Rabea Limbach: Die Briefkopierbücher des Speyerer Handelshäuser Joh. Hein. Scharpff und Lichtenberger & Co. (1815-1840). Handeln in institutioneller Unsicherheit (= Perspektiven der Wirtschaftsgeschichte; Bd. 7), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2018, 346 S., 10 s/w-Abb., 7 Tbl., ISBN 978-3-515-12047-0, EUR 58,00
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Ausgangspunkt dieser methodisch wie empirisch sehr interessanten Untersuchung ist die Überlieferung zweier Handelshäuser. Der 1754 geborene Johann Heinrich Scharpff stammte aus dem alteingesessenen Speyrer Bürgertum und betrieb in der Stadt einen Handel mit Tabak, Wein und anderen Waren. Zeitweilig unterhielt er auch eine Tabakmanufaktur; er investierte zudem in Immobilien. Um 1820 trieb er den Ausbau eines Handelsplatzes und Hafens an der gegenüber von Mannheim gelegenen "Rheinschanze" voran, aus dem die Stadt Ludwigshafen hervorging; ein geplanter Einstieg ins Dampfschifffahrtsgeschäft auf dem Rhein ließ sich aber nicht realisieren. Sein Schwiegersohn Philipp Markus Lichtenberger, Jahrgang 1783, stammte aus einer Juristenfamilie; der Vater war Justizrat in Mannheim gewesen. 1806 zog Lichtenberger ins damals französische Speyer, heiratete Scharpffs Tochter und nutzte unterschiedliche wirtschaftliche Chancen im Bereich des Handels, der Verarbeitung von Zucker und Tabak (vermutlich übernahm er Scharpffs entsprechenden Betrieb), des Kreditwesens, der Finanzdienstleistungen und des Versicherungswesens - so gewährte er Darlehen, wickelte Zahlungen ab und vertrat die Gothaer Versicherung in der Region. In den 1820er Jahren übernahm er zudem Scharpffs Unternehmen.
Wie bei vielen kleineren und langfristig nicht erfolgreichen Unternehmen existiert auch zu diesen Häusern kein geschlossener und umfassender Archivbestand; überliefert sind vor allem die "Briefkopierbücher" in einer fast, aber nicht völlig umfassenden Serie. In diese Hefte wurden Abschriften der geschäftlichen Korrespondenz eingetragen. Besonders sensible Texte, etwa vertrauliche Hinweise zur Solvenz oder zum Leumund von Geschäftspartnern, fehlen allerdings gänzlich; auch vermutet Rabea Limbach mit guten Gründen, dass der Struktur der Bücher eine nicht ganz eindeutig zu rekonstruierende Systematisierung zugrunde lag, die über die Trennung von geschäftlicher und (vollständig) privater Korrespondenz hinausging. Die Mannheimer Dissertation, die diesem elegant geschriebenen Buch zugrunde liegt, untersucht die Briefkopierbücher als "Alltagskommunikation" ökonomischer Akteure, die Zugang zu "kollektiven Sinnwelten" (15) eröffne, indem sie das kommunizierte Handeln erschließe - während erhebliche Teile des konkreten Handelns mangels weiterer Quellen, etwa von Zahlen zu Einkäufen oder Gewinn beziehungsweise die Dokumentation interner Entscheidungsprozesse, fehlen.
Nach einer Einleitung, die den Ansatz ausführlich und differenziert begründet, stellt Limbach zunächst die Protagonisten der Studie vor. Das folgende Kapitel rekonstruiert den geographischen Raum der Korrespondenz. Dieser war bei beiden "Firmen" ganz überwiegend regional und dort wiederum auf städtische Zentren konzentriert; Korrespondenz mit Amsterdam oder Paris kam kaum vor, und die relativ wenigen Briefe von und nach Altbayern dokumentierten die begrenzte wirtschaftliche Integration der Pfalz in den neuen Staat. In diesem Zusammenhang werden auch die Infrastruktur der Briefkommunikation und das spezifische Genre des Geschäftsbriefs erörtert. Das nächste Kapitel widmet sich Akteurskonzeptionen. Es konstatiert, dass die Briefkommunikation durch die Vorstellung des "ehrbaren Kaufmanns" bestimmt wurde, der als Figur an der Spitze eines hierarchisch gedachten Netzwerks von (bäuerlichen) Zulieferern gedacht war.
Das letzte empirische Kapitel untersucht die ökonomischen Aktivitäten in der Korrespondenz. Dabei geht es zunächst um den Kern der Geschäftstätigkeit, den Handel mit regionalen Agrarprodukten in verarbeiteter Form. Als besondere Schwierigkeit - die möglicherweise sowohl Scharff als auch Lichtenberg dazu bewog, sich auf regionale Märkte zu konzentrieren - erwies sich dabei die Frage, wie Aussagen zur Qualität der gehandelten Waren so getroffen werden konnten, dass sie für Sender und Empfänger gleichermaßen eindeutig waren, und wie sich Auseinandersetzungen über Schuldfragen bei der Lieferung klären ließen, wenn Waren bereits beim Versand oder unterwegs verdorben waren. Solche Fragen erwiesen sich vor allem dann als problematisch, wenn der Verweis auf die eigenen besten Absichten, persönliche Ehrbarkeit und allgemeine widrige Umstände, etwa eine nicht zufriedenstellende Ernte, nicht mehr ausreichten. Die quantitativen Angaben in den Briefkopien erlauben auch gewisse Einblicke in den Umfang der Geschäftstätigkeit, wobei allerdings nur der Umfang der Lieferungen rekonstruiert werden kann. Berechnungen zu Profitmargen und Preissteigerungen von Waren mit der Entfernung waren nur exemplarisch möglich - der mit der Entfernung rasch ansteigende Anteil von Transportkosten und Versicherungen am Preis war aber offenkundig ein weiterer Grund für die Präferenz für regionale Märkte. Schließlich thematisiert das Kapitel Finanztransaktionen, also Investitionen, Kredite und Finanzdienstleistungen durch die Kaufleute. In diesem Zusammenhang kann Limbach zeigen, dass zumindest ihre Protagonisten fast nie den Rechtsweg beschritten, um Forderungen einzutreiben, sondern vor allem an Ehre oder Verantwortungsgefühl ihrer Geschäftspartner appellierten, indem sie beispielsweise die Notwendigkeit hervorhoben, ihrerseits fällige Rechnungen für Tabak oder Rüben zu begleichen.
Die sehr reflektierte Studie dokumentiert das Potential einer kulturhistorisch sensibilisierten Unternehmensgeschichte. Nicht alle ihre Ergebnisse sind unerwartet, aber sie bietet grundlegende Einblicke in die Horizonte regional agierender Kaufleute sowie in die Unternehmenskommunikation des frühen 19. Jahrhunderts. Das Thema der institutionellen Unsicherheit - die neben den qualitativen und quantitativen Unterschieden der Tabaks- und Weinerträge vor allem die wechselnden politischen Grenzen und Zolltarife betraf - tritt dabei immer wieder auf, wird aber weniger systematisch behandelt - was an der zentralen Quelle liegt, die einen Zugang zur internen Entscheidungsfindung der Handelshäuser systematisch ausschließt. Entsprechend schließt die Studie in sehr plausibler Weise mit "offenen Fragen".
Andreas Fahrmeir