Helen Macdonald: Falke. Biographie eines Räubers. Aus dem Englischen von Frank Sievers, München: C.H.Beck 2017, 240 S., 71 s/w-Abb., ISBN 978-3-406-70574-8, EUR 19,95
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Helen MacDonald ist durch ihre autobiographisch angehauchte und novellistische Darstellung "H für Habicht" zum Liebling auch des deutschen Feuilletons avanciert. Nun ist ihr Frühwerk über den Falken, das bereits 2006 in der bekannten "Animal"-Reihe bei Reaktion Books erschienen ist [1] und das 2016 mit einer neuen Einleitung neu aufgelegt wurde, übersetzt worden. Auch bei diesem Werk handelt es sich um eine Vermischung kulturhistorischer Beschreibungen, naturhistorischer Tierbeobachtungen und eigener Positionierung im Feld der Falknerei, obgleich das Gewicht hier viel stärker auf der geschichtlichen Beschreibung liegt. In der Sprache ist es stets ein wenig lyrisch und folgt damit dem Genre des "New Nature Writings", ohne jedoch die oftmals auch verstörende biographische Trauerarbeit, die "H für Habicht" kennzeichnet, vorzunehmen. Auch dieses Buch befindet sich also bewusst an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Populärkultur und hat zudem eine dezidiert politische Botschaft, indem es auf das rasante Artensterben aufmerksam macht.
Das Buch ist in sechs etwa gleich lange Kapitel unterteilt: Der naturgeschichtlichen Einordnung im ersten Kapitel folgt die Untersuchung der Bandbreite der Symbolfiguren des Falken in Kapitel zwei, um dann in den letzten vier Kapiteln die gelebte Interaktion zwischen Mensch und Tier zu vertiefen. Diese Interaktion umfasst zunächst die Abrichtung von Falken und die als geradezu "pandemisch" (89) beschriebene Attraktion der Falknerei, die wiederum in ihren durchaus klassen- und geschlechterspezifischen Funktionen sozialhistorische Beleuchtung findet (Kapitel 3). Die Bedrohung der Falken durch menschlich Bejagung und Pestizide und ihren gleichzeitigen Status als "Promis" (129) in Umweltschutzdiskursen, die zu weitreichenden Maßnahmen der "Klinischen Ornithologie" (146) führten, wird im vierten Kapitel erzählt. Hier werden auch die materiell-semiotischen Verbindungslinien zwischen mittelalterlichen Paradiesvorstellungen, die den Falken gegenüber anderen Tieren deutlich hervorhoben, und neuzeitlichen Sportschützenfantasien, in denen Falken keine signifikante oder eine konkurrierende Stellung einnahmen, gezogen. Der Nutzung von Falken für militärische Zwecke sowie der Beschreibung der "Ornithologie als Zweig der Militärwissenschaft" (165) ist Kapitel fünf gewidmet. Es setzt sich mit der These der quasi naturalisierten Verbindung zwischen Falke und Krieg auseinander. Vertiefung findet diese These mit Hinblick auf seine heutige Funktion als scheinbar "globales Überwachungssystem" (186). Das letzte Kapitel schließlich behandelt die Änderungen der Beziehungen zwischen Mensch und Falken in der modernen Stadt und geht vor allem dem Nistverhalten der Tiere "auf den modernen Kathedralen des Kapitalismus, den Wolkenkratzern" (195) nach.
Als Leser erfährt man insgesamt viel Neues, auch weil die strikte thematische Kapiteleinteilung nicht eingehalten wird und so interessante Verknüpfungen zwischen naturgeschichtlicher und kulturgeschichtlicher Perspektive entstehen. Der rote Faden wird durch die verschiedenen Falken, die hier sowohl in äußerer Form wie auch in ihren spezifischen Interaktionsmustern beschrieben werden, aufgenommen. Hier zeigt sich auch, dass die Geschichte der Falken nur als eine Globalgeschichte geschrieben werden kann, weil sich Bedeutungen - beispielsweise durch die frühe Nutzung von Falken als diplomatische Geschenke - immer wieder verschoben haben. Dabei ist die Diktion weit von einer Anreihung enzyklopädischen Wissens entfernt, es sind kulturhistorische Episoden und manchmal auch Anekdoten, die die Narration zusammenhalten: Kunst und literarische Aufarbeitung des Falken von der Bronzezeit bis zur Gegenwart, religiöse, mythische und erotische Motivik und Tabus spielen genauso eine Rolle wie etwa die Zuchtfantasien der Nationalsozialisten oder das Hollywoodsche Gegenstück der auf Zelluloid gebannten abgerichteten Falken, die zahlreiche Heldenepen der Kriegs- und Nachkriegszeit bebilderten.
Es ist ein zentrales Anliegen der Autorin, die Spiegelfunktionen von Natur und Tierwelt für die menschliche Spezies historisch-genealogisch aufzublättern. "Jede Begegnung mit dem Falken", so schreibt sie, "ist eine Begegnung mit uns selbst" (16). Aus Sicht der Tiergeschichte ist ein solches Vorgehen erst einmal unbefriedigend, glaubte man doch eine derartige Beschreibung der Tiere als bloße Repräsentationsfiguren menschlichen Seins längst hinter sich gelassen zu haben und viel mehr dem Tier an sich folgen zu wollen. Tatsächlich würde tierhistorisch gewendet, jede Begegnung mit einem Falken als eine Begegnung mit einem spezifischen Tier begriffen werden. Dessen Körper, so würde wohl argumentiert werden, sei mit kulturell spezifischen Bedeutungen aufgeladen, die wiederum auch physisch auf das Tier zurückwirken. Hier zeigt sich dann schon deutlich, dass das Buch eben doch zehn Jahre alt ist und nur mit einer neuen Einleitung allein nicht die Debatten um den "Animal Turn" in der Kulturgeschichte abzubilden vermag.
Nun war dies vielleicht auch gar nicht das Ziel der Autorin. Mehr noch sollte man sich nicht von MacDonalds Selbstbeschreibung des Werkes und den oben genannten Passagen täuschen lassen. Es geht ihr nämlich um mehr denn bloße Repräsentationsfiguren aufzurufen. Insofern folgt es dann doch aktuellen Forschungstrends innerhalb der Tiergeschichte bzw. der Human-Animal Studies. Zum ersten geht es ihr darum, eine Beziehungsgeschichte zu schreiben. Mit oben genannten Forschungsperspektiven verbindet sie das Ziel, sich eben über die Beziehung als Analyseeinheit dem Tier zu nähern. Und obwohl es auch hier um das "mythologische Beziehungsgeflecht" und die "symbolischen Verbindungen zwischen Greifvögeln und menschlichen Seelen" (10) geht, also die Semiotik der Falken aufgerufen wird, behandelt sie eben auch die gelebte Interkation zwischen Mensch und Tier.
Zum zweiten ist ihr mithin auch an der Darstellung der "Agency" der Tiere gelegen, die sich "ihnen vom Menschen zugeschriebenen Bedeutungen auch widersetzen, sie konterkarieren oder unterwandern" (16f.). Auch wenn man sich nicht der Terminologie der Tiergeschichte und ihren handlungstheoretischen Lesarten anschließen mag, entspricht MacDonalds Beobachtung der Folgen etwa der taxonomischen Einordnungen von Falken auf deren Leben, Überleben und den Verlust ihres Lebensraumes (25) ganz unmittelbar der Herangehensweise einer kulturwissenschaftlich fundierten Natur- und Tierschichte. Und sie benennt gleichsam auch das Interesse einer ganzheitlichen Perspektive auf Tiere, wie sie die Human-Animal Studies einfordern, sich nämlich den "Überraschungen" zu widmen, die auftauchen "wenn sich zwischen Biologie und Mythologie eine Kluft auftut - das heißt, wenn die echten Tiere sich nicht so verhalten, wie der Mensch sie sieht" (50).
Das Buch ist gestalterisch sehr ansprechend aufgemacht und übertrifft hier durchaus die Originalausgabe des Werkes. Es ist reich bebildert, ohne dass es überladen wirkt, Satz und Inhalt korrespondieren sehr harmonisch mit den Illustrationen. Eine kurze und eher grobe Zeittafel im Anhang soll für Chronologie sorgen. Dies wäre meines Erachtens aber nicht notwendig gewesen und verwirrt eher, da die hier festgehaltenen Zeitschnitte zwar eine globale Perspektive aufweisen, aber dann doch eher wahllos und unsortiert daherkommen. Dies sollte aber nicht von den Stärken des Buches ablenken. Es ist auch in der Übersetzung ein wirklich schön geschriebenes Werk, das ein breites Panorama der kulturgeschichtlichen Bedeutung des Falken zeichnet, das sicherlich an der ein oder anderen Stelle Vertiefung verdient hätte, jedoch die Besonderheit dieser Spezies und die vielschichtigen Beziehungen zum Menschen, die sie ausmacht, sehr schön porträtiert.
Anmerkung:
[1] Siehe http://www.reaktionbooks.co.uk/browse/series/-/*/series
Mieke Roscher