Michael Jones / Julia Barrow / David Crook et al. (eds.): The White Book (Liber Albus) of Southwell (= Publications of the Pipe Roll Society; Vol. 61), Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2018, 2 Bde., CXIV + 819 S., 2 Farb-, 10 s/w-Abb., ISBN 978-0-901134-67-7, GBP 100,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Veerle Fraeters / Frank Willaert / Louis Peter Grijp (Hgg.): Hadewijch: Lieder. Originaltext, Kommentar, Übersetzung und Melodien, Berlin: De Gruyter 2016
Elizabeth M. G. Krajewski: Archetypal Narratives. Pattern and Parable in the Lives of Three Saints, Turnhout: Brepols 2018
Hugh Feiss (ed.): Sermons for the Liturgical Year, Turnhout: Brepols 2018
Die Stiftskirche St. Mary in Southwell (Midlands/Grafschaft Nottinghamshire) - heute als Southwell Minster bekannt - war von herausragender Bedeutung für die mittelalterliche Kirche Englands. Die Gründung wurde mit Kanonikern besetzt, die im 11. Jahrhundert sieben oder acht verschiedene Pfründe innehatten, die ihrerseits bis ins Jahr 1291 auf insgesamt 16 anstiegen. Unterstützt wurden die Kanoniker von 16 Vikaren, die ab 1380 ein Schulgebäude in der Nähe der Kirche bezogen. Aufgrund der hohen Pfründenerträge und der zahlreichen Stiftungen in Pfarreien genossen die Kanoniker von Southwell durchgehend eine große Unabhängigkeit. Ihr geistliches Herrschaftsgebiet erstreckte sich von der Westseite von Southwell über 30 km östlich der Stadt Newark-on-Trent. Zudem gehörten zum Kapitel ein Dekan und ein Schatzmeister mit nur geringen Befugnissen. Größe und Ausstattung sowohl der Stiftskirche als auch der zugehörigen Gebäude demonstrieren die Macht und den Reichtum der Kanoniker am Ende des 13. Jahrhunderts.
Ein Beweis für die Identität und das Bewusstsein der Kanoniker ist der sogenannte Liber Albus selbst, dessen Zusammenstellung im Jahr 1347 begann und dessen Einträge vom späten 14. und 15. Jahrhundert sogar bis in die Zeit nach der Reformation reichen. Der Großteil der Handschrift stammt aus dem 14. und 15. Jahrhundert. Die 620 Dokumente wurden im sogenannten Liber Albus verzeichnet, der seinen Namen aufgrund seines weißen Pergament-Umschlags hat und 487 Folia umfasst.
In zwei umfangreichen Bänden liegt nun zum ersten Mal eine vollständige Ausgabe der hochinteressanten und umfangreichen Sammlung mittelalterlicher Dokumente - von päpstlichen Bullen über königliche Urkunden bis zu bestimmten Privilegien der Erzbischöfe von York - vor, die zwischen 1350 und 1460 vom Kapitel der Kathedrale von Southwell zusammengetragen wurde. Aufgrund ihrer großen Vielfalt sind die edierten, kritisch kommentierten und teilweise aus dem Lateinischen ins Englische übersetzten Dokumente nicht nur für die kirchenhistorische, sondern auch für die sozial- und wirtschaftshistorische Forschung von Bedeutung.
Die Einleitung (xxxi-cxxvi) der Herausgeber - Michael Jones, Julia Barrow, David Crook und Trevor Foulds - und einzelner Mitarbeiter gliedert sich in vier große Abschnitte und behandelt zunächst das Manuskript hinsichtlich seiner Struktur, Paläographie, der enthaltenen Siegel und weiterer Faktoren (xxxi-xlv). Hierauf folgen Beobachtungen der Herausgeber zur historischen Verwendung des Liber Albus, die sich sowohl in handschriftlichen als auch in gedruckten Dokumenten zeigt (xlvi-l). Das einleitende Unterkapitel zum Inhalt der Handschrift bietet diesbezüglich einen ersten Überblick und zeigt zudem die Bandbreite der Quelle auf (li-lxxi). Den Abschluss bildet eine historische Kontextualisierung der Handschrift im Leben und in der Verwaltung des Kapitels von Southwell (lxxii-cv). Die Einleitung schließt mit einer Übersicht der verschiedenen Nebenakteure (cvi-cxii), Anmerkungen zur editorischen Vorgehensweise (cxiii-cxiv) und einigen Abbildungen und Grafiken (cxv-cxxvi).
Zum Inhalt des Liber Albus wäre viel zu sagen, weshalb nur einige herausragende Quellen exemplarisch genannt seien: Eine Besonderheit ist eine undatierte Erklärung zu den sogenannten "lobenswerten Bräuchen", in der die Pflichten von Leibeigenen und Erbschaftsbräuchen, einschließlich der Rechte von Witwen und Erben aus aufeinanderfolgenden Ehen, detailliert definiert und erläutert werden. Zudem zeigen Auszüge aus Gerichtsakten aus den Jahren 1327-1411, dass häufige Probleme bei Fragen der Erbschaft von den örtlichen Gerichten dem zentralen Kapitelgericht übertragen wurden.
Eine weitere Dokumentensammlung gibt interessante und bis dato einmalige Einblicke in das Leben der Einwohner Southwells in den Jahren zwischen 1406 und 1411. Die ländliche Bevölkerung, die in erster Linie von den Erträgen der eigenen Agrar- und Viehwirtschaft lebte, band an die Pflichtabgabe an das Kapitel gewisse Forderungen, die die seelsorgerliche Praxis des Kapitels betrafen. Laien setzten somit Naturalabgaben als Mittel zur Verbesserung der Seelsorge und somit zur Sicherung des eigenen Seelenheils ein und zeigten sich gegenüber den rechtlichen Folgen furchtlos.
Zusammenfassend sei festgehalten: Der Liber Albus informiert nicht nur über die Kirchenfabrik, die pfarrliche Versorgung, die Pfründen der Kleriker und somit auch ihre pastoralen Obliegenheiten, sondern er gibt auch Einblicke in das Verhältnis von Kanonikern und Leibeigenen, die Vernetzung der Kanoniker mit den Obrigkeiten des Landes und der Kirche sowie die Gerichtsbarkeit von Southwell über den südöstlichen Teil der Grafschaft Nottinghamshire.
Die beiden im Verlagshaus Boydell & Brewer für die Pipe Roll Society herausgegebenen Bände umfassen insgesamt 944 Seiten, zwei Farb- und 14 Schwarzweißabbildungen. Im zweiten Band finden sich neben drei umfangreichen Quellenanhängen (594-699) zudem detaillierte Personen- und Ortsregister (701-773) und ein Sachregister (785-805). Es ist der Society, die sich normalerweise auf das zwölfte und dreizehnte Jahrhundert konzentriert, anzurechnen, dass sie diese Publikation in ihre Reihe aufgenommen hat, obwohl das Weiße Buch von Southwell aus dieser Zeit nur einige wenige päpstliche Briefe, darunter einen von Innozenz III., einige weitere königliche Urkunden und Schriften, Briefe von Erzbischöfen und Bischöfen sowie Bescheinigungen über Spenden von Laien enthält.
Die Edition des Liber Albus ist gut durchdacht, präzise erarbeitet, bietet einen verlässlichen lateinischen Text und eine gute Übersetzung. Lediglich die verschiedenen Schriftarten innerhalb der Edition empfindet der Rezensent als unnötig, da dadurch ein unruhiges Gesamtbild erzeugt wird. In Summe jedoch ist die vorliegende systematische und wissenschaftliche Erschließung des Liber Albus aus Southwell ein verdienstvoller und wichtiger Anstoß sowohl für die lokalhistorische Aufarbeitung der Midlands und der Grafschaft Nottinghamshire als auch für die Analyse der vielfältigen Vernetzungen des Kapitels von Southwell im Mittelalter.
Joachim Werz