Rachel Fulton Brown: Mary and the Art of Prayer. The Hours of the Virgin in Medieval Christian Life and Thought, New York: Columbia University Press 2018, XLII + 629 S., 25 s/w-Abb., 3 Tabl., ISBN 978-0-231-18168-6, USD 75,00
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John Marenbon: Pagans and Philosophers. The Problem of Paganism from Augustine to Leibniz, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2015
Andreas Odenthal: Liturgie vom Frühen Mittelalter zum Zeitalter der Konfessionalisierung. Studien zur Geschichte des Gottesdienstes, Tübingen: Mohr Siebeck 2011
"The history of prayer, with which this book is much concerned, is as difficult to write as the history of sex, and for some of the same reasons. Both activities are intensely personal and in the nature of things not readily accessible to objective analysis." Dies ist kein Zitat aus dem zu besprechenden Buch, sondern ein Bonmot von Eamon Duffy. [1]
Allerdings steht Rachel Fulton Brown in ihrem Buch vor derselben Schwierigkeit, aber sie begegnet ihr auf völlig andere Weise. Während sich Duffys Werk als eine Sozial- und Mentalitätsgeschichte spätmittelalterlicher Laienfrömmigkeit charakterisieren lässt [2], fällt es schwer, Fulton Browns Buch auf eine Kurzformel zu bringen. Sein Ziel liegt jedenfalls jenseits objektiver Analyse (XXIV-XXX): "The book's manner or method of treating its subject is expected to be somewhat challenging, crossing as it does the boundaries that modern scholars typically place between observation and experience, [...]" (XVIII). So lädt die Autorin den Leser ein, sich in einen mittelalterlichen Beter zu versetzen - und sei es nur als Experiment (XXIV). An einer typischen Stelle klingt das so: "Filled with the knowledge of the Lady and her Lord and burning with love for them both, you fall to your knees, prayers pouring from your lips." (345)
So richtig funktioniert das nicht. Nicht nur der Leser, auch die Autorin lebt nicht mehr im Mittelalter. Die neuzeitliche Kritik an der mittelalterlichen Marienverehrung kann sie nicht ignorieren. Dadurch gewinnt ihre forcierte Vergegenwärtigung jedoch einen Zug ins Trotzig-Verkrampfte. Statt der Süße, die sie den Beter schmecken lässt (49), hinterlassen einzelne Partien eher einen leicht apologetisch-säuerlichen Geschmack.
Hier muss allerdings möglichen Missverständnissen vorgebeugt werden. Es handelt sich nicht um ein Andachtsbuch und es ist keine Anweisung zu einer Art spirituellem Mittelalter-Reenactment (obwohl der Klappentext das anzudeuten scheint: "Would you like to learn to pray like a medieval Christian?"). Vielmehr handelt es sich um eine wissenschaftliche Monographie, welche die Standards des Fachs erfüllt, wie die 1600 Endnoten (485-562) zeigen. Insofern meint die Aussage, das Ziel des Werkes liege jenseits objektiver Analyse, dass es darüber hinaus strebe. Ob es dieses Ziel erreicht, muss jeder Leser für sich entscheiden. Im Folgenden soll allein die Qualität als wissenschaftliche Monographie zur Diskussion stehen.
Das Thema des Buches ist das (kleine) Marienoffizium (Officium parvum beatae Mariae virginis), ein klösterliches Sonderoffizium, das zunächst fakultativ an die kanonischen Gebetsstunden angehängt und später verpflichtend wurde. Wegen seiner einfachen Form eignete es sich auch für Laien. So ist es als Kern der tausendfach verbreiteten Stundenbücher zu einer der populärsten Gebetsformen des Spätmittelalters geworden. Diese Geschichte schildert das erste Kapitel.
Die folgenden Kapitel behandeln dann einzelne Gebetstexte des Offiziums, das Ave Maria (Kap. 2), die Psalmen mit ihren Antiphonen (Kap. 3), die Lesungen und Responsorien (Kap. 4) und die (Kollekten-)Gebete (Kap. 5). Allerdings trifft dies genau genommen nur auf Kap. 3 zu. Die anderen beginnen zwar, indem sie eine Reihe der betreffenden Gebetstexte anführen und die Gebetsweise erläutern (in dem oben zitierten Stil), aber recht schnell zu Inhalten wechseln, die allenfalls locker mit den Gebeten verbunden sind: zu den Namen Mariens (Kap. 2), drei mariologischen Traktaten (Kap. 4) und verschiedenen mariologischen Themen (Kap. 5).
Hier zeigt sich bereits ein Problem des Buches. Die einzelnen Gebetstypen, deren Kombination den Aufbau der Gebetsstunden prägt, werden auf einzelne Kapitel verteilt, so dass ihr Zusammenspiel nicht mehr recht deutlich wird. Zwei tabellarische Übersichten (3-4. 168-169) können dieses Manko nicht beheben. Ohnehin sucht man Erklärungen zum Zusammenspiel der einzelnen Texttypen zumeist vergeblich. Auch etwa der Aufbau und die Sprachgestalt eines typischen (Kollekten-)Gebets werden nicht erklärt.
Überhaupt bleibt der Ertrag des umfangreichen Werkes enttäuschend mager. Das liegt daran, dass viel zitiert wird und noch mehr paraphrasiert und referiert, aber kaum argumentiert und interpretiert. Dies gilt vor allem für die in aller Breite behandelten mariologischen Traktate. Besonders haben es der Autorin die Epitheta Mariens angetan. An sich könnte das ein spannendes Thema sein, wenn man untersuchte, wann sie im Einzelnen aufgekommen sind, auf welche Bibelstellen sie sich beziehen (die werden immerhin genannt), welche hermeneutischen Operationen die Zuschreibung an Maria erst ermöglicht haben, ob einzelne Motive im Laufe der Zeit ihre Bedeutung verändert haben, wie sie sich in den Gebetstexten widerspiegeln usw. Leider weitgehend Fehlanzeige! Stattdessen werden die Epitheta mit quälender Redundanz aus immer wieder neuen Quellen zitiert oder paraphrasiert, was das Buch über weite Strecken zu einer zähen Lektüre macht.
Aus diesem Schema fällt Kap. 3 heraus. Zum einen werden hier Antiphonen und Psalmen direkt aufeinander bezogen, zum anderen stehen Gebetstexte und Ausführungen zum theologischen Hintergrund nicht unverbunden nacheinander. Vielmehr versucht die Autorin das mittelalterliche Verständnis der Psalmen in einer Exegese zu erhellen, die sich vornehmlich auf Augustinus und Cassiodor stützt. Das Ergebnis besitzt übrigens eine gewisse Ähnlichkeit mit mittelalterlichen Bibelkommentaren. Insofern bildet das Kapitel nicht nur der Abfolge nach den Mittelpunkt des Buches. Das tut es allerdings auch in einem problematischeren Sinne. Die Autorin selbst nennt es "most speculative" (XXXVI). Sie liest nämlich die Psalmen des Offiziums durch die Brille der 'Tempeltheologie' der Methodistenpredigerin Margaret Barker, die eine sehr eigenwillige Interpretation der Geschichte des Jerusalemer Tempels, des (frühen) Christentums und Mariens vertritt. Mit dieser Interpretation glaubt Fulton Brown das tiefste Fundament der von ihr untersuchten Marienfrömmigkeit freigelegt zu haben, obwohl sie einräumen muss, dass dafür explizite Quellenaussagen fehlen (165).
Resümierend muss man feststellen, dass dieses ebenso gewagte wie ambitionierte Unternehmen nicht geglückt ist. Das liegt nicht - jedenfalls nicht nur - an den Grenzüberschreitungen der Autorin. Deshalb sollte diese Kritik auch nicht als ängstliche Warnung wissenschaftlicher Pedanterie vor derartigen Grenzüberschreitungen verstanden werden. Vielmehr bleibt sie wissenschaftsimmanent wie die ganze Rezension. Fulton Brown ist es nicht gelungen, "the art of prayer" (um den Titel zu zitieren) herauszuarbeiten. Dafür hätte sie die Gebetstexte präziser untersuchen und die Darstellung der mariologischen Traktate schärfer auf die Gebete und ihre Motive fokussieren müssen. Statt durch präzise philologische Arbeit und argumentative Klarheit zu überzeugen, erschlägt sie den Leser durch die Masse bloß referierten Materials.
Anmerkungen:
[1] Eamon Duffy: Marking the Hours. English People and their Prayers 1240-1570, New Haven-London 2006, IX.
[2] Vor allem, wenn man die einschlägigen Abschnitte aus einem früheren Werk hinzunimmt: Ders.: The Stripping of the Altars. Traditional Religion in England c. 1400 - c. 1580, New Haven-London 1992, 207-298.
Stephan Waldhoff