Francesca Orsini / Samira Sheikh (eds.): After Timur Left. Culture and Circulation in Fifteenth-Century North India, Oxford: Oxford University Press 2014, XII + 500 S., ISBN 978-0-19-945066-4, GBP 45,99
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Möchte man wissen, von wann bis wann das Delhisultanat eigentlich existiert hat, findet man in der Literatur in der Regel die Aussage: von 1206 bis 1526. Beide Daten sind problematisch. Die Etablierung der Herrschaft von Quṭb ad-Dīn Aybak (gest. 1210) und seinen Nachfolgern war ein langsamer Prozess und kein punktuelles Ereignis. 1526 konnte Bābur (gest. 1530) zwar in der sogenannten "Ersten Schlacht bei Panipat" den letzten Sultan von Delhi, Ibrāhīm Lodī (reg. 1517-26), besiegen, doch erstreckte sich Ibrāhīms Macht zu diesem Zeitpunkt nur noch auf das nähere Umfeld der Stadt. Zudem gelang die Herausbildung einer dauerhaften Verfestigung der Moghulherrschaft frühestens nach der Rückkehr Humāyūns 1555. Eine Zäsur in der Geschichte des Delhisultanates bedeutete sicher der Einmarsch Tīmūrs in Nordindien im Jahr 1398. Allerdings hatte die Auflösung, Zersplitterung und Neuordnung der muslimischen Herrschaft in diesem Raum bereits vorher eingesetzt, die Eroberung wirkte daher eher als Katalysator denn als Ursache. Überhaupt stellt sich die Frage, ob man der Geschichte des "Delhisultanates" eigentlich gerecht wird, wenn man sie allein aus der Sicht der höfischen historiografischen Literatur als islamische Erfolgsgeschichte schreibt. Ist die Dynamik und Innovationskraft der Epoche in dieser kulturell, sozial und ethnisch heterogenen Region nicht eher in der mannigfaltigen Verflechtung und Interaktion verschiedener Gruppen zu sehen? Lange Zeit wurde die Sicht der Zentralmacht mit dem Argument eingenommen, man verfüge einfach nicht über genug Quellen aus den "peripheren" Gegenden. Dass diese Argumentation nicht stimmt, hat vor allem Simon Digby (1936-2010) in seinen vielen Arbeiten schon seit Langem gezeigt, zuletzt in dem wegweisenden Artikel "Before Timur Came: Provincialization of the Dehli Sultanate through the Fourteenth Century" [Journal of the Economic and Social History of the Orient 47 (2004), 298-356]. Genau an diesem Punkt setzen nun die beiden Herausgeberinnen des hier zu rezensierenden Sammelbandes an. Francesca Orsini, Professorin für Hindi and South Asian Literature an der School of Oriental and African Studies in London, und Samira Sheikh, Südasienhistorikerin an der Vanderbilt University in Nashville, Tennessee, ist es gelungen, herausragende Regionalexperten und Regionalexpertinnen aus allen Teilen der Welt für das Thema "After Timur Left. Culture and Circulation in Fifteenth-Century North India" zu gewinnen. [1] Diese Spezialisten und Spezialistinnen analysieren in 13 Beiträgen erstaunlich zahlreiche und vielfältige Texte, die bisher nur wenig bis gar nicht im Fokus der Forschung zum 15. Jahrhundert standen: Lokale Sanskriterzählungen (Kapadia), Hindavi- und Apabhramsha-Texte (Sreenivasan, Behl, De Clercq), zweisprachige Inschriften (Sheikh), persische Wörterbücher (Pellò, Karomat) oder poetische Sufiabhandlungen in hybridem Persisch (Orsini). Die Beiträge des Sammelbandes verfolgen somit einen Bottom-up-Ansatz: "we begin with the texts and the voices of Jaints, Sants, Sufis, and devotees and we try to work out the context in which they co-existed, interacted with the local and regional power holders, and developed their own spaces." (36) Neben den unmittelbar textbezogenen Aufsätzen finden wir noch vier Studien zu übergeordneten Themen. Richard Eaton befasst sich mit Frage, welche sprachlichen Strategien die Sultane von Bengalen, Bijapur und Gokonda zur Verbesserung ihrer Administrationen verfolgten. ("The Rise of the Vernaculars: The Deccan 1450-1650", 111-129) Éloïse Brac de la Perrière beschreibt die bemerkenswerte Spannbreite von Schriftarten in arabischen und persischen Handschriften aus der Zeit. ("The Art oft he Book in India under the Sultanates", 301-338) Sunil Kumar widmet sich schließlich einem eher historischen Thema. Er kann sehr gute Argumente zur Stützung der These anführen, dass sich die Rekrutierungspraxis des 16. Jahrhunderts phänomenologisch nicht sehr von der Militärsklaverei des Delhisultanates unterschied. ("Bandagī and Naukarī: Studying Transitions in Political Culture and Service under the North Indian Sultanates, Thirteenth-Sixteenth Centuries", 60-108)
Insgesamt haben wir es mit einem äußert wichtigen Band zu tun, der die bislang immer wieder vorgebrachten Vorstellung eines Niederganges des "Delhisultanates" im 15. Jahrhundert ad absurdum führt. Aus der von den Autoren und Autorinnen eingenommenen Perspektive, die vollkommen überzeugen kann, stellt die lange Epoche zwischen dem Einmarsch Timurs und der Konsolidierung der Mughalherrschaft eine in vielerlei Hinsicht dynamische, innovative und im besten Sinne hybride Zeit dar. Man muss sich nur auf ihre Komplexität, Diversität und Vielschichtigkeit einlassen. Dafür bedarf es allerdings, wie Francesca Orsini in ihrer wirklich ausgezeichneten Einleitung schreibt, der Erschließung und Kontextualisierung neuer, nicht-historiografischer Quellen: "For a richly fluid time like the fifteenth century in north India, literary texts are often the only way we have to write social history, to write individuals and groups, their self-representation and worldview into a picture, which is otherwise a largely empty and dichotomous one of court and people, rulers and dynasties, Muslims and Hindus, men and, of course, hardly any women at all." (3)
Anmerkung:
[1] Neben Simon Digby sind es Sunil Kumar (Department of History, Delhi University), Richard M. Eaton (Department of History, University of Arizona, Tuscon Arizona), Dilorom Karomat (Fellow am Maulana Abul Kalam Azad Institute of Asian Studies, Kolkata, Indien), Stefano Pellò (Dipartimento di Studi sull'Asia e sull'Africa Mediterranea, Università Ca' Foscari, Venedig), Aparna Kapadia (History Department, Williams College, Williamstown, Massachusetts), Ramya Sreenivasan (Department of History, University of Pennsylvania, Philadelphia, Pennsylvania), Aditya Behl (1966-2009), Éloïse Brac de la Perrière [L'Institut d'Art et d'Archéologie, Université Paris-Sorbonne (Paris IV)], Eva De Clercq (Fakgroep Talen and Culturen - India, Universiteit Gent) und Imre Bangha (Faculty of Oriental Studies, Oxford).
Stephan Conermann