Kirsi Salonen / Sari Katajala-Peltomaa (eds.): Church and Belief in the Middle Ages. Popes, Saints, and Crusaders (= Crossing Boundaries: Turku Medieval and Early Modern Studies), Amsterdam: Amsterdam University Press 2016, 276 S., ISBN 978-90-8964-776-4, EUR 89,00
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Kirsi Salonen / Kurt Villads Jensen / Torstein Jørgensen (eds.): Medieval Christianity in the North. New Studies, Turnhout: Brepols 2013
Kirsi Salonen / Jussi Hanska: Entering a Clerical Career at the Roman Curia, 14581471, Aldershot: Ashgate 2013
Sari Katajala-Peltomaa / Susanna Niiranen (eds.): Mental (Dis)Order in Later Medieval Europe, Leiden / Boston: Brill 2014
Im Jahre 1994, als "interdisziplinär" und "themenübergreifend" noch nicht unbedingt zu den Adjektiven zählten, die ein zeitgemäßes Werk ausmachten, erschien in Helsinki die Dissertationsschrift von Christian Krötzl Pilger, Mirakel und Alltag. Formen des Verhaltens im skandinavischen Mittelalter, 12.-15. Jahrhundert, eine Studie, der ohne Zweifel das Verdienst zukommt, einige bis dahin zumeist unabhängig voneinander agierende Disziplinen mittels einer Synthese über Wallfahrten und Wunderberichte im mittelalterlichen Skandinavien einprägsam miteinander verbunden zu haben. Anlässlich seines 60. Geburtstags (Juni 2016) haben nun Kirsi Salonen und Sari Katajala-Peltomaa die vorliegende Festschrift herausgegeben, die den von Christian Krötzl verfolgten Ansatz durch eine Reihe von Beiträgen zur päpstlichen Kurie und Verwaltung, zu Hagiographie und Heiligenkult sowie zu den nordischen Kreuzzügen und Christianisierungsmissionen würdigt und dezidiert zur Geltung kommen lässt. Gegliedert ist der Band in drei Hauptteile, jeder einem der drei Hauptforschungsgebiete gewidmet, wobei sich der zentrale Teil aus vier, der erste und der letzte Abschnitt jeweils aus drei Aufsätzen zusammensetzen.
Nach einem Vorwort (9-10) und einer von den beiden Herausgeberinnen und Kurt Villads Jensen verfassten Einführung (11-35) geht Ludwig Schmugge im ersten Beitrag der kurialen Sektion (39-62) auf die Gewährung von Dispensen und Gnadenerlassen durch die apostolische Pönitentiarie und die Datarie ein. Einer Schilderung der Aufgabenbereiche beider Ämter, insbesondere der um 1455 erfolgten Reformen und der damit zusammenhängenden Stärkung der Stellung der Datarie, folgt eine statistische Analyse der zwischen Paul II. und Leo X. erhobenen Gebühren, bei der festgestellt wird, dass deren überwiegende Mehrzahl auf Ehedispense zurückzuführen ist und bei der Festsetzung der Summe auch die sozialen und finanziellen Umstände der jeweiligen Petenten berücksichtigt wurden.
Beim Aufsatz von Jussi Hanska handelt es sich um eine Fallstudie, die am Beispiel der Laufbahn des französischen Kurialen Petrus Profilt zahlreiche Einblicke in die Tätigkeit eines ordinary curialist der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts gibt und methodische Überlegungen über die Implikationen dieser case study, insbesondere über deren Repräsentativität aufstellt. Obwohl auch die Karriere des Petrus Profilt einmalige Züge aufweist, wird sie hier als ausgesprochen repräsentativ bewertet, weil sie der Laufbahn eines Großteiles der Kurialen dieser Zeit ähnelt. Diese strebten keine führenden Positionen im kurialen Apparat an und wurden nach einer vergleichsweise wohl situierten Zeitspanne in Rom mit Ämtern und Pfründen in partibus versorgt.
Auf der Grundlage der Untersuchung eines im Dänischen Nationalarchiv verwahrten registrum der Sacra Romana Rota über die gerichtliche Auseinandersetzung zwischen dem Pfarrer Didrik Brus aus Katharinenheerd und dem Bischof von Schleswig Godske Ahlefeldt (1515-1516) gelingt es Per Ingesman (85-114), die Funktionsweise der curia camere apostolice anhand eines frühen und gut dokumentierten Beispiels zu schildern und neue einschlägige Befunde über die Produktion von schriftlichen Materialien sowohl für die kuriale Registrierung als auch für die jeweils betroffenen Parteien vorzulegen.
Die Sektion über Heilige und Wunder wird durch den Beitrag von Gábor Klaniczay eröffnet (117-140). Gefragt wird vor allem nach den langfristigen Auswirkungen des verstärkten Eingreifens der Päpste in Kanonisationsakte ab dem ausgehenden 12. Jahrhundert. Dem Ansatz Krötzls folgend, hebt Klaniczay hervor, dass das zu Beginn des 13. Jahrhunderts endgültig eingeführte römisch-kanonische Kanonisationsverfahren samt päpstlicher réserve, obwohl weit davon entfernt, eine absolute Verfügungsgewalt der Päpste über alle Heiligenkulte zu begründen, immerhin zur allgemeinen Etablierung von gerichtlichen Prozeduren führte, die eine Verrechtlichung und Rationalisierung der alten vox populi und eine Verdichtung kommunikativer Praktiken zur Folge hatten.
Die Übernahme von hagiographischen topoi aus der Legende des heiligen Alexius - infrage kommen vor allem das unvermutete Verlassen der Braut kurz vor der Eheschließung und die bei seinem Ableben eingetretenen Wunder - in Heiligenviten des hohen und späten Mittelalter wird von Paolo Golinelli (141-152) unter anderem als "Instrument" gedeutet, um das Ideal der Kirchenreform "in der Öffentlichkeit" zu verbreiten, insbesondere gegen zeitgenössische "Häresien".
Am Beispiel der Akten des Kanonisationsverfahrens Nikolaus' von Tolentino setzt sich Didier Lett mit der Rolle des Arztes in dieser besonderen Quellengattung auseinander (153-169): Obwohl das iudicium medicine für die Diagnose von (im Idealfall) irreversiblen Krankheiten unverzichtbar war, stand dieses letztendlich nur im Dienste des iudicium sanctitatis, denn in der Logik der Zeugenvernehmungen musste das ärztliche Gutachten lediglich den Weg zur Heilung durch Gott beziehungsweise seinen Heiligen ebnen. Interessanterweise führte diese Dynamik keineswegs zu einer Infragestellung der Glaubwürdigkeit des Arztes oder des ganzen Berufsstandes. Vielmehr könnte, so Lett, die Heranziehung von Ärzten beim iudicium inquisitionis auf eine Steigerung ihres Ansehen hindeuten.
Jenni Kuuliala geht auf die Wahrnehmung und Bewertung nur teilweise erfolgreicher Wunderheilungen bei Kanonisationsverfahren ein (171-198). Derartige in den Zeugenaussagen eigentlich selten thematisierte partial cures wurden in den meisten Fällen nicht als gescheiterte Wunder, sondern als Zeichen göttlichen Eingreifens in die irdische Sphäre bewertet, und somit als miracula. Bei dieser durchaus positiven "Evaluation" von Teilheilungen sollen vor allem die Rückwirkungen auf den lokalen Kontext und die soziale Stellung der Betroffenen maßgeblich gewesen sein.
Das Bild Livlands in der Chronik Heinrichs von Lettland steht im Mittelpunkt des Beitrags von Jüri Kivimäe (201-226), des ersten der Sektion über Kreuzzug und Christianisierung. Hier wird resümiert, wie der Chronist Heinrich, gewollt oder ungewollt, in seinem Werk eine durch außerordentlich starken inneren Zusammenhalt gekennzeichnete Gesellschaft schildert, in der sowohl die "Deutschen" als auch die jüngst getauften Einheimischen unter dem besonderen Schutz der Gottesmutter Maria leben, weshalb sie auch als servi beate Marie virginis bezeichnet werden. Dieses idealisierte Bild einer Terra Mariana wird hier als ein Metanarrativ gedeutet, als eine künstliche Wirklichkeit, die zwar offiziösen Propagandazwecken diente, zugleich aber von Heinrich als Realität wahrgenommen wurde.
Auf den scheinbaren Widerspruch zwischen dem als bellum iustum charakterisierten Kreuzzug und der Begeisterung für den gewaltigen zelus Domini bei den drei Autoren Heinrich von Lettland, Saxo Grammaticus und Wincenty Kadłubek geht Kurt Villads Jensen in seinem Aufsatz ein (227-250). Im Einklang mit den Studien von Barbara Rosenwein und Gerd Althoff wird hier das brutale Vorgehen der Kreuzritter nicht einfach als literarischer topos oder als emotionale Erregung gedeutet, sondern vielmehr als wesentliche Komponente einer emotional community. In einer derartigen Wertgemeinschaft seien Emotionen nicht völlig willkürlich, fänden sie doch im Rahmen von bestimmten, tolerierten Spannbreiten ihren Ausdruck.
Im letzten Beitrag der den nordischen Kreuzzügen gewidmeten Sektion plädiert Jens Olesen (251-267) für eine Revision der bis dato vorherrschenden Interpretationen der schwedischen Kreuzzüge in Finnland als "nationale" oder gar "regionale" Angelegenheiten und fügt sie in den breiteren Kontext der Wallfahrt- und Kreuzzugsbewegung, der Durchsetzung der päpstlichen Autorität in romfernen Ländern, der Expansion der westlichen bzw. europäischen Kultur sowie der Öffnung neuer Handelskanäle ein.
Der Sammelband lässt sich als eine gelungene Kombination von case studies (Schmugge, Hanska, Ingesman und Kuuliala) und reflektierten Überblicksdarstellungen charakterisieren (vor allem Klaniczay, Kivimäe und Jensen), der zum einen bisher nur ungenügend berücksichtigte Quellen ertragreich verwendet und zum anderen Überlegungen von allgemeiner historiographischer Tragweite aufstellt. Das Hauptverdienst besteht aber wohl darin, noch einmal auf den flexiblen und anpassungsfähigen Charakter des mittelalterlichen Papsttums aufmerksam gemacht zu haben und somit auf die Notwendigkeit, bei der Betrachtung von einzelnen kurialen Behörden oder "päpstlichen" Phänomenen wie Kreuzzügen oder Kanonisationsverfahren, nie die vielseitigen Konstellationen aus dem Blick zu verlieren, in die diese eingebunden waren.
Étienne Doublier