Rolf-Ulrich Kunze: Global History und Weltgeschichte. Quellen, Zusammenhänge, Perspektiven, Stuttgart: W. Kohlhammer 2017, 277 S., 12 s/w-Abb., ISBN 978-3-17-031840-3, EUR 35,00
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Was es heißt und zu welchem Ende man Globalgeschichte studiert, leitet dieser Band des Karlsruher Historikers Rolf-Ulrich Kunze von der Genealogie der "Global History" aus der "Weltgeschichte" ab. Nach einem knappen Überblick, in dem die Bedeutung der "Global History" thematisiert, einige begriffsgeschichtliche Fragen (Eurozentrismus, Welt, Dekolonisation, u.a.) kurz erörtert, sowie Definitionsversuche von "Global(isierungs)geschichte" angeboten werden, bestehen die beiden Hauptkapitel in der Illustration historiographischer Beispiele zunächst aus der Globalgeschichte, dann der Weltgeschichte. Quellen, wie der Untertitel des Bandes ankündigt, werden hier also in Form ausgewählter Bücher vorgestellt, die Kunze in wenigen Strichen skizziert, in der Regel kritisch auf ihren Aussagewert hin zusammenfasst und jeder Analyse stets die gleiche Frage vorausschickt, was an diesem Buch "globalgeschichtlich relevant" sei.
Historikerinnen und Historiker wie Jürgen Osterhammel, Akira Iriye, Emily Rosenberg und Sebastian Conrad, um nur einige zu nennen, kommen auf diesem Wege zu Wort. Das mechanische Vorgehen in der Präsentierung seiner Textbeispiele setzt Kunze für die von ihm ausgewählten weltgeschichtlichen fort, zu denen Jacob Burckhardt, Oswald Spengler, H.G. Wells und Arnold Toynbee, aber auch Werke wie die Propyläen Weltgeschichte, die Fischer-Weltgeschichte und der Welt-Ploetz gehören. Auch sie werden auf ihre Relevanz, allerdings nun nicht ihre weltgeschichtliche, sondern erneut die globalgeschichtliche, geprüft. Um noch tiefer in die Philosophiegeschichte zurückzugreifen, führt der Autor in knappen Skizzen in Hegels Begriff der Weltgeschichte ein. Überdies behandelt er, Lexikoneinträgen vergleichbar, die "Weltliteratur", "Weltwirtschaft", "Weltrecht", "Weltpolitik" und "Weltgesellschaft". Ein Ausblick fragt nochmals nach dem Eurozentrismus und den Möglichkeiten und Grenzen seiner Überwindung.
Nun stellt sich bei einem Band wie diesem nicht zuletzt die Frage nach seiner "Relevanz", zumal er zwar die beiden Großthemen Global- und Weltgeschichte aufeinander bezieht und in ein fruchtbares Spannungsfeld bringt, er jedoch die unmittelbar benachbarten Phänomene Universalgeschichte, Kolonial- und Imperialgeschichte, transnationale und internationale Geschichte bis hin zur "big history" und viele andere für kaum erwähnenswert erachtet. Wer sich mit Weltgeschichte befasst, wird ihre weltweiten Entstehungsbedingungen wichtig finden und über Probleme der Weltgeschichtsschreibung beispielsweise in Indien, China und in Japan informiert werden wollen. Dazu gibt es seit geraumer Zeit zahlreiche Sammelbände und Spezial- sowie Überblicksdarstellungen, von denen in dem in diesem Band viel Platz beanspruchenden Literaturverzeichnis indessen manche bedauerlicherweise fehlen. Auch ist die Auswahl der Schlüsseltexte zwangsläufig sehr individuell. William H. McNeills "The Rise of the West. A History of the Human Community" (1963), ein bei aller Kritik richtungsweisender und sehr früher Beitrag zur Debatte, wäre für Kunzes Buch sicherlich sehr perspektivenreich gewesen, ebenso eine Erwähnung der Zeitschrift "Journal of World History" der im Jahr 1990 gegründeten World History Association und schließlich des 2006 ins Leben gerufenen "Journal of Global History". Schon die Titel beider Zeitschriften deuten auf das Dilemma der Begriffsbestimmung.
Ist das Schreiben von Global- und Weltgeschichte das eine, so das Lehren in Schule und Universität das andere. Viele gänzlich unterschiedliche Stellungnahmen sind dazu abgegeben worden - worin sie sich allerdings vergleichsweise einig sind, ist die Warnung vor einer zunehmenden und sich verengenden Spezialisierung als auch Fragmentierung des Fachs. Wie lässt es sich im Unterricht so vermitteln, dass daraus ebenfalls neue Forschungsperspektiven generiert werden können? Und wie können die zum Beispiel in Deutschland so ausgezeichnet positionierten Zentren für Globalgeschichte auf die internationalen Debatten Einfluss nehmen, während noch 2014 ein "Institut für Weltgeschichte" in Beijing gegründet wurde?
Die historische Globalisierung in den Spuren der Geschichtsschreibung nachzulesen, ist ohne Zweifel sehr reizvoll. Daran angeschlossen würde es aber auch sicherlich sehr attraktiv sein, die Zusammenhänge, die Kunze zu beleuchten sich vorgenommen hat, im Gegensatz dazu als Kontraste, Brüche und Konflikte zu begreifen und außerdem als Positions- und Perspektivwechsel in den modernen Geschichtswissenschaften. Auch hier hat McNeills Arbeit wichtige Impulse geliefert, wenn sie Weltgeschichte in erster Linie als Geschichte transkultureller Beziehungen zwischen Mensch und Natur am Beispiel seiner Seuchengeschichte "Plagues and People" (1976) illustriert hat - womit sie die enge, zugleich interkontinentale Verflechtung von Migration, Verbreitung von Krankheiten, Einfluss von Verwaltung und Wissenschaft und vieles mehr zeigen konnte und damit Generationen von Forschungen angeregt hat.
Was von der Globalgeschichte heute erwartet wird, ist wohl weniger, sich weiterhin mit den Absichtserklärungen zu beschäftigen, was sie leisten soll, sondern stärker in den Blick zu nehmen, was sie praktisch leisten kann. Man würde unter den "Perspektiven" von Rolf-Ulrich Kunzes "Global History" verbucht haben wollen, dass sozial-, kultur- und wissenschaftsgeschichtliche Themen stetig bedeutender werden, ohne selbstverständlich das Gewicht politik- und wirtschaftsgeschichtlicher, nicht zuletzt umweltgeschichtlicher Positionen in Abrede zu stellen. Auch das sich verändernde Berufsfeld der Historikerinnen und Historiker im 21. Jahrhundert gehört dazu.
Benedikt Stuchtey