Rezension über:

Łukasz Mikołajewski: Disenchanted Europeans. Polish Émigré Writers from Kultura and Postwar Reformulations of the West (= Exile Studies; 16), Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2018, x + 468 S., ISBN 978-3-0343-1844-0, EUR 72,95
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Rezension von:
Bernard Wiaderny
Freie Universität Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Christoph Schutte
Empfohlene Zitierweise:
Bernard Wiaderny: Rezension von: Łukasz Mikołajewski: Disenchanted Europeans. Polish Émigré Writers from Kultura and Postwar Reformulations of the West, Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2018, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 11 [15.11.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/11/33701.html


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Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Łukasz Mikołajewski: Disenchanted Europeans

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Das Buch ist auf der Grundlage einer Dissertation entstanden, die Łukasz Mikołajewski am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz verteidigt hat. Untersucht werden literarische Veröffentlichungen zweier Autoren, die von Anfang an zum Kreis der polnischen Exilzeitschrift Kultura gehörten, einer Monatsschrift, die 1947-2000 zuerst in Rom und dann in Paris erschien. Bei den Autoren handelt es sich um den Essayisten Jerzy Stempowski (1894-1969) und den Schriftsteller Andrzej Bobkowski (1913-1961). Stempowski stammte aus den Kresy - dem kulturell und ethnisch vielfältigen Grenzgebiet des alten polnischen Staates - und wurde auch entsprechend sozialisiert. Der viel jüngere Bobkowski erlebte die entscheidenden Prägungen als Heranwachsender im Warschau der 1930er Jahre, im Klima eines zunehmenden polnischen Nationalismus. Stempowski verbrachte die Kriegsjahre in der Schweiz, Bobkowski im von den Deutschen besetzten Paris. Beide entschieden sich nach 1945 für das Leben im Exil, Bobkowski verließ sogar 1948 Westeuropa aus Protest gegen die seines Erachtens dort herrschende Ideenlosigkeit und ging nach Mittelamerika. Er war also nicht nur ein Emigrant aus Polen, sondern auch "a self-exiled rebel from whole of Europe" (268).

"Europa", der "Westen", die "USA" und die "Teilung des Kontinents" infolge des Kalten Krieges sind die Begriffe, die Mikołajewski im literarischen Werk der beiden Mitarbeiter der Kultura unter die Lupe nimmt. Dabei geht er insbesondere auf das Verhältnis zwischen biografischen Entscheidungen und Veränderungen beim Umgang mit den genannten Begriffen ein. Untersucht werden hier also als historische Quellen nicht politische, sondern literarische Wortmeldungen.

Es ist Mikołajewski zuzustimmen, wenn er feststellt, dass literarische Texte in der Kultura - insbesondere während der ersten Jahre ihres Erscheinens, als die Fronten zwischen West und Ost noch nicht verhärtet waren und die zukünftige politische Entwicklung in Polen noch offen schien - als "a first 'reconnaissance' of the postwar situation" dienten (21). Allerdings ist ein so erdachtes Forschungsvorhaben nicht neu. Die Kultura und ihre Autoren wurden bereits des Öfteren auf diese Weise untersucht. Zu erwähnen wäre vor allem das kompetente und gut strukturierte Werk von Jacek Breczko [1], das dem Verfasser seltsamerweise nicht bekannt zu sein scheint.

Für die beiden von Mikołajewski untersuchten Autoren bildete in der Vorkriegszeit Frankreich und insbesondere Paris das Zentrum des Westens. Für Stempowski galt Europa als eine Gemeinschaft von Nationen, die bestimmte ethische und ökonomische Konzepte teilten (36). Doch bereits vor 1939 begann bei ihm dieses positive Bild des Westens zu bröckeln. Die Enttäuschung über Westeuropa speiste sich aus dessen Passivität im Umgang mit dem nationalsozialistischen Deutschland, insbesondere in München 1938 und angesichts des Angriffs auf Polen ein Jahr später. Eine immense Rolle bei diesen Veränderungen spielte selbstverständlich - und dies gilt für beide Autoren - die durch die westlichen Staaten gegen Ende des Krieges getroffene Entscheidung, Polen dem sowjetischen Machtbereich zuzuschlagen. All dies zerstörte ihren Okzidentalismus sowie auch das früher sehr emotionale Verhältnis zu Frankreich. "Die Liebesaffäre [ist] endgültig vorbei", reflektierte 1958 Witold Gombrowicz, auch ein Autor der Kultura, diesen Zustand (287).

Die politische Entwicklung nach 1945 zwang Stempowski und Bobkowski, ihr USA-Bild zu überdenken. Während Stempowski auf Distanz zu dem Land und der mit ihm assoziierten Massenkultur blieb, zeigte sich Bobkowski diesbezüglich offen. Er "identified himself, body and soul, with the Nord Americans and followed the right-wing Cold War discourse, with its highly bellicose rethoric", betont Mikołajewski (275).

Wirklich spannend wird die zu rezensierende Arbeit erst, als Mikołajewski über die Tagebücher Bobkowskis aus der Zeit von 1940 bis 1944 in Frankreich berichtet. Sie erschienen 1957 unter dem Titel Szkice piórkiem (Federskizzen) im Institut Littéraire, dem Hausverlag der Kultura. Im Jahr 2000 wurde das Manuskript im Archiv des Polish Institute of Arts and Science of America in New York gefunden. Somit konnte Mikołajewski die während des Krieges entstandenen Notizen mit jenem Text vergleichen, der auf der Höhe des Kalten Krieges publiziert wurde. Der Vergleich zeigt, wie tiefgreifend die von Bobkowski vorgenommenen Änderungen waren. Die ursprüngliche Version bezeugt seinen grundsätzlichen und einfältigen Antisemitismus, der noch dazu mit antibritischen und antikapitalistischen Klischees verwoben war. Manchmal kommentierte er die antisemitischen Ideen der Nationalsozialisten mit Sympathie, auch die Vernichtung der Juden. Alle diese Aussagen wurden aus der 1957 erschienenen Ausgabe getilgt, mehr noch: Bobkowski fügte Abschnitte hinzu, in denen er den Nationalismus offen angriff, sowie Fragmente, in denen die Bedeutung der Juden für die europäische Kultur überschwänglich gelobt wurde. "He virtually reversed his wartime attitude towards Jews and their persecution", kommentiert Mikołajewski dieses Vorgehen (384).

Der Verfasser vermutet, dass diese Veränderungen die persönliche Entwicklung Bobkowskis und sein wachsendes Wissen in Bezug auf den Holocaust widerspiegeln. Auch seien sie aus der Zusammenarbeit mit dem Kultura-Kreis resultiert, der den Antisemitismus bekämpfte (378, 383). Quellengestützte Beweise werden für diese Vermutung aber nicht geliefert.

Insgesamt lässt sich sagen, dass die Arbeit zum großen Teil Ergebnisse präsentiert, die entweder bekannt sind oder zu erwarten waren. Eine gewisse Straffung des Textflusses und eine klarere Positionierung gegenüber der bisherigen Forschung hätten der Publikation gut getan.


Anmerkung:

[1] Jacek Breczko: Poglądy historiozoficzne pisarzy z kręęgu "Kultury" paryskiej. Przezwyciężenie katastrofizmu, odrzucenie mesjanizmu [Historiografische Ansichten der Schriftsteller aus dem Kreis der Pariser "Kultura". Überwindung des Katastrophismus, Ablehnung des Messianismus], Lublin 2010.

Bernard Wiaderny