Peggy McCracken: In the Skin of a Beast. Sovereignty and Animality in Medieval France, Chicago: University of Chicago Press 2017, X + 233 S., 16 Farbabb., ISBN 978-0-226-45892-2, USD 45,00
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In der Fachwissenschaft steht seit Längerem das Verhältnis des Menschen zum Tier im Mittelpunkt des Interesses, dabei wird betont, dass auch Tiere als Wesen mit Rechten und Empfindungen gewürdigt werden sollen. Zudem hat sich der Fokus dieser Interaktion erweitert: wurden Tiere ehedem als Arbeits- und Mobilitätshilfe, Nahrung oder Sport, hier v.a. Jagd, oder als Ausdruck von Stand, Status und Rang betrachtet, haben sie nun eine Sinn- und Bedeutungserweiterung erfahren.
Der hier vorliegende Band widmet sich in fünf Kapiteln diesem erweiterten Verständnis. Der Schwerpunkt liegt dabei hauptsächlich auf literarischen Texten des mittelalterlichen Frankreich. Die Autorin beschränkt sich nicht nur auf die Darstellung der menschlichen Eigenart / Eigenständigkeit (uniqueness) und Repräsentation der menschlichen Herrschaft über die nichtmenschlichen Tiere, sondern versucht in diesen Begegnungen die Dynamik von Macht und Herrschaft in der Gesellschaft aufzuzeigen, die nach bestimmten Rahmen und Mustern ablaufen. Den Körper des Tieres bzw. die Verwendung der Häute und Pelze, die für die Zurschaustellung von Status, Rang und Stand in der mittelalterlichen Gesellschaft eine enorme Bedeutung hatte, stellt die Autorin in den Vordergrund. Dabei spricht McCracken der Begegnung zwischen Tier und Mensch eine doppelte Bedeutung zu: einmal spiegeln sie die natürliche, von Gott gegebene Autorität des Menschen über das Tier und zusätzlich die vorherrschenden sozio-politischen Zustände in der Gesellschaft wider. Es ist also genau dieses Bedeutungsfeld, dem die Autorin in einem weit gespannten Textkonvolut, welches Dialektbibeln, Bibelkommentare, kurze didaktische Stücke, Fabeln, Lais, Romanzen und Chansons de geste umfasst, nachspürt.
Von einem poststrukturalistischen Ansatz ausgehend, bespricht die Autorin im ersten Kapitel die verschiedenen Bedeutungsebenen des Tragens und Verwendens von Tierhäuten bzw. Pelzen. Die dabei verwendeten Texte, ausgehend von einer volkssprachigen Genesisübersetzung bis hin zu einem Text aus dem 15. Jahrhundert, belegen die verschiedenen Bedeutungsebenen der Verwendung tierischer Materialien. Neben der Verwendung der Häute als Kleidungsstücke, wurden sie auch als Schreibmaterialien genutzt und trugen zugleich auch immer noch einen inhärenten "symbolic support for claims to sovereign power". Häute und Pelze bestätigen und visualisieren v.a. im Mittelalter und der frühen Neuzeit den Rang, Status und Habitus der Träger und Trägerinnen und verdeutlichen somit exemplarisch Macht und Herrschaft über die Anderen. Eine weitere wichtige Bedeutungsebene stellt zum einen die direkte Übertragung der tierischen Eigenheiten auf den menschlichen Träger dar, seien es Kraft, Schläue, Geschicklichkeit etc., zum anderen Macht, Prestige und Identität im höfischen Umfeld (Kapitel drei). Wichtig dabei ist der Umstand, dass der Gebrauch von Tierhäuten und Pelzen zwar ein Werkzeug der menschlichen Herrschaft über das Tier darstellt, die Tiere sich aber gegen diese Zurschaustellung und Hergabe ihrer Haut wehren können. Als besonders interessant und für die mittelalterlichen Autoren problematisch erweist sich die Bekleidung Adams und Evas im Paradies nach dem Sündenfall.
Die Verwendung der tierischen Häute und Pelze bezeichnet die Autorin als Technik, die neben der Schlachtung, dem Verzehr, dem Häuten und der weiteren Verarbeitung und Bearbeitung der Produkte auch das Abrichten der Tiere für die tägliche Arbeit umfasst. Dieser Prozess der Zähmung oder wie im Beispiel des sozialen Wolfs aufgezeigt, die willentliche und freiwillige Unterwerfung, ist Thematik des zweiten Kapitels. Dabei wird exemplarisch gezeigt, dass die Abrichtung der Tiere nicht immer, freilich aber oft genug, gewalttätig ablaufen musste, sondern auch in einem freundschaftlichen und gegenseitigen Einverständnis beider Seiten verlaufen konnte. Literarische Texte verwenden die tierische Perspektive dazu, um über die Natur und die Grenzen sozialer Interaktionen nachzudenken und die gesellschaftlichen Verhältnisse zu parodieren.
Tiere spiegeln die Welt und zugleich auch die Menschen selber, weshalb je nach Textgattung diese Aussagen differieren können. Ist beispielsweise die Schlange in den Paradieserzählungen eine verführerische Gestalt, verspricht insbesondere die Schlangenfrau nicht Erlösung, sondern im Gegenteil Verbannung und Verlust. In den Romanzen hingegen spielt sie eine völlig andere Rolle: ein Wesen, das zugleich vertraut und ängstlich, verführerisch und entfremdet ist (Kapitel 4). Frauen, so die Autorin weiter, seien innerhalb dieser Erzählungen doppelt distanziert von Autorität und Herrschaft. Die tierische Komponente zeige diese Ent- und Verfremdung exemplarisch auf.
Das letzte und zugleich aussagekräftigste Kapitel widmet sich der Thematik des wilden Mannes und seiner Funktion als Außenseiter der menschlichen Gesellschaft und Kultur. Dabei zeigt die Autorin anhand des Beispiels Karls VI. von Frankreich die Folgen der Missachtung höfischen Verhaltens. Bei einem Maskenball beschließen er und fünf Höflinge, sich als wilde Männer zu verkleiden. Der Gastgeber, der Herzog von Orléans, möchte diese Gruppe eingehender untersuchen und steckt sie mit einer Fackel in Brand. Überlieferte Bilder zeigen diese Szene in opulenten Details: Der König sucht Zuflucht unter dem Rock der Herzogin von Berry, die ihrerseits versucht, die Flammen zu löschen. Er wird bar jeglicher Kleidung, die seinen Stand und Status repräsentieren und mit dem Rücken zum Betrachter abgebildet. Einer seiner Höflinge rettet sich mit einem Sprung in einen Wasserbottich und die anderen verbrennen bei lebendigem Leib. Sowohl die Miniatur, als auch die Episode zeigen die funktionale Bedeutung mittelalterlicher Kleidung und deren Verständnis exemplarisch auf. Dabei kommt der Tatsache einer Absenz königlicher Insignien oder, wie in vorliegendem Fall, der Kleidung als Ausdruck von Rang und Status eine zusätzliche Bedeutung zu: Indem der Monarch willentlich und freiwillig auf seine Kleidung verzichtet, weist er auch jegliche Position von Macht und Herrschaft zurück, denn er wird nicht als König erkannt. Durch die ungeschickte Wahl seines Kostüms wird auf ihn die Unfähigkeit des wilden Mannes übertragen, zivilisiert aufzutreten und sich an die höfische Kultur anzupassen. Fatalerweise wird dem Souverän dann auch noch jegliche Kompetenz auf Regierungsgeschäfte abgesprochen, ebenfalls als direkte Konsequenz seiner Kostümwahl. Diese Episode zeigt dem Leser bildhaft auf, wie man sich als Souverän nicht verhalten sollte und rundet somit den sehr lesenswerten Band ab.
Reich bebildert und anschaulich geschrieben, entsteht ein beeindruckendes Kaleidoskop unterschiedlicher Facetten der bisher nur punktuell erfassten Interaktion zwischen Tier und Mensch in der mittelalterlichen Literatur.
Patrick Stohler