Stefan Vogt: Subalterne Positionierungen. Der deutsche Zionismus im Feld des Nationalismus in Deutschland 1890-1933, Göttingen: Wallstein 2016, 496 S., 12 s/w-Abb., ISBN 978-3-8353-1951-6, EUR 49,90
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Stefan Vogts umfangreiche Studie zum deutschen Zionismus der Jahre 1890 bis 1933 wurde 2015 an der Goethe-Universität Frankfurt als Habilitationsschrift angenommen und 2016 bei Wallstein als Monografie publiziert. Vogt untersucht darin die öffentlichen zionistischen Debatten um Nationalismus, Kolonialismus, Antisemitismus, Sozialismus und Nationalsozialismus und deutet diese in postkolonialer Lesart als Formen eines subalternen Nationalismus. Bisherige Studien zum deutschen Zionismus jener Jahre beschäftigten sich überwiegend mit der institutionellen Geschichte oder analysierten den Zionismus im innerjüdischen Diskurs. Mit seiner Arbeit betritt Vogt somit Neuland.
Der Materialreichtum der Studie ist überwältigend und dessen Aufbereitung in einer Monografie ein großes Verdienst. Vogt zitiert umfangreich aus zahlreichen Artikeln, Vorträgen, Büchern sowie Pamphleten und beeindruckt gleichzeitig durch eine breite und tiefe Kenntnis der Sekundärliteratur. Dabei betrachtet er den Zionismus vor allem "als Teil der ideologischen und politischen Debatte um die Nation und den Nationalismus in Deutschland" (14) und nicht - wie überwiegend üblich - im Kontext jüdischer Selbstverständigungsdiskurse. Damit spricht er einerseits dem Zionismus Handlungsfähigkeit zu und sieht ihn nicht allein als Opfer nationalistischer Diskurse in Deutschland (Agency), widerspricht andererseits aber auch der Selbstbeschränkung und Binnenperspektive, die in den deutsch-jüdischen Studien noch immer verbreitet sind, indem er den Zionismus in der Interaktion mit der nichtjüdischen Umwelt untersucht.
Vogts größte Innovation besteht freilich darin, den deutschen Zionismus - in Anlehnung an Antonio Gramsci und Gayatri Chakravorty Spivak - als eine Art subalternen Nationalismus zu fassen, der den hegemonialen Nationalismus in emanzipatorischer Absicht adaptiere und in einen "antihegemonialen Befreiungsnationalismus" umwidme. Dies erinnere "an die ideologischen Strategien antikolonialer Bewegungen", so Vogt. Weiter heißt es: "In beiden Fällen wurde der Nationalismus aus einer subalternen Position heraus mit der Intention der eigenen Emanzipation formuliert. In beiden Fällen bedeutet dies zugleich eine Subversion und eine Affirmation des hegemonialen Nationalismus." (111f.) Damit stellt sich Vogt sowohl gegen jene revisionistischen Positionen, die den Zionismus in denunziatorischer Absicht in die Nähe des Nationalsozialismus rücken, als auch gegen diejenigen, die ihn als humanistische Variante des deutschen Nationalismus verteidigen. Beides führe in die Irre, so Vogt, da der Zionismus hegemoniale Diskurse emanzipatorisch zu wenden versuchte, diese Diskurse damit aber sowohl fortschrieb als auch änderte.
Vogts Analyse bewegt sich überwiegend auf einer semantischen Ebene. Dem zugrunde liegt der methodische Ansatz, die zionistischen Beiträge als Positionierungen innerhalb eines diskursiven Felds zu verstehen. Der Großteil der behandelten zionistischen Autoren und deren Texte werden von Vogt herangezogen, um sie in ihrem semantischen Gehalt zu analysieren und auf diese Weise mit den nationalistischen, antisemitischen, rassistischen und völkischen Konzepten nichtjüdischer Autoren zu vergleichen. Nur so ist es möglich, den Zionismus als "völkischen Nationalismus" (durchgängig, aber vor allem in Kapitel 1) zu begreifen, weil bei ihm ebenso wie bei den Völkischen Begriffe von "Volk", "Blut" oder "Nation" zentral sind. Völkischen Nationalismus auf Begriff und Semantik zu reduzieren, ignoriert jedoch dessen materielle Wirklichkeit. Dieser ist vielmehr die ideologische Klammer der völkischen Bewegung, die die Juden ausgrenzen, vertreiben oder vernichten wollte und ab den 1930er-Jahren diesbezüglich auch zur Tat schritt. Diese absolute Differenz kann auch durch semantische Nähe nicht aufgelöst werden.
Diese begriffliche Unschärfe hängt aber auch damit zusammen, dass Vogt den Zionismus nahezu vollständig von seinen jüdischen Bezügen trennt. Damit geht jedoch erhebliches Erkenntnispotential verloren. Auch wenn sich der Zionismus vorwiegend als säkulare Bewegung verstand, waren jüdische Religion, Geschichte und Kultur dennoch im großen Maße in ihm aufgehoben - und das nicht nur bei den religiösen Zionisten des Misrachi. Wenn die Zionisten von "Volk" und "Nation" sprachen, waren damit nicht allein Kategorien des bürgerlichen Nationalstaats aufgerufen, sondern immer auch die sakralen und liturgischen Bedeutungen von "jüdischem Volk" und "jüdischer Gottesnation". Vogt referiert an mehreren Stellen im Buch zionistische Darstellungen, allen voran Martin Bubers, nach denen der Einigung des jüdischen Volks die Einigung der Menschheit zu folgen habe und vermutet hierin eine "Synthese von völkischen und universalistischen Vorstellungen." (108, in gleicher Diktion: 15, 48, 49, 73-75, 82, 92, 104, 106, 110). Diese Vorstellungen sind aber eigentlich weniger universalistisch im politischen Sinne - und schon gar nicht völkisch -, sondern vor allem jüdisch-religiöser Herkunft. Sie beruhen nämlich auf dem traditionellen jüdischen Konzept der Tikun Olam (Heilung der Welt), nach dem die Juden angehalten sind, nicht nur für das eigene, sondern für das Wohl der gesamten Menschheit einzutreten. Und zuletzt ist es fraglich, ob man die Überlegungen einiger Zionisten zur politischen Neuordnung Osteuropas und des Nahen Ostens im und nach dem Ersten Weltkrieg tatsächlich als "enge Verflechtung deutscher und zionistischer Kolonialdiskurse und Kolonialpraktiken" (185) bezeichnen kann, oder nicht doch lieber als eine Form traditioneller jüdischer Interessenvertretung, also als eine in die säkulare Moderne übertragene Form der "Shtadlanut".
Diese Form der Darstellung bewirkt schließlich, dass aus dem Ganzen kein richtiges Bild entstehen will. Der Leser bekommt kaum eine Vorstellung davon, welche Bedeutung den ausgeführten Debatten zukam und welche Wirkung sie sowohl im jüdischen als auch im allgemeinen Diskurs entfalteten. Waren sie jemals mehr als jener berühmte "Schrei ins Leere", als den Gershom Scholem das angebliche deutsch-jüdische Gespräch später bezeichnen sollte? Genauso wenig erfährt man auch über die politische Relevanz der behandelten Autoren und deren biografische Entwicklungen. Hans Kohn beispielsweise wird nur als glühender jüdischer Nationalist porträtiert, seine spätere fundamentale Abkehr von Zionismus und Nationalismus kaum thematisiert. Auch Nahum Goldmann - um nur einen weiteren Protagonisten zu nennen -, einer der größten jüdischen Kosmopoliten des 20. Jahrhunderts, erscheint hier durch die eklektische Auswahl einiger seiner Frühschriften als kleingeistiger deutsch-jüdischer Nationalist.
So einleuchtend das Konzept des "Subalternen Nationalismus" zunächst erscheint, so fraglich ist aber letztendlich, welches Erkenntnispotential es enthält. Denn Vogts Analysen gehen kaum über den Begriff selbst hinaus. In jedem der sechs Kapitel wird eine bestimmte Debatte - wie Nationalismus, Rassismus oder Kolonialismus - beschrieben und in eine ziemlich ähnliche Diagnose überführt: Die zionistische Variante der jeweiligen Ideologie war immer eine Mischung aus Affirmation und Subversion. Die Schlussanalysen sind dabei jeweils nahezu identisch, teilweise bis in den Wortlaut hinein. Um Ambivalenz und Offenheit abzubilden, unterlässt Vogt eindeutige Zuschreibungen und Urteile, enthält sich damit aber auch eindeutiger Wertungen. Somit ist alles immer "sowohl als auch", "einerseits-andererseits" "ambivalent", "hybrid" und "vielschichtig" - Begriffe und Begriffspaare, die auf jeder zweiten bis dritten Seite zu finden sind.
Schlussendlich stehen über diesem gesamten Komplex eine methodische und eine inhaltliche Frage - zum einen, ob postkoloniale Theorie tatsächlich zu einem erweiterten Verständnis der Thematik beitragen und zum anderen, ob der Zionismus allein als Positionierung im Feld des deutschen Nationalismus begriffen werden kann, oder ob er nicht doch besser als eine spezifische jüdische Antwort auf die unvollendete oder auch verweigerte Emanzipation zu verstehen ist.
David Jünger