs zeigt (264-267).
Die schwere Niederlage der Ritterschaft von 1523 gegen die Truppen des Schwäbischen Bundes bedeutete auch eine weitere Belastung im Verhältnis des fränkischen Adels zu den Fürsten der Region. Ulrichs referiert aus der Aktenüberlieferung die Verhandlungen zwischen Ritterschaft und Fürsten. Klagen über die Eingriffe in die Gerichtsbarkeit, über die unzureichende Handhabung der fürstlichen Gerichte und über eine für den Adel nachteilige Praktizierung des Lehenrechts, später dann auch über die Frage lutherischer Prediger und die Religionsfreiheit waren die Konstanten der Gravamina des Adels teilweise schon seit dem 15. Jahrhundert. Ulrichs' Darstellung zeigt implizit, dass man nicht von einem "Ausscheiden" der sich zunehmend "emanzipierenden" Ritterschaft aus den Landtagen sprechen kann, wie man früher meinte. Viel eher handelte es sich um ein allmähliches Auslaufen eines Diskurses, weil weder der Adel zu einer Beteiligung an den fürstlichen Landessteuern, noch die Fürsten zu einem Entgegenkommen bei den Anliegen des Adels bereit waren (vgl. bes. 539-544). Wichtig ist die Beobachtung Ulrichs', dass die Fürsten sich dabei oftmals bereits an die jeweiligen Orte wandten, die so in eine Position zwischen den Fürsten und den einzelnen Adligen hineinwuchsen.
Parallel mit den Verhandlungen mit den Fürsten hatte der Adel seit 1495 immer wieder zu entscheiden, wie man auf die Forderungen der Kaiser nach Kriegshilfe reagieren sollte. Die erste Bewilligung einer Reiterhilfe erfolgte bereits 1529, als der Kaiser nicht mehr auf dem Weg über die Fürsten, sondern direkt mit dem Adel Kontakt aufgenommen hatte (408-417). Zunehmend wurden in der Folge auch reine Geldhilfen bewilligt, sodass die Fiktion des persönlichen Dienstes der Ritterschaft an Realitätsgehalt verlor. 1559 erließ Kaiser Ferdinand nach der Bewilligung einer Türkenhilfe erstmals ein Mandat zum Schutz der Ritterschaft in Franken vor fürstlicher Landsässigkeit (504). Wichtig ist die Beobachtung Ulrichs', dass sich an den Verhandlungen über die Türkenhilfen immer nur ein kleiner Teil der Ritterschaft beteiligte. Bis zum Schluss des Untersuchungszeitraums gelang es noch nicht, ein System zu errichten, aufgrund dessen sich wirklich alle Ritter an den Reichssteuern beteiligten (575). "Der Übergang von Personal- zum Territorialprinzip" (577) auch bei der Reichsritterschaft setzte sich mit der Anlage von Güterverzeichnissen und der daraus begründeten Steuerpflicht aller ritterlichen Grundherren erst nach 1590 durch.
Stärke und Schwäche des Buches von Cord Ulrichs liegen in seiner außergewöhnlichen Quellennähe. Nicht zu bestreiten ist, dass sich durch die Referate der Aktenüberlieferung sämtlicher relevanter regionaler Archive ein in dieser Dichte bisher nicht möglicher Blick auf die Thematik öffnet. Aber ist es für den Zweck wirklich dienlich, jedes Mal auch über ganz punktuelle Gravamina der Ritterschaft orientiert zu werden? Sehr hilfreich für die Herausschälung der bedeutenderen Verhandlungsergebnisse sind zweifelsohne die kapitelweisen Zusammenfassungen, die den präzisen Blick und das historische Gespür des Autors für die Texte und die Ziele der dahinter stehenden Akteure erkennen lassen. Fragen nach den tieferen Gründen, den Prädispositionen für die Entstehung der Reichsritterschaft in einer Region wie Franken oder auch zu Positionen der Forschung in diesem Zusammenhang wirft Ulrichs hingegen nicht auf. Die sehr knappe Einführung zur Literatur wie auch die Zusammenfassung am Schluss des Buches machen dies deutlich. Hier liegt der Akzent auf dem Hinweis auf Zäsuren und Kontinuitäten, anhand derer der Gang der Ereignisse mit einigen wenigen wichtigen Einschnitten rekapituliert wird. Der Prozess der Entstehung der fränkischen Reichsritterschaft sei hauptsächlich durch die Entwicklung neuer Rechtsbeziehungen zum Kaiser und der Organisationsformen der sechs Orte sowie durch Kontinuität bzw. Stagnation in den Beziehungen zu den Fürsten gekennzeichnet gewesen (577f.). Die Anfänge der Professionalisierung der Orte und des Direktoriums (Advokaten, Kasse, Mitgliederlisten), die gelegentlich im Quellenreferat aufscheinen, werden hingegen nicht weiter belichtet. Der Würzburger Rechtshistoriker Dietmar Willoweit, der die Doktorarbeit Ulrichs' betreut hat, bringt in seinem Geleitwort einige weitere Akzente aus rechtsgeschichtlicher Sicht ins Spiel wie das zu beobachtende Verblassen des Lehenswesens, ohne dass dieses doch ganz verschwindet (Ambivalenzen in diesem Zusammenhang bleiben näher zu untersuchen) sowie den Umstand, dass neue Normen und Institutionen entstanden, ohne dass sich die beteiligten Zeitgenossen darüber im Klaren waren. Am meisten zu bedauern ist, dass Ulrichs nicht mit seinem eigenen Buch von 1997 [1] ins Gespräch tritt, in dem er bereits den fränkischen Niederadel in sozialgeschichtlicher Hinsicht untersucht hatte, ohne dabei die Dimension der Normen außer Acht zu lassen. So bleibt es nun dem Leser überlassen, beide Bücher von Cord Ulrichs nebeneinander zu legen und eigene Schlüsse daraus zu ziehen.
Anmerkung:
[1] Cord Ulrichs: Vom Lehnhof zur Reichsritterschaft. Strukturen des fränkischen Niederadels am Übergang vom späten Mittelalter zur frühen Neuzeit (= Vierteljahrschrift zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte; Beihefte 134), Stuttgart 1997.
Joachim Schneider