Sascha Salatowsky / Winfried Schröder (Hgg.): Duldung religiöser Vielfalt - Sorge um die wahre Religion. Toleranzdebatten in der Frühen Neuzeit (= Friedenstein-Forschungen; Bd. 10), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2016, 313 S., ISBN 978-3-515-11368-7, EUR 56,00
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Das Konzept der Toleranz in der Neuzeit und in der Aufklärung ist in der Fachliteratur seit Langem Gegenstand von Diskussionen, sodass jeder neue Beitrag, der zu diesem Thema veröffentlicht wird, unweigerlich dazu gezwungen ist, sich in die laufende Debatte einzuordnen. Die Herausgeber des Sammelbandes Duldung religiöser Vielfalt - Sorge um die wahre Religion. Toleranzdebatten in der Frühen Neuzeit kommen dieser Erwartung in ihrer Einleitung in hohem Maße nach und erklären gleich zu Beginn ihren Anspruch, die bisher noch nicht hinreichend beleuchteten Aspekte der Geschichte der Toleranz thematisieren zu wollen. Der Sammelband lässt sich dabei maßgeblich von vier Gesichtspunkten leiten, "die in der vorliegenden Forschungsliteratur zwar des öfteren angesprochen, aber nicht konsequent zur Geltung gebracht worden sind" (9). Erstens zielt er darauf ab, die Ansätze und Argumente für die Legitimation der politischen und religiösen Intoleranz und der cura religionis mit jener angemessenen Aufmerksamkeit zu betrachten, die ihr in der bisherigen Debatte oft zugunsten von Gegenthesen seitens der Verteidiger der Toleranz verwehrt worden sei. Zweitens soll der Zeitraum der Analyse der Ausdifferenzierung des Christentums in verschiedene Konfessionen und Sekten von der Reformationszeit bis zur Aufklärung erweitert werden. Drittens nehmen sich die Herausgeber vor, die konfessionellen Besonderheiten des modernen Toleranzdiskurses zu zeigen. Viertens wolle man "die Präsenz der philosophischen Argumente in den politischen Diskurs der Zeit und umgekehrt den Einfluss der realgeschichtlichen Kontexte auf die einschlägige philosophische Theoriebildung" (11) beleuchten. Nach einem einführenden Kapitel von Winfried Schröder, in dem das traditionelle Motiv der cura religionis in einem erweiterten Sinn, nämlich verstanden als eine seit dem frühen Christentum bestehende Sorge um Sicherheit und Frieden, die auch mittels Glaubenszwang durchgesetzt wird, untersucht wird (13-22), werden die Beiträge im Sammelband entsprechend der vier genannten Gesichtspunkte gegliedert.
Eine erste Gruppe von Aufsätzen setzt sich dabei mit den möglichen Grenzen der Toleranz auseinander. Der Beitrag von Jan Assman untersucht das Verhältnis zwischen Monotheismus und Intoleranz indem er zwischen zwei Ursprungsmythen der jüdischen Religion - "der friedlichen und inklusivistischen Tendenz des Buches Genesis" und dem "aggressive[n] und exklusivistische[n] Charakter des Buches Exodus" (30) unterscheidet und aufzeigt, dass im Monotheismus des antiken Judentums "die Gewalt nicht aus der Unterscheidung von wahr und falsch, sondern von Freund und Feind stammt" (37). Der Beitrag von Walter Sparn vermittelt einen Überblick über die Veränderung des Toleranzverständnisses im 17. Jahrhundert (am Beispiel von Johann Gerhard, Theophil Lessing und Franz Budde) und beleuchtet die Verquickung von theologischen Argumenten und politischen und juristischen Theorien im Luthertum bis hin zum Übergang zur Aufklärung. Der letzte von Łukasz Bieniasz verfasste Beitrag dieser ersten Gruppe erforscht, wie drei Jesuiten (Piotr Skarga, Mateusz Bembus und Mikolaj Cichowski) in der polnischen konfessionspolitischen Situation des 16. und 17. Jahrhunderts die Stimmungen des einfachen Volkes gegen religiöse Dissidenten beeinflussten.
Eine zweite Gruppe von Beiträgen diskutiert die Ausdifferenzierung des Christentums in Dissidenten und Randgruppen anhand spezifischer Case Studies von der Reformationszeit bis zur Aufklärung. Kęstutis Daugirdas nimmt die Remonstranten in den Blick und beschreibt den Wandel ihrer Toleranzkonzeption, der sich erstmals nach der Dordrechter Synode (83-90) und nochmals in den 1650er-Jahren (90-96) vollzog. Zwei weitere Beiträge befassen sich mit den Sozinianern: Sascha Salatowsky zeigt auf, wie Samuel Przykowsky in Polen-Litauen und Johann Crell in den Niederlanden ihre Forderungen nicht nur nach Gewissensfreiheit, sondern auch nach Religionsfreiheit artikulierten; Justin Champion fokussiert dagegen auf die Englischen Sozinianer Paul Best, John Biddle, John Fry und John Knowles in der Mitte des 17. Jahrhunderts und sieht in ihrem Antiklerikalismus den entscheidenden Beitrag für den Übergang zur Aufklärung. Friedrich Vollhardt schließlich hebt zunächst auf das Toleranzdenken der berühmten Ringparabel von Gotthold Ephraim Lessing ab, um diese dann sozialhistorisch zu kontextualisieren.
Der mit fünf Beiträgen wohl umfangreichste Abschnitt befasst sich sodann mit dem dritten programmatischen Gesichtspunkt und untersucht konfessionelle Besonderheiten des modernen Toleranzdiskurses. Mona Garloff zeigt, wie die Toleranz die Übergangsphase zur Wiederherstellung der Concordia im Umfeld der Konversion des französischen Königs Heinrich IV. prägte. Jens Glebe-Møller beschäftigt sich mit dem facettenreichen Verhältnis zwischen religiösen, politischen und kommerziellen Ansprüchen in Dänemark, das sich durch eine sensible Fluktuation der Glaubensfreiheit auszeichnet. Der Beitrag von John Christian Laursen verschiebt den geografischen Fokus der Diskussion und präsentiert eine Betrachtung der Toleranzlehre aus der spanischen Kolonie Peru von Felipe Guaman Poma de Ayala, einem von einer Herrscherdynastie aus den Völkern der Anden abstammenden Autor. Wiep van Bunge wiederum versucht die Perspektive um eine nichtchristliche Case Study zu erweitern und diskutiert den Umgang mit der islamischen Glaubensgemeinschaft in den Niederlanden. Ulrich Niggemann wendet sich schließlich der Glorious Revolution zu, um zu zeigen, wie Toleranz- und Intoleranzdiskurse in der damaligen englischen Monarchie und der anglikanischen Kirche nicht primär theologisch, sondern vor allem politisch motiviert waren.
Die letzten drei Beiträge hinterfragen den wechselseitigen Einfluss zwischen theologischen/politischen Argumenten und politischen/juristischen Theorien, erstens im Rahmen des 1604 geschlossenen Friedensvertrages zwischen England und Spanien (Beitrag von Wolfgang Forster), zweitens im Mikrokosmos Mannheims in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts (Beitrag von Harald Stockert) und drittens am Beispiel der Toleranzforderung seitens geflüchteter Minderheiten (Beitrag von Alexander Schunka).
Zusammenfassend ist der Sammelband durch eine starke Interdisziplinarität charakterisiert. Die klassischen Themen der Toleranzgeschichte wurden in den einzelnen Beiträgen aus unterschiedlichen Perspektiven neu hinterfragt. Selbstverständlich decken die ausgewählten Fallstudien nicht gleichmäßig alle Forschungsbereiche (z.B. in Bezug auf nichtchristliche Glaubensgemeinschaften) ab und nicht selten entsteht der Eindruck, dass ein klarerer roter Faden wünschenswert gewesen wäre, um die einzelnen Beiträge in eine etwas stärker zusammenhängende, innerdialektische Struktur einzupassen. Dennoch gelingt es, etablierte Schemata und Klischees historisch zu demontieren, indem beispielsweise die bisher zuweilen akritisch formulierte Entgegensetzung von Intoleranz (der Täter) und Toleranz (der Opfer) theoretisch und historisch gewissenhaft aufgearbeitet wird; oder indem der enge Zusammenhang zwischen theologischen, beziehungsweise philosophischen Ideen und politischen, juristischen, wirtschaftlichen Theorien und Absichten durch spezifische Fallstudien untersucht wird. Ziel des Bandes ist also keine thematische Vollständigkeit, sondern vielmehr eine methodische Neugestaltung der Herangehensweise an die Thematik. Und tatsächlich kann die Aufsatzsammlung zeigen, wie die Toleranzgeschichte weiterhin mit Gewinn analysiert und diskutiert werden kann.
Stefania Salvadori