Steven A. Schoenig: Bonds of Wool. The Pallium and Papal Power in the Middle Ages (= Studies in Medieval and Early Modern Canon Law; Vol. 15), Washington, DC: The Catholic University of America Press 2016, XIII + 545 S., ISBN 978-0-8132-2922-5, USD 75,00
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Der Papst trägt es, Erzbischöfe reisen nach Rom, um es am 29. Juni, dem Tag der Apostel Petrus und Paulus, aus den Händen des Papstes als Zeichen ihrer Metropolitangewalt in Empfang zu nehmen: das Pallium, eine weiße, ca. 6 cm breite Wollstola, auf die sechs Kreuze gestickt sind. Das über dem Messgewand zu tragende Pallium symbolisiert den besonderen Hirtendienst von Papst und Erzbischöfen, ist darüber hinaus aber auch eine Kontaktreliquie, die vor ihrer Verleihung am Petrusgrab aufbewahrt wird.
Die vorliegende Studie beleuchtet die Geschichte des Palliums von unterschiedlichen, gleichwohl eng aufeinander bezogenen Standpunkten aus. Wie präsentierte es sich "as a many-sided cultural reality" (5)? Und wodurch wurde es zum Instrument päpstlicher Macht? In seiner lesenswerten Einleitung geht der als assistant professor an der Saint Louis University lehrende Jesuit Schoenig auf die beiden Erklärungsansätze zur Herkunft des Palliums aus päpstlichem oder kaiserlichem Umfeld ein. Schriftzeugnisse über das Pallium sind erst seit dem frühen 6. Jahrhundert erhalten. Im Bereich der Verleihpraxis wirkte Papst Gregor (der Große) stilbildend. So wie er den nach England entsandten Missionsbischöfen das Pallium verliehen hatte, übertrugen seine Nachfolger den von England auf den Kontinent strömenden Missionsbischöfen wie Willibrord oder Bonifatius ebenfalls das Pallium. Deutlich wird freilich, dass in den ersten drei Jahrhunderten das Pallium als päpstliche Insignie nur sporadisch als ehrenvolle Auszeichnung übertragen wurde.
Die Studie behandelt die Situation in der lateinischen Kirche des Westens, die untersuchte Zeitspanne reicht von 741 bis 1119, von der Zeit also, als Bonifatius die fränkische Kirche zu reformieren begann bis zum Ende der gregorianischen Reformbewegung(en). Diese vier Jahrhunderte bezeichnet Schoenig als "heyday of the pallium" (16). In ihrem Verlauf wurde aus einem Distinktionsmerkmal ein Amtszeichen, um das jeder Metropolit spätestens drei Monate nach seiner Ernennung beim Papst nachsuchen musste. Aus Sicht des Papsttums war nicht der Akt des Tragens, sondern derjenige der Verleihung zentral. Es ging immer weniger darum, päpstliche Gnade nach außen zu demonstrieren, als darum, Macht nach innen auszuüben und zu festigen. Dadurch, dass dieses Kleidungsstück zum Bestandteil der Kreation von Erzbischöfen wurde, versicherten sich die Päpste der Treue und Mitarbeit von Mittelsmännern, die zwischen ihnen selbst und den (einfachen) Bischöfen standen.
Natürlich wurden bei den Empfängern des Palliums moralische Integrität und Rechtgläubigkeit vorausgesetzt - in Zeiten verstärkter päpstlicher Reformbemühungen ab dem 11. Jahrhundert wurde insbesondere darauf Wert gelegt, dass der Metropolit kanonisch rechtmäßig, d. h. ohne simonistische Praktiken, ins Amt gekommen war.
Wie gelangte man in den Besitz des Palliums? Zwei Möglichkeiten gab es: entweder machte man sich selbst (oder ein Vertreter) auf die gefährliche und beschwerliche Reise nach Rom oder man bat um Übersendung. Egal, welchen Weg man wählte: mit dem Erhalt des Palliums wurden in einem komplexen Spiel von Intimität und Unterwerfung, von Autorität und Repräsentation neue Beziehungen begründet: "...the woolen band became a tie to the mother Church of Rome and a thread in the tapestry that knit together the Western church." (76)
Nicht nur Metropoliten, sondern auch Suffraganen wurde mitunter aufgrund besonderer Eignung oder auch nur kirchenpolitischer Erwägung heraus das Pallium verliehen. Im schlimmsten Falle konnte dies zu einer dauerhaften Aufwertung der Suffraganbistümer auf Kosten der bisherigen Metropolitansitze führen, was eindrücklich am Beispiel von Vienne und Tarentaise demonstriert wird. Die mit der Verleihung verbundene Erlaubnis, das Pallium zu tragen, war zunächst ein persönliches Privileg und galt dem Empfänger als Person, nicht als Vertreter einer Institution. Eine automatische Übertragung an den Amtsnachfolger war ausgeschlossen - kulturellen Ausdruck fand diese Bestimmung in der Praxis, das Pallium zusammen mit dem verstorbenen Träger zu begraben.
Eine kohärente Theorie über das Mit- (und manchmal Gegen-)einander der mit einem Pallium ausgezeichneten Metropoliten entwarf Hincmar von Reims zunächst in seinem Opusculum LV Capitulorum (870). Diese Überlegungen wurden in der Schrift De Iure Metropolitanorum (876) weiterentwickelt. Kernthese war, dass den Metropoliten in ihrer Provinz das Pallium nicht als Gnadenakt des Papstes, sondern aus altem Gewohnheitsrecht heraus zustand. Dies bedeutete dann aber auch, dass für Hincmar ein Pallium nicht so sehr mit der Person des jeweiligen Metropoliten, sondern mit dem Metropolitansitz selbst verknüpft war. Mit diesen Überlegungen war Hincmar seiner Zeit weit voraus.
Viele (wie etwa Theodulf von Orléans) machten immer wieder auf die Gefahren aufmerksam, die Trägern des Palliums drohten. Die Versuchung war in der Tat groß, sich über andere zu erheben, äußere und innere Erscheinung auseinanderfallen zu lassen und somit zum hypocrita zu werden. Ein Beispiel, das im Laufe der Untersuchung gleich mehrfach angeführt wird, ist das Ermahnungsschreiben Gregors des Große an Johannes von Ravenna, der sich seinem Pallium so stark verbunden fühlte, dass er es ständig, auch in außerliturgischem Kontext, trug. Dies wurde von Gregor als Ausdruck unbotmäßigen Stolzes gewertet und mit scharfen Worten gerügt. Ein Pallium war eben kein alltägliches Kleidungsstück: das Tragen war an bestimmte Zeiten, Orte und liturgische Kontexte gebunden.
Ein einfaches Wollband wurde zum Machtinstrument in den Händen des Reformpapsttums. Der dritte Teil der Untersuchung ist genau diesem Zeitraum (1046-1119) gewidmet. Bereits zuvor hatte man päpstlicherseits immer wieder versucht, ein einfaches Stück Stoff symbolisch zu überhöhen und ihm komplexe Sinn- und Bedeutungsebenen zuzuschreiben: "It derived much of its effectiveness not from how or why it was used, but from what it was, a culturally constructed artifact." (394)
Die Reformpäpste ließen keinerlei Zweifel daran aufkommen, dass das Pallium zuvorderst dasjenige Zeichen war, das den Papst von den übrigen Bischöfen unterschied, ihn mithin als pastor pastorum in Erscheinung treten ließ. Das Pallium unterstrich die einzigartige Autorität des Papstes, rechtfertigte sein Eingreifen in die Belange lokaler Kirchen und in traditionelle hierarchische Strukturen zugunsten eigener Ziel- und Zwecksetzungen. Bischöfe ließen sich immer dann hervorragend disziplinieren, wenn ihnen mit der Vorenthaltung oder gar dem Entzug des Palliums gedroht wurde - die juristische Seite des Phänomens wird in zwei Epilogen abgehandelt, die die Verlautbarungen zum Pallium in den klassischen Werken der mittelalterlichen Kanonistik abhandeln: "Their endeavor was programmatic, systematic, and universal in scope, and they harnessed canon law on an unprecedented scale." (320)
Neben einer Auswahlbibliographie, die eindrücklich vor Augen führt, wie viel die Untersuchung den Werken der deutschen kanonistischen Forschung verdankt, finden sich Indices der ausgewerteten päpstlichen Briefe, der kanonistischen Literatur und der Namen und Orte.
Schoenigs Untersuchung bietet einen hervorragenden Überblick über Entwicklung, Nutzung und die politisch-kulturelle Bedeutung des Palliums während vier Jahrhunderten. Ist man nach der Lektüre der ersten Seiten angesichts der Masse der ausgewerteten Literatur und der Fülle an Quellenzitaten fast schon überwältigt, wird diese Bewunderung in den Folgekapiteln freilich recht schnell auf ein gesundes Normalmaß zurückgestutzt. Angeführt werden nämlich - unter jeweils unterschiedlichen thematischen Gesichtspunkten - immer wieder dieselben Quellen. Das wirkt auf die Dauer ermüdend. Leider unterbleibt ein Ausblick auf das späte Mittelalter: wurden Pallienverleihungen etwa aus den Händen der avignonesischen Päpste zum bloßen Mittel der Geldbeschaffung? Keiner wäre für die Beantwortung dieser und anderer Fragen besser geeignet als Steven A. Schoenig. Seinem Werk ist weite Verbreitung zu wünschen.
Ralf Lützelschwab