Gaël Chenard: L'Administration d'Alphonse de Poitiers (1241-1271) (= Bibliothèque d'Histoire Médiévale; 18), Paris: Classiques Garnier 2017, 584 S., 13 Tabl., ISBN 978-2-406-06016-1, EUR 58,00
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Nach der Lektüre des Buches bleiben zwei Eindrücke zurück: italienisch spräche man von pressappochismo und man ist verwundert angesichts derartig gezielter Fehler - und damit ist nicht die Arbeit von Chenard gemeint, sondern vielmehr das Urteil über die Verwaltung des Grafen von Poitiers! Doch fangen wir vorne an.
Chenard hat sich des weniger bekannten Bruders Ludwigs des Heiligen angenommen, der für die Forschung immer als "Steigbügelhalter" im Schatten des Königs stand: Alfons habe dessen Projekt der Zentralisierung und der Staatswerdung Frankreichs in seinem Einflussbereich vorangetrieben. [1] In diesen thematischen Gefilden bleibt Chenard dann auch: Nicht die vielen Aspekte des Grafen von Poitiers, sondern seine Verwaltung steht im Mittelpunkt des Interesses. Und auf diesem Gebiet dürfte Chenard die Diskussion nicht nur wesentlich bereichert, sondern in einigen Punkten grundsätzlich revidiert, eventuell auch abschließend geklärt haben. Ausblicke auf noch unzureichend erforschte Bereiche gibt er darüber hinaus auch (525). Ein angesichts des Umfangs und der Fülle des Werks vergleichsweise schlankes Literaturverzeichnis (549-568), ein Personen- (569-576) und ein Ortsindex (577-581) beschließen den Band. Ein eigentliches Quellenverzeichnis gibt es nicht, die im Fokus der Arbeit stehenden Archivalien des Rechnungswesens, vor allem der Archives nationales, werden in tabellarischer Form auf chronologischer Basis der Jahre 1242-1269 geboten. Das bedeutet auch, dass einige benutzte Archivalien und besonders Handschriften nur in den Anmerkungen nachgewiesen werden. Der geographische Fokus liegt eindeutig auf dem Poitou und der Saintonge, der Midi kommt deutlich seltener zur Sprache. Gerade beim Midi gibt es noch dazu ein West-Ost-Gefälle, da der Toulousain deutlich häufiger vorkommt als die Grafschaft Venaissin, die Alfons interimistisch mitverwaltet hat. [2]
Die Arbeit gliedert sich in drei Teile, wovon der erste dem Lilien-Fürsten, der zweite dem Grafen von Poitiers und der dritte der Zentralverwaltung gewidmet ist. Chenard wählt also einen sehr umfassenden Zugang und klärt im ersten Teil zunächst einmal die großen Linien der kapetingischen Herrschaft im 13. Jahrhundert, vor allem in Gegenüberstellung Alfons' zu König Ludwig IX. Das wird nicht zuletzt vom Forschungsstand diktiert, der Alfons bis zuletzt als treuen Vertreter seines Bruders im Westen und Süden Frankreichs gesehen hat, der noch dazu infolge seiner Treue das königliche Programm in seinen eigenen Gebieten umsetzte. Das vermag Chenard zu korrigieren: Zwar gab es durchaus in der ersten Dekade der Herrschaft Alfons' diese "cordiale entente", die aber keineswegs unverbrüchlich sein sollte. Die Konzeption von königlich legitimierter Herrschaft, die Alfons verfocht, war eine andere als die Ludwigs. In der Folge kam es zu Spannungen und nur Alfons Loyalität - und sein vorzeitiger Tod? - verhinderte, dass sie weiter aufbrachen. Dass Alfons trotz anderer Vorstellungen in seinen Territorien etwas betrieben hat, was man als Umsetzung eines kapetingischen Programms bezeichnen könnte, liegt nicht zuletzt daran, dass er sich für die Administration seiner Gebiete aus demselben Personalpool wie sein Bruder bedienen konnte.
Im zweiten Teil kommt die Verwaltung vor Ort und ihre Wechselwirkung mit dem zumeist in der Île-de-France residierenden Grafen in den Blick. Dabei war es alles andere als nebensächlich, wie Alfons mit seinem lokalen Adel umging, der 1242 zunächst unterworfen werden musste. Der Imperativ des Kreuzzugs wurde auch hier zur Leitlinie seiner Politik: Diesem Ideal ordnete er fast seine ganze Herrschaft unter, was dazu führte, dass er infolge seines Finanzbedarfs vom zunächst angedachten rigorosen Umgang mit zuvor unbotmäßigen Adligen Abstand nehmen musste: Der Kreuzzug musste finanziert werden. Die Rekrutierung des Personals vor Ort wird ebenso gründlich behandelt.
Der dritte Teil führt zu dem eingangs erwähnten Verdikt des pressapochismo und der gezielten Fehler: Die Rechnungslegung der Zentralverwaltung hat, so Chenard, gar nicht das Ziel gehabt, ein laufendes Abbild der realen Finanzsituation zu bieten, sondern hat unter großem Informationsverlust das Ziel gehabt, dem Grafen etwas vorlegen zu können, mit dem dieser umgehen könnte. Darüber hinaus wurde durch die Staffelung von Abrechnung und Zahlungseingang nicht nur der Seneschall oder andere Untergebene in steter Unsicherheit über seine finanzielle Schuld gegenüber der Zentrale gehalten; vielmehr wurde die Rechnungslegung gezielt dazu eingesetzt, die Zahlungspflicht der lokalen Verwalter hochzutreiben. Es wurden also bewusst Fehler zu eigenen Gunsten eingefügt. Dass die Repräsentanten Alfons' vor Ort dann geradezu gezwungen waren, die Bevölkerung unter Druck zu setzen, war der Zentralverwaltung im Sinne des Finanzhaushaltes weitestgehend gleichgültig - was mit dem kapetingischen Ideal der ordentlichen Verwaltung und Justizpflege kontrastiert.
Chenard untersucht eingehend die archivalische Überlieferung, insbesondere aus dem Rechnungswesen der Herrschaftsgebiete Alfons'. Dabei bietet er bedauerlicherweise keine Abbildungen, wohl aber erhellende Organigramme zur Anlage des Rechnungswesens (412-413) und insgesamt neun Tabellen mit seriellen Auswertungen, die er dem Leser zur Visualisierung der Ergebnisse zur Verfügung stellt, ohne expressis verbis auf die jeweilige Tabelle einzugehen.
Manchen Lesern mag unangenehm auffallen, dass vieles nicht vertieft, oder zutreffender: dass vieles vorausgesetzt wird. Ein Vorwurf an das Buch ist das nicht, da genau dieser Sachverhalt in der Einleitung angekündigt wird (21); die Zielgruppe ist eben nicht der interessierte Laie oder Studierende bei der Ersteinarbeitung, sondern Wissenschaftler, die sich gerade konkret mit der Verwaltung (im Frankreich des 13. Jahrhunderts) befassen. Vermutlich ist in diesem Zusammenhang ein weiterer möglicher Kritikpunkt zu sehen: Bei aller Diskussion der graphischen Gestaltung etwa der Rechnungslegung werden nur wenige Punkte vertieft und genauer beschrieben. Da mag die Bereitstellung der Digitalisate durch die Bibliothèque nationale de France als ein Remedium bereits einkalkuliert gewesen sein; [3] das reichlich herangezogene Archivmaterial, vor allem aus den Archives nationales, oder Handschriften aus anderen Bibliotheken ist auf diesem Wege allerdings nicht zugänglich. Der Autor durfte annehmen, dass seine Zielgruppe die Dokumente vor Augen hat. Diese Form, Kenntnisse vorauszusetzen, betrifft allerdings auch hin und wieder Personen oder Sachverhalte. Wer Gérard de Montaigu (476) war, ist dem eingeweihten Leser bekannt, andere müssen sich erst auf die Suche machen. Dass bei der Rechnungsführung der Übertrag der Summen von einem anderen Schreiber vorgenommen wurde, scheint unter den Fachleuten ebenfalls bekannt zu sein (392).
Summa summarum hat Chenard eine minutiöse und umfassende Arbeit zu Alfons von Poitiers und seiner Verwaltung vorgelegt, die die Forschung in diesem Bereich und zur Verwaltungsgeschichte des 13. Jahrhunderts insgesamt bereichern wird. Der Text ist erfreulich gut redigiert. An einigen Stellen gibt es Redundanzen, die aber nicht ärgerlich sind - gerade für Leser, die die Geschichte des Grafen von Poitiers nicht bereits verinnerlicht haben, vielmehr folgt er der Maxime repetitio mater studiorum, da bereits früher behandelte Sachverhalte auch im aktuell behandelten Aspekt von Bedeutung sind.
Anmerkungen:
[1] So der Tenor der hier die Forschung prägenden Arbeit: Edgard Boutaric: Saint Louis et Alphonse de Poitiers: étude sur la réunion des provinces du Midi et de l'Ouest à la Couronne et sur les origines de la centralisation administrative, Paris 1870, online abrufbar etwa über https://archive.org/details/saintlouisetalfo00boutuoft (10.07.2018).
[2] Somit bleibt der Venaissin vor 1270 von der jüngeren Forschung zur Verwaltungsgeschichte wenig behandelt. Valérie Theis: Le gouvernement pontifical du Comtat Venaissin. Vers 1270 - vers 1350 (Collection de l'École française de Rome; 464), Rome 2012, verweist naturgemäß nur gelegentlich auf die Zeit vor der Überstellung an den Papst.
[3] Etwa bei mss. lat. 9018 (herangezogen 341), 9019 (herangezogen 416), 9376 (herangezogen 406), 9996 (herangezogen 478), 10918 (herangezogen 488), 17089 (herangezogen 449) ist das möglich, nicht aber bei ms. lat. 4580 (herangezogen 297).
Andreas Kistner