Sebastian Baden: Das Image des Terrorismus im Kunstsystem, München: edition metzel 2017, 632 S., ISBN 978-3-88960-157-5, EUR 38,00
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Unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wurden Stimmen laut, die eine Nähe zwischen den Terrortaten und der Avantgardekunst beschworen, deren Vertreter mitunter als Wegbereiter des modernen Terrorismus gehandelt wurden. Angefeuert wurde diese Debatte vor allem durch den Kommentar des Komponisten Karlheinz Stockhausen, der die Flugzeugeinstürze auf die Türme des World Trade Centers in New York als "das größte Kunstwerk" bezeichnete "das es überhaupt gibt für den ganzen Kosmos." [1] Diese viel kritisierte Aussage Stockhausens bildet auch den Ausgang und wiederkehrenden Fixpunkt in Sebastian Badens Monografie Das Image des Terrorismus im Kunstsystem (2017), das als überarbeitete Fassung seiner Dissertation erschien. Eine Motivation seiner Untersuchung bestand darin, so schreibt der Kunsthistoriker in seiner Einleitung, "nachvollziehbar zu machen, welche dem Kunstsystem immanenten Beweggründe den Komponisten - und nicht nur ihn - zu seiner künstlerischen Eifersucht auf den Terrorismus veranlassten" (44). Herausgekommen ist eine umfangreiche Studie, die das komplexe Verhältnis zwischen politischem Terrorismus und Kunstsystem multiperspektivisch aufarbeitet.
Das ambitionierte Buchprojekt lässt drei wesentliche analytische Stoßrichtungen erkennen: Erstens, eine Untersuchung der Bedeutung, die die 'Terrorismus'-Metapher für die künstlerische Avantgarde hatte (und immer noch hat). Zweitens, eine bildwissenschaftliche Untersuchung des politischen Terrors selbst, und drittens die Frage nach einer "Kritikalität", wie sie mitunter durch eine künstlerische Aneignung der Terrorbilder geleistet wird. Die mit dreizehn thematischen Kapiteln sehr umfangreiche Struktur des Buches mag diese Ebenen auf den ersten Blick etwas verunklären. Dennoch gelingt es dem Autor, durch zahlreiche Verbindungen und Querbezüge, die disparaten Perspektiven und Kontexte der Untersuchung zu einem schlüssigen Gesamtbild zusammenzufügen.
Zum einen nimmt Baden eben jene strukturellen Analogien zwischen Terrorismus und künstlerischer Avantgarde in den Blick, die von Kunstkritikern nach 9/11 aufgerufen wurden. Entsprechend seiner "Ausgangsthese von der gleichzeitigen Initiation des modernen Terrorismus und des modernen Kunstsystems zum Zeitpunkt der Französischen Revolution" (46), richtet Baden seinen Blick auf die Frage, wie die Haltung des terreur in die Kunst diffundierte und von Avantgardisten als "revolutionärer Pathos" (41) übernommen wurde. Am Beispiel des "Proto-Avantgardisten" (170) Jacques-Louis David zeigt Sebastian Baden, wie Künstler zu Erfüllungsgehilfen der französischen Revolution wurden, indem diese ein bestimmtes 'Image' der Revolution vorantrieben und die Akteure des terreur als Märtyrer popularisierten. Dabei ging es auch um eine radikale Erweiterung des Kunstsystems selbst. In Abgrenzung zum System der Académie Royale strebten Künstler wie David nicht nur eine Demokratisierung der Kunst an, sondern wollten den politischen mit einem künstlerischen Radikalismus verbinden.
Der wegen seines kritischen Potentials geschätzte Terrorismusbegriff erfuhr im Kunstsystem anschließend eine regelrechte Konjunktur. Dabei spannt Sebastian Baden den Bogen sehr weit auf: Ausgehend von der französischen Revolution, über die Kunstkritik der Romantik (Kapitel 6), Richard Wagners Revolutionsfantasien (Kapitel 7), die Manifeste der DADAisten, Futuristen und Surrealisten (Kapitel 8), die Destruktionsästhetik der Neo-Avantgarden (Kapitel 9) bis hin zur "Revolution als Gesamtkunstwerk bei Joseph Beuys" (Kapitel 10) wird die "künstlerische Affinität zur Terrorismusmetapher" (56) bis heute nachgezeichnet. Das Begehren der Avantgarden nach einer rhetorischen Mimesis des Terroraktes spiegelt sich schließlich auch in der Äußerung Stockhausens von 2001 wider. Der Autor spricht hier von einer "metaphorischen Geiselhaft" durch die Bilder, deren Wirkmacht offenbar so einnehmend war, dass sie Neidreaktionen unter Künstlerinnen und Künstlern provozierte und zu einer Überidentifikation mit den Terroristen führte (476-7). Baden führt in diesem Zusammenhang den treffenden wie prägnanten Begriff des "Stockhausen-Syndroms" ein, das ebenso bei Künstlern wie Damien Hirst und Anselm Kiefer oder beim Kurator Harald Szeemann zu beobachten war (Kapitel 12).
Umgekehrt richtet sich der Blick des Autors aber auch auf die Frage, inwiefern sich die terroristischen Akteure in ihrer Propaganda ästhetischer und medialer Mittel bedienen, die wiederum vom Kunstsystem beeinflusst sind. Diese zweite Stoßrichtung seiner Analysen fußt auf der Definition von Terrorismus als Kommunikationsstrategie (bzw. einer Kommunikationsstörung), die Bilder als Dreh- und Angelpunkte terroristischer Akte begreift. [2] Indem die Kommunikation von Terroristen auf Effekte wie Überraschung und Verfremdung setzt und etwa subversive Bildcollagen verwendet, ist sie, so Sebastian Badens kunsthistorische Perspektive, mit den modernen künstlerischen Avantgarden verwandt (57).
Auch hier fächert Baden eine disparate Bandbreite auf, die von den Flugblättern der französischen Revolutionäre, über die Medienstrategien der RAF bis hin zu den Videobotschaften Osama Bin Ladens und den Enthauptungsvideos des sogenannten Islamischen Staats reicht (Kapitel 3). [3] Die Mediensphäre des Terrorismus wird aber auch auf die Untersuchung popkultureller Appropriationen sowie der Entwicklung von Internet-Memen ausgeweitet (Kapitel 4).
Eine dritte zentrale Fragestellung betrifft schließlich die Möglichkeiten zeitgenössischer Kunst jenseits des "Stockhausen-Syndroms". "Die Schicksalsfrage der Kunst im Zeitalter ihrer terroristischen Reproduzierbarkeit", so schreibt Sebastian Baden, "kann letztlich dahingehend beantwortet werden, dass die Post-Avantgarde in der Kunst nicht mehr mit Terroristinnen und Terroristen um Aufmerksamkeit konkurrieren kann. Ihre Aufgabe besteht in beständiger kritischer Reflexion der Mediengesellschaft." (49) Insbesondere in Kapitel 11 diskutiert der Autor Kunstwerke, die sich mal mehr, mal weniger kritisch mit den Bildern des Terrorismus auseinandersetzen. Statt einer Verneigung und Kapitulation vor den Terrorbildern (à la Stockhausen) unternehmen die hier untersuchten Künstlerinnen und Künstler Versuche der Dekonstruktion. Den Bildern des Terroraktes werden Gegenbilder, Re-mediatisierungen oder Re-enactments entgegengesetzt, die einen veränderten Blick auf das Medienereignis ermöglichen und als Instanz der Reflexion funktionieren. Die Appropriationen der 9/11-Pressefotos von Hans-Peter Feldmann, Christoph Draeger oder Thomas Ruff sind hierfür nur ein Beispiel.
Insgesamt zeichnet Sebastian Baden in einer beeindruckenden Dichte und Literaturkenntnis die wichtigsten Linien des wechselseitigen Verhältnisses zwischen Terror und Kunst nach. Allein der Umfang der rund 600 Seiten umfassenden Monografie, aber auch die historisch wie analytisch breit aufgestellte Perspektive des Autors rücken das Buch teilweise eher in den Status eines Nachschlagewerks. Als besonders hilfreich erweist sich daher auch der Index mit Stichwörtern. Neben großen Verbindungslinien (Kapitel 1) bietet die Studie zahlreiche lesenswerte Einzeluntersuchungen, die gerade die Komplexität der untersuchten Problematik vor Augen führen. Die nach 9/11 angestoßene Debatte erhält damit eine fundierte wissenschaftliche Aufarbeitung, die in diesem Umfang bislang nicht geleistet wurde.
Anmerkungen:
[1] Karlheinz Stockhausen: "Huuuh!" Das Pressegespräch am 16. September 2001 im Senatszimmer des Hotel Atlantic in Hamburg mit Karlheinz Stockhausen, in: MusikTexte. Zeitschrift für Neue Musik 19 (2001), H. 91, 69-77.
[2] Bruce Hoffman: Terrorismus. Der unerklärte Krieg, Frankfurt am Main 2008 (engl. 1998); Herfried Münkler: Die neuen Kriege, Hamburg 2003; Peter Waldmann: Terrorismus. Provokation der Macht, 3. Aufl., Hamburg 2011 (1998).
[3] Auf die Muster der Bildberichterstattung nach Terrorattentaten ist zuletzt auch die Kunsthistorikerin Charlotte Klonk eingegangen. Charlotte Klonk: Terror: Wenn Bilder zu Waffen werden, Berlin 2017.
Verena Straub