Sebastian Farnung: Kulturpolitik im Dritten Reich am Beispiel Frankfurter Museen (= Studien zur Frankfurter Geschichte; Bd. 63), Frankfurt/M.: Henrich 2016, 392 S., 65 s/w-Abb., ISBN 978-3-943407-61-7, EUR 29,80
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Tanja Baensch / Kristina Kratz-Kessemeier / Dorothee Wimmer (Hgg.): Museen im Nationalsozialismus. Akteure - Orte - Politik, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2016
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Die Städtische Galerie Frankfurt hatte in den 1920er-Jahren durch Ankäufe progressiver Kunst Akzente gesetzt, darunter Werke von Marc, Kirchner oder Modersohn-Becker. Gerade deswegen war sie ab 1935 immer wieder Ziel von Beschlagnahmungen der nun als "entartet" gebrandmarkten Werke. Frustriert über die Zerstörung seiner Sammlung und das kunstpolitische Klima, reichte der Leiter der Galerie, Alfred Wolters, 1938 sein Rücktrittsgesuch ein. Doch Oberbürgermeister Krebs schmetterte es ab: "Ich denke nicht daran. Erstens: Da könnte jeder kommen und zweitens: Ich habe genug hundertfünfzigprozentige!" [1]
Von Fällen wie diesem lebt Sebastian Farnungs Dissertation "Kulturpolitik im Dritten Reich am Beispiel Frankfurter Museen". Im Vordergrund der Arbeit stehen die Auswirkungen nationalsozialistischer Kulturpolitik auf die städtischen Museen Frankfurts im Spannungsfeld von Partei, Gauleitung und Stadtverwaltung. Dabei arbeitet Farnung heraus, dass der Grad an Anpassung an die nationalsozialistische Kulturpolitik abhängig davon war, inwieweit die Interessen des Museums gewahrt oder durchgesetzt werden konnten.
Farnung positioniert sein Projekt an der Schnittstelle zweier Forschungsbereiche: der Stadt(verwaltungs)- und der Museengeschichte. So betrachtet er erstens die Kommunalverwaltung als aktive politische Gestalterin im zentralisierten Staat. Seit den Arbeiten von Mecking, Wirsching und Gotto [2] haben sich Projekte wie das Die Münchener Stadtverwaltung im Nationalsozialismus-Projekt in ähnlicher Weise der NS-Geschichte gewidmet. [3] Und auch die Frankfurter Stadtgeschichte kann auf reiche Erträge zur Erforschung des Nationalsozialismus zurückblicken. [4] Auf diese kann Farnung aufbauen und das Bild ergänzen. Auch der zweite Forschungsbereich, die Museumsgeschichte, hat sich zunehmend mit der Rolle der Museen während des Nationalsozialismus befasst. [5] In Frankfurt hat sich beispielsweise bereits das Kunstmuseum Städel mit seiner Vergangenheit auseinandergesetzt. [6]
Nach einer Einführung in die allgemeine NS-Kulturpolitik stellt Farnung zunächst das Kulturamt Frankfurt am Main vor. Daran schließt sich das Herzstück der Untersuchung an: die Darstellung des Historischen Museums, des Museums der heimischen Vor- und Frühgeschichte, des Museums für Kunsthandwerk, des Völkermuseums und schließlich der städtischen Galerie. Farnung beleuchtet zunächst die Geschichte des jeweiligen Hauses bis 1933, widmet sich anschließend dem Leitungspersonal und den Kustoden und zeichnet schließlich die inhaltlichen Veränderungen von 1933 bis 1945 nach. Ein Ausblick auf die weiteren Karrieren des Leitungspersonals nach 1945 schließt die Unterkapitel jeweils ab.
Schon zu Beginn arbeitet Farnung in seinen biografischen Skizzen die Handlungsspielräume einzelner Beamte heraus, wie etwa des Oberbürgermeisters Krebs, dem es immer wieder gelang, Belange der Stadt gegen die Interessen des Gauleiters und des Regierungspräsidenten durchzusetzen, wie bei einzelnen Personalfragen (48ff.). Die Anstellung Karl Schlechtas' als Kulturreferent 1938 illustriert, dass die Stadt auch gezielt Kandidaten anwarb, die über gute Kontakte zur Reichsebene und zur Partei verfügten.
Frankfurt fehlte ein Ausstellungshaus, was vor dem Hintergrund der propagandistischen Funktion von Ausstellungen und Messen während des Nationalsozialismus ein Problem war. Die Stadt versuchte sich dennoch über andere Wege immer wieder als Messestadt zu etablieren oder zumindest den NS-Ehrentitel "Stadt des Handwerks" zu instrumentalisieren. Den Beitrag der Museen dazu zeigt Farnung an den Ausstellungen des Museums für Vor- und Frühgeschichte und des Museums für Kunsthandwerk. Sonderausstellungen wie diese und Wechselausstellungen spiegelten die NS-Ideologie am stärksten wider. Die Beispiele des Museums für heimische Vor- und Frühgeschichte und des Kunsthandwerkmuseums verdeutlichen zudem, dass die Vereinnahmbarkeit von Fachbereichen durch die NS-Ideologie und damit einhergehende Regimenähe ihren Niederschlag in den Häusern und ihren Ausstellungen fand.
Der Grad an Regimenähe hing nicht zuletzt von der Einstellung der Direktoren ab, unter denen sich beispielsweise Ernstotto zu Solms-Laubach (Historisches Museum) befand, der an der Ostfront am Raub von Kunstgütern beteiligt war, aber auch Personen wie Georg Swarzenski (Städtische Galerie), der sich politischer Verfolgung ausgesetzt sah. Einzelne Mitarbeiter wie Alfred Wolters (Städtische Galerie) versuchten den progressiven Geist ihres Hauses zu erhalten. Insgesamt blieb das führende Personal überwiegend bestehen und konnte während und nach dem Nationalsozialismus seine Arbeit fortsetzen, obwohl immer wieder einzelne Mitarbeiter gehen mussten, aufgrund von Verfolgung oder aus beruflichen Motiven.
Zu den großen Stärken der Darstellung gehört der Vergleich verschiedener Häuser, den die chronologische und recht schematische Gliederung ermöglicht. Allerdings zerteilt diese die Lebensläufe der Akteure an den Zäsuren 1933 und 1945, was Vor- und Rückgriffe nötig macht und dazu führt, dass Personen an Stellen eingeführt werden, an denen sie noch keine übergeordnete Rolle spielten. Die Geschlechterthematik, wie sie sich an der Rolle der beiden Kustodinnen zeigt (Karin Hissink und Viktoria von Lieres und Wilkau) wird nicht explizit ausgedeutet, doch wird dieser Punkt überhaupt erst durch Farnungs institutionsübergreifenden Ansatz offenbar.
Die Studie hebt hervor, dass weder Stadtverwaltung noch die Museen passive Spielbälle waren. Wenn das Regime den Häusern Vorteile bot, griffen diese zu. So weist Farnung nach, dass sich mehrere Frankfurter Museen an "Kauffahrten" in das besetzte Paris und nach Griechenland beteiligten. Die Frage, wie die Objekte so günstig auf den Markt kamen, löste nur wenig Unbehagen bei den Museumsmitarbeitern aus. Ähnlich opportunistisch zeigten sich die Museen bei der Distanzierung von jüdischen Förderern nach 1933 als auch bei dem Erwerb jüdischer Privatsammlungen. Gerade weil die Fragen der Restitution in Geschichtswissenschaft, Museologie und Politik ein virulentes Thema sind, ist es nachvollziehbar, wenn auch bedauerlich, dass der Autor zum Verbleib der Objekte nach 1945 keine Ausführungen macht.
Farnung hat die Forschungsliteratur insgesamt breit rezipiert. Die quellengesättigte Darstellung stützt sich überwiegend auf die Bestände des Instituts für Stadtgeschichte Frankfurt.
Die besondere Stärke des Buches liegt darin, die Museumslandschaft einer Stadt anhand ihrer Akteure in den Blick zu nehmen und dadurch die kommunale Kulturarbeit zwischen Partei, Reich und städtischen Eigeninteressen zu erhellen. Der starke analytische Akzent auf dem Personal entspricht nicht nur dem allgemeinen Trend der Institutionen- und Museumsgeschichte, sondern führt auch zu einem lebendigen und differenzierten Bild. Daher ist das Buch nicht nur Museologen und Historikern zu empfehlen, sondern auch gerade interessierten Laien. Die illustrativ eingesetzten Fotografien lockern den Text zudem auf. Man kann dem Buch eine rege Leserschaft wünschen.
Anmerkungen:
[1] ISG, Nachlass Alfred Wolters, S 1/468, Bl. 25. Zitiert nach Farnung: Kulturpolitik, 337.
[2] Sabine Mecking / Andreas Wirsching: Stadtverwaltung im Nationalsozialismus. Systemstabilisierende Dimensionen kommunaler Herrschaft (= Forschungen zur Regionalgeschichte; Bd. 53), Paderborn 2005; Bernhard Gotto: Nationalsozialistische Kommunalpolitik. Administrative Normalität und Systemstabilisierung durch die Augsburger Stadtverwaltung 1933-1945, München 2006.
[3] Stellvertretend für die Unterprojekte sei hier der jüngst erschienene Sammelband genannt: Margit Szöllösi-Janze (Hg.) / Juliane Hornung (Mitarb.): München im Nationalsozialismus. Imagepolitik der "Hauptstadt der Bewegung", Göttingen 2017.
[4] U.a. Bernd Häußler: Frankfurt 1933-1945. Von der Machtergreifung bis zur Zerstörung der Stadt, Frankfurt/M. 1983; Jörn Kobes / Jan-Otmar Hesse (Hgg.): Frankfurter Wissenschaftler zwischen 1933 und 1945, Göttingen 2008. Auch gibt es reichlich Forschung zur Verfolgung der jüdischen Bürgerinnen und Bürger, der Frankfurter Sinti und Roma und der Beteiligung Frankfurter Unternehmen an den Verbrechen des Nationalsozialismus. Eine nützliche Bibliografie findet sich unter http://www.ffmhist.de/ [letzter Aufruf 21.1.2018].
[5] Hier sei auf das jüngst erschienene, lange erwartete Sammelwerk von Tanja Baensch / Kristina Kratz-Kessemeier / Dorothee Wimmer (Hgg.): Museen im Nationalsozialismus. Akteure-Orte-Politik, Köln / Weimar / Wien 2016 verwiesen.
[6] Uwe Fleckner / Max Hollein: Museum im Widerspruch. Das Städel und der Nationalsozialismus (= Schriften der Forschungsstelle "Entartete Kunst"; Bd. 6), Berlin 2011.
Franziska Walter