Heinrich Schepers: Fürstliche Prachtentfaltung in Abwesenheit des Herrschers. Bedeutung von Schloss und Hofstaat im Fürstbistum Osnabrück zur Regierungszeit Friedrichs von York (1764-1802) (= Westfalen in der Vormoderne. Studien zur mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Landesgeschichte; Bd. 30), Münster: Aschendorff 2018, 348 S., 28 s/w-Abb., ISBN 978-3-402-15075-7, EUR 51,00
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Das konfessionell heterogene Fürstbistum Osnabrück stellte in der Frühen Neuzeit eine verfassungsrechtliche Kuriosität dar. Der Westfälische Frieden legte hinsichtlich der Landesherrschaft die "successio alternativa" fest. Danach sollte auf einen katholischen Bischof und Landesherrn ein evangelischer Prinz aus dem Haus Braunschweig-Lüneburg folgen, während dessen Regierungszeit die bischöfliche Jurisdiktion über die Katholiken auf den zuständigen Metropoliten, den Erzbischof von Köln, überging. Vor allem wegen der Kumulation Osnabrücks mit anderen Bistümern hielten sich die katholischen Fürsten Franz Wilhelm von Wartenberg (1627-1661), Karl Josef von Lothringen (1698-1715) und Clemens August, Herzog von Bayern (1728-1761) nur sporadisch im Hochstift auf. Dies traf auch auf den letzten evangelischen Fürstbischof, Herzog Friedrich von York (1763-1827) zu, den das Osnabrücker Domkapitel auf massiven Druck seines Vaters, des britischen Königs und hannoverschen Kurfürsten Georg III., als Einjährigen in kanonisch und verfassungsrechtlich anfechtbarer Weise 1764 zum Fürstbischof wählen musste. An Stelle des unmündigen Prinzen übernahm nicht das zuständige Domkapitel die Regierung, sondern eine von Georg III. eingesetzte Vormundschaftsregierung. Die Vorgehensweise des Königs reihte sich in die traditionelle Politik des Welfenhauses ein, die die Aufhebung der "successio alternativa" und die Eingliederung des Hochstiftes in das Kurfürstentum Hannover zum Ziel hatte. Friedrich, der in England aufwuchs und für eine Militärkarriere ausgebildet wurde, wurde 1783 volljährig und damit de jure regierender Osnabrücker Landesherr. Er besuchte allerdings sein Fürstentum nur sechs Mal; seine Aufenthalte blieben auf wenige Tage beschränkt. 1802 gab er sein Amt als Bischof und Landesherr auf und übertrug Georg III. das Hochstift, das dann im Zuge der Säkularisation dem hannoverschen Kurstaat einverleibt wurde.
Osnabrück gehörte wegen der langen Abwesenheit der Fürsten zu den herrenlosen Höfen und Residenzen, denen die Residenz- und Hofforschung bisher nur eine geringe Aufmerksamkeit gewidmet hat. Heinrich Schepers legt in seiner fundierten Dissertation, die von Siegrid Westphal betreut und 2017 an der Universität Osnabrück eingereicht wurde, überzeugend dar, wie sowohl Georg III. als auch Friedrich von York unter hohem finanziellen Aufwand eine Aus- und Umgestaltung des Osnabrücker Schlosses vornehmen ließen, obwohl der König das Hochstift nie besuchte und auch der Herzog dort kaum anwesend war. Das Stadtschloss befand sich im welfischen Allodialbesitz und ging auf den ersten evangelischen Landesherrn Ernst August I. zurück, der es in den Jahren 1668 bis 1683 hatte erbauen lassen. Nach der Wahl Friedrichs musste es wegen der Vernachlässigung während der Regierungszeit Clemens Augusts einer umfangreichen Restaurierung unterzogen werden. Nach 1783 erfolgten eine vollständige Umgestaltung des Schlossinnenbereichs sowie eine aufwendige Möblierung und Ausstattung, die im Wesentlichen von dem italienischen Dekorationsmaler Bartolomeo Verona unter Verwendung von klassizistischen Stilelementen vorgenommen und 1791 zum Abschluss gebracht wurden. Trotz seiner Abwesenheit wies Friedrich den Arbeiten hohe Priorität zu und behielt sich die Begutachtung und Genehmigung aller Pläne für die Umbaumaßnahmen vor. Ebenso nahm er Einfluss auf die Umgestaltung des barocken Schlossgartens in einen Landschaftsgarten.
Nach der Ansicht des Verfassers wurde durch die prachtvolle Gestaltung des Außen- und Innenbereiches des Residenzschlosses dessen Stellvertreterfunktion während der Abwesenheit des Fürsten untermauert. Dies traf auch auf die bislang wenig erforschte Einrichtung eines Hofstaates in Osnabrück zu. Dieser sollte nach Friedrichs Vorstellungen keine übermäßige finanzielle Belastung des relativ kleinen Hochstiftes mit sich bringen, jedoch die intendierte Repräsentation bewirken. Bei der Besetzung der oberen Hofchargen wurde der landsässige Adel bevorzugt, wovon man seine Unterstützung der Landesherrschaft erwartete; außerdem sollte sichergestellt werden, dass der Fürst bei seinen seltenen Besuchen seinen Hofstaat vorfand; durch die Berufung eines Domkapitulars auf die zweithöchste Stelle wurde den speziellen konfessionellen Verhältnissen im Hochstift Rechnung getragen. Für die Besetzung der Hofstellen der "mittleren Ebene" waren nicht nur ein sehr guter Leumund, sondern auch professionelle Ausbildung und Berufserfahrung eine wichtige Voraussetzung. Alles in allem besaßen das Schloss und der Hofstaat während der Regierungszeit des letzten Osnabrücker Fürstbischofs "eine hervorgehobene Funktion bei der Vergegenwärtigung der Herrschaft" und unterstrichen seine Absicht, dass er "trotz seiner Abwesenheit seine Rolle als Herrscher wahrzunehmen gedachte" (277).
Ein Verdienst der Arbeit von Heinrich Schepers besteht darin, die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung herrenloser Höfe und Residenzen deutlich aufzuzeigen. Auf einige Fehler und Ungenauigkeiten, die den Wert der Untersuchung nicht wesentlich mindern, soll aber hingewiesen werden: So ist die britische Königin Anna nicht die "kinderlose Schwester" der hannoverschen Kurfürstin Sophie (65). 1793 stirbt nicht Ludwig XV., sondern Ludwig XVI. unter der Guillotine (80). Die britisch-hannoversche Personalunion beginnt 1714 und nicht 1716 (195). Der erwähnte Osnabrücker Domherr und Kammerjunker hieß Joseph Werner von Weichs zu Bilderlahe und nicht Bilderlage (257). Die Verweise der Fußnoten 243 und 244 auf Seite 253 sind nicht korrekt.
Es ist zu wünschen, dass die Erforschung weiterer herrenloser Höfe und Residenzen fortgesetzt wird. Dies trifft insbesondere auf den hannoverschen Hof während der Personalunion im 18. Jahrhundert zu.
Hans-Georg Aschoff