Agnes Bresselau von Bressensdorf: Frieden durch Kommunikation. Das System Genscher und die Entspannungspolitik im Zweiten Kalten Krieg 1979-1982/83 (= Studien zur Zeitgeschichte; Bd. 88), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2015, VII + 385 S., ISBN 978-3-11-040464-7, EUR 54,95
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Das Erscheinungsdatum dieses Buches, das einen instruktiven Beitrag zur Außenpolitik der Bundesrepublik in einer Krisenphase der internationalen Politik darstellt, liegt nun schon einige Jahre zurück. Dass es erst jetzt in den sehepunkten vorgestellt wird, liegt nicht in der Verantwortung des Rezensenten. Untersucht wird die Rolle von Außenminister Genscher in den Krisen um Afghanistan und Polen, die der sowjetische Einmarsch im Land am Hindukusch und die Ausrufung des Kriegsrechts durch die polnische Führung hervorgerufen haben. Die westdeutschen Außenminister hatten und haben bis heute oft einen schweren Stand. In Fragen, die eigentlich in ihr Ressort fielen, wollten die Regierungschefs die Fäden in der Hand halten. In der Bundesrepublik setzte schon der erste Kanzler den Ton. Während der Großen Koalition hatte Außenminister Brandt notgedrungen mit dem ostpolitischen Zögern der Unionsparteien zu leben, um danach als Bundeskanzler der Außenpolitik umso stärker seinen Stempel aufzudrücken. Für Walter Scheel als Außenminister der sozial-liberalen Regierung ergaben sich daraus gelegentliche Unstimmigkeiten, die aber wegen der inhaltlichen Übereinstimmung nicht wirklich zu Buche schlugen. Vielleicht hat sich auch deshalb niemand gefunden, Scheels Amtsführung eine eigene Monografie auf der heute zur Verfügung stehenden breiten Quellengrundlage zu widmen. Für seinen Nachfolger Hans-Dietrich Genscher hat Agnes Bresselau von Bressensdorf in ihrer Münchener Dissertation genau dies unternommen, wenn auch nur für einen vergleichsweise kleinen Abschnitt der längsten Amtszeit, die je ein westdeutscher Bundesminister des Auswärtigen verzeichnen konnte.
Genscher hatte es mit Helmut Schmidt als Bundeskanzler zu tun, der global dachte und mit den führenden Regierungschefs europa- und weltweit auf Augenhöhe zu sprechen in der Lage war. Seine "Verdienste" für die "internationalen Beziehungen der Bundesrepublik" will die Autorin "in keiner Weise" schmälern. Genscher aber sei es gewesen, "der die Entspannungspolitik zum Kernthema seiner Agenda entwickelte." (3) Dass der Interaktion von Kanzler und Außenminister im außenpolitischen Entscheidungsprozess nicht nachgegangen wird, kann man bedauern, schmälert aber nicht den Ertrag der Studie, die aus der Perspektive Genschers zuverlässig über Inhalt und Stil seiner Politik informiert. Die verbindliche Zielsetzung und die zentrale Kategorie nicht nur Genschers Außenpolitik geben der Arbeit ihren Titel - Frieden und Kommunikation. Von Beginn an war die bis 1990 nur teilsouveräne Bundesrepublik in die von den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs vorgegebenen Strukturen eingefügt, sodass die Abstimmung mit dem internationalen Umfeld und multilaterales Handelns zum Markenzeichen westdeutscher Außenbeziehungen wurden. Im Laufe der 1960er-Jahre wurde Kommunikation auch in den Beziehungen mit der Sowjetunion und deren Verbündeten zu einem Schlüsselbegriff, der dann in der Ära Brandt wie kein anderer die sozial-liberale Ostpolitik bestimmte. Genscher konnte als Außenminister an die Praxis anknüpfen, die er als Innenminister im Kabinett Brandt miterlebt hatte. Bereits in dieser Zeit sind auch die Elemente eines "Systems Genscher" sichtbar. Damit sind "die Mechanismen und Funktionslogiken der Machtgenerierung und -ausübung Genschers" gemeint, die er ab 1974 als Parteivorsitzender und Vizekanzler an der Spitze des Auswärtigen Amts weiter ausbaute und zu deren Instrumentarium eine gezielte Medienpolitik und eine dauerhafte Medienpräsenz zählten. Besondere Aufmerksamkeit wird der "Instrumentalisierung der Medien als Mittel auswärtiger Politik" (25) geschenkt.
Mit Genschers Amtsantritt erfuhr die Öffentlichkeitsarbeit des Auswärtigen Amts einen "nachhaltigen Professionalisierungsschub" (57). Eindrucksvoll wird dargestellt, wie der allgegenwärtig wirkende Außenminister als "Kommunikator und Dolmetscher zwischen antagonistischen Polen" (82) agierte. Nach der sowjetischen Intervention in Afghanistan plädierte er für fortgesetzte Dialogbereitschaft und wollte hektisch wirkende Sanktionen à la Carter vermieden wissen. Das Großprojekt der Entspannung in Europa sollte nicht aufs Spiel gesetzt werden. Innerwestliche Differenzen mussten dafür in Kauf genommen werden. In Moskau dachte allerdings niemand daran zurückzustecken, sodass das Bonner Bemühen um Deeskalation ohne Auswirkung auf die Machtprojektion der Supermacht blieb. Die entspannungspolitische Grundorientierung sollte auch im Zuge der innerpolnischen Konflikte unbedingt erhalten werden. Genschers Gesprächsdiplomatie und seine Kommunikationsstrategie wurden abermals auf eine harte Probe gestellt, als Präsident Reagan nach der Ausrufung des Kriegsrechts in Polen im Dezember 1981 ohne vorherige Konsultationen mit den Verbündeten Sanktionen gegen Polen und die Sowjetunion verhängte. Die Autorin nennt es "diplomatischen Aktionismus" und spricht von einer Haltung des "Sowohl-als auch" (318f.). Greifbare Erfolge konnten sich nur in entspannungsgünstigen Konstellationen einstellen, wie sie sich 1982/83 herausschälte, als ein Scheitern der KSZE-Folgekonferenz von Madrid verhindert werden konnte und die zugleich beschlossene Stockholmer Konferenz über Vertrauensbildung und Abrüstung in Europa zu Optimismus Anlass gab.
Es liegt wohl in der Natur der Sache, dass die Autorin mit ihrem "akteurszentrierten Ansatz" (14) ganz auf Genscher fokussiert ist und sich dessen Terminologie verpflichtet fühlt. So versah Genscher (in Übereinstimmung mit Schmidt) seine Entspannungspolitik mit dem Epitheton "realistisch". Die Verfasserin folgt ihm darin und grenzt ihn damit vom "ostpolitischen Visionär Brandt" (86) ab. Die Regierung Schmidt / Genscher sei sich der Grenzen ihrer Entspannungspolitik bewusst gewesen und habe stärker die eigene Verteidigungsbereitschaft betont. Dabei handelt es sich allerdings um die Übernahme von Genschers Selbstdarstellung, die die tatsächlich bestehende sicherheitspolitische Kontinuität ausblendet. Die angeblich weniger realistische "ostpolitische Aufbruchstimmung der Ära Brandt" (15) dient als Kontrastfolie, um das spezifische Konfliktverhalten im Untersuchungszeitraum, dem sogenannten Zweiten Kalten Krieg, umschreiben zu können. Was im Titel des Buches noch als feststehender und scheinbar allgemein gebräuchlicher Begriff erscheint, wird im Text relativierend immerhin in Anführungsstriche gesetzt. Der Terminus "Zweiter Kalter Krieg" sei nicht als "Analyseinstrument" zu verstehen. Vielmehr verweise er auf den "zeitgenössischen Horizont" mit seinen "Sorgen vor einer Rückkehr der Konfrontationspolitik der 1950er Jahre" (2f.). Um der subjektiven Begriffsbildung der Zeitgenossen zu entgehen, wäre zu überlegen, ob die im Übergang von den 1960er- zu den 1970er-Jahren einsetzende Entspannung im Ost-West-Konflikt als durchgehender Prozess betrachtet werden sollte, sodass der Zweite Kalte Krieg - ob mit oder ohne Anführungsstriche - endlich in das Reich der Fabel verbannt werden könnte.
Gottfried Niedhart