Tanja Baensch / Kristina Kratz-Kessemeier / Dorothee Wimmer (Hgg.): Museen im Nationalsozialismus. Akteure - Orte - Politik, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2016, 411 S., 103 s/w-Abb., ISBN 978-3-412-22408-0, EUR 40,00
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Im Juni 2013 fand in Berlin eine internationale Tagung zum Thema "Museen im Nationalsozialismus" statt. Veranstaltet wurde sie von der Richard-Schöne-Gesellschaft für Museumsgeschichte e.V. und dem Deutschen Historischen Museum. Ziel war es, "einen Anfang für einen Überblick über die Geschichte der Institution Museum im 'Dritten Reich' zu setzen" (16). Und in der Tat steckte die Erforschung dieser Thematik im Jahr der Tagung, wie auch drei Jahre danach mit der etwas verzögerten, gleichnamigen Publikation des Tagungsbandes 2016, noch immer in den Kinderschuhen. Der Blick in die Literaturlage zeigt nämlich, dass abgesehen von der "Entarteten Kunst" und der Instrumentalisierung der Archäologie durch die Nationalsozialisten nur wenige wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit der Thematik existieren - und viele Museen haben ihre eigene Geschichte selbst erst in den letzten Jahren aufzuarbeiten begonnen. Insofern war die Publikation des zu besprechenden Tagungsbands - herausgegeben von Tanja Baensch, Kristina Kratz-Kessemeier und Dorothee Wimmer - mehr als überfällig und trifft gewiss einen Nerv vieler Museumseinrichtungen.
Nach einer einleitenden Einführung von Tanja Baensch gliedern sich die 20 Aufsätze des Sammelbands in die Bereiche "Museumspolitik", "Akteure im Museum", "Ausstellung, Propaganda, Publikum", "Kunst und Ideologie" und "Symbolorte". Diese Untergliederung scheint sich als Auffächerung des Untertitels "Akteure - Orte - Politik" zu verstehen. Da der Tagungsband ein betont breites Feld verschiedener Ansätze aufnimmt - resultierend aus dem bewusst offen gehaltenen Aufruf zur Tagung selbst, die ja einen ersten Bestand über laufende Forschungsvorhaben aufnehmen wollte - wirkt die Zusammenstellung der Beiträge jedoch auch etwas zufällig. Viele Beiträge würden nämlich genauso gut auch unter andere Kategorien passen. Das liegt daran, dass sich zum Beispiel ein Themenfeld wie Politik nicht klar von dem der Akteure abgrenzen lässt. Im Folgenden sollen die fünf Kapitel kurz exemplarisch anhand jeweils eines Aufsatzes vorgestellt werden.
Die mit fünf Aufsätzen quantitativ stärkste Kategorie "Museumspolitik" behandelt den politischen Zustand der Museen zwischen Unabhängigkeit und Anbiederung an das Regime. Petra Winter stellt hier eine Tagung für Museumsdirektoren 1937 in Berlin vor. Bei dieser kam es zu einem Eklat, als mehrere namhafte Direktoren offen gegen einen Vortrag protestieren, in dem Rembrandt als entartete "Ghettokunst" bezeichnet wurde. Der Vorfall zeigt auf, dass sich auch Museumsfachleute, die dem NS-Regime durchaus nahestanden, gegen eine zu starke Einflussnahme in ihre professionelle, wissenschaftliche Arbeit zur Wehr setzten.
In der mit drei Aufsätzen quantitativ schwächsten Kategorie "Akteure im Museum" geht es um die Agitationsmöglichkeiten des Museumspersonals zwischen wissenschaftlicher Arbeit und Politisierung. Ulfet Tschirner untersucht diese anhand der Museumsleitungen des Museums Lüneburg. Dabei zeigt er auf, dass bisher etablierte Ansichten - Museumsdirektor Wilhelm Reinecke als NS-Widerständler und Museumsleiter Gerhard Körner als Verfechter des Nationalsozialismus - relativiert betrachtet werden müssen. Beide haben ihre gegebenen Handlungsspielräume im Sinne des Regimes und zur "Aufwertung ihrer Institution" (126) genutzt, aber ebenso auch fachliche Grenzen gesetzt.
Die folgenden Kategorien sind mit jeweils vier Beiträgen etwa gleich gewichtet. Unter "Ausstellung, Propaganda, Publikum", dem Kapitel, das die musealen Präsentationen unter dem Regime beleuchtet, stellt Nikolaus Bernau eine Gesamtübersicht über die Museumsinszenierungen und -architektur im "Dritten Reich" dar. Dabei geht er der Frage nach, wie Modernität in den NS-Ausstellungen umgesetzt wurde. Bis 1938 sind vor allem Museumsumbauten vorgenommen worden; mit Festigung des Regimes und schließlich der Aussicht auf Raubkunst aus eroberten Gebieten ist es dann vermehrt zu Neubauplanungen gekommen.
Der Aufsatz von Christoph Zuschlag im Kapitel "Kunst und Ideologie" befasst sich anhand einiger Beispiele mit dem Tauschhandel und Verkauf moderner Kunst durch deutsche Museen in der NS-Zeit. Auch hier stehen Handlungsspielräume der Protagonisten im Vordergrund. Zuschlag kommt zu dem Schluss, dass solche Geschäfte zwar schon zu Weimarer Zeiten gang und gäbe waren, nun aber überwiegend dazu genutzt wurden, Werke der "entarteten Kunst" aus den Sammlungen zu entfernen und sich damit "freiwillig" den Machthabern anzupassen.
Unter dem Abschnitt "Symbolorte" skizziert Uta Halle die Rolle des Lippischen Landesmuseums in Detmold zwischen den völkisch aufgeladenen Symbolorten Externsteine und Hermannsdenkmal. Sie zeigt auf, welchen starken Einfluss die völkischen Laienforscher auf die Neuorientierung des Museums unter den germanophilen Nationalsozialisten hatten und wie erschreckend lange dieser noch in bundesrepublikanische Zeiten hinein nachwirkte.
Formal fällt der Sammelband mit seinen verhältnismäßig vielen veranschaulichenden Bildern positiv auf. Auch der Anhang mit einem umfassenden Archivalien-, Quellen- und Literaturverzeichnis sowie einem Personenregister ist sehr praktisch.
Viele Aufsätze blicken über den Tellerrand des Deutschen Reiches 1933-1945 sowohl geografisch als auch zeitlich hinaus und setzen somit Referenzpunkte zur historischen Kontextualisierung. Bei der angesprochenen Themenbreite und dem aus Sicht des Rezensenten nicht ganz geglückten Versuch der Strukturierung wäre vielleicht eine Gesamt-Konklusion durch die Herausgeber hilfreich gewesen, um die große Vielfalt gewissermaßen einzurahmen.
Insgesamt werden, da die Beiträge junge, laufende Forschungen vorstellen, viele spannende Fragen aufgeworfen, die wünschen lassen, dass die Autoren ihnen weiter nachgehen werden. Alles in allem ist dieser Band, wie eingangs erläutert, sicherlich lange überfällig gewesen, sehr gelungen und dürfte die kommenden Jahre die Grundlage für eine neue, reflektiertere NS-Museumsforschung bilden.
Marcus Coesfeld