Andrea Zedler / Jörg Zedler (Hgg.): Giro d'Italia. Die Reiseberichte des bayerischen Kurprinzen Karl Albrecht (1715/16). Eine historisch-kritische Edition (= Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte; Bd. 90), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2019, 694 S., eine Kt., 13 s/w-Abb., 3 Tbl., ISBN 978-3-412-51361-0, EUR 90,00
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An einem Dienstag im Dezember 1715 verabschiedete sich der bayerische Kurprinz Karl Albrecht persönlich von seinen Eltern, um anschließend mit einem ansehnlichen Gefolge auf eine mehrmonatige Reise in Richtung Süden aufzubrechen. Gemeinsam mit seinen beiden jüngeren Brüdern - Philipp Moritz und Ferdinand Maria Innozenz - ging es von München über Haag, Ampfing, den Marienwallfahrtsort Altötting, Burghausen und Lauffen zunächst bis nach Salzburg. Hier, an der Landesgrenze, verabschiedeten sich die beiden jüngeren Wittelsbacher und die eigentliche Reise des 18-jährigen Kurprinzen begann. Sie sollte ihn zum Karneval nach Venedig, an verschiedene Höfe auf der italienischen Halbinsel, vor allem aber nach Rom und weiter bis nach Neapel führen. Insgesamt war Karl Albrecht von Dezember 1715 bis zum August 1716 unterwegs.
Andrea und Jörg Zedler haben nun erstmals eine historisch-kritische Edition der vier Reiseberichte vorgelegt, die aus dem direkten Umfeld der Entourage des Kurprinzen stammen. Die Edition leistet damit - so viel sei an dieser Stelle bereits vorweggenommen - einen wichtigen Beitrag zur frühneuzeitlichen Reiseforschung; insbesondere zur europäischen Reisekultur des 18. Jahrhunderts. Dieses Forschungsfeld hat sich seit etwa 30 Jahren etabliert. Allerdings wird seit den 1990er Jahren auch immer wieder darauf verwiesen, dass zwar unzählige Reiseberichte in gedruckter Form überliefert sind, es aber - trotz jüngerer Editionsprojekte wie etwa zur Reise Herzog Friedrichs von Sachsen-Gotha nach Frankreich und Italien oder zur Grand Tour des Fürsten Franz von Anhalt-Dessau - noch immer an kritischen Editionen von Reiseberichten fehlt. [1] Dabei könnten sie eine wesentliche Grundlage für vergleichende Studien bilden. Vor diesem Hintergrund wäre bereits die kritische Edition von einem der überlieferten Reiseberichte zu begrüßen. Die vorliegende Edition vereint jedoch alle vier bekannten Texte und stellt sie einander so gegenüber, dass sie leicht zu vergleichen sind.
Die Reiseberichte werden als A, B, C und D bezeichnet und erscheinen stets in der gleichen Reihenfolge. Bericht A mit dem Titel "Diarium der Reiss in Italien" (Geheimes Hausarchiv, Bayerisches Hauptstaatsarchiv Abt. III) kann dem Reisesekretär Ehrenfried von Scholberg zugeschrieben werden. Bericht B "Ein kurz verfastes Diarium" aus der Stiftsbibliothek Göttweig hat zweifelsfrei Franz March, den Sekretär des Reiseoberhofmeisters Welz als materiellen Urheber. Das "DIarIUM Die Raiß Ihro Durchlaucht deßß Chur Prinzen von Bayrn Carl Albrecht betreffend", das als Bericht C ediert worden ist, stammt aus der Feder eines Reisebegleiters, der vermutlich für die Organisation und den Transport auf der Reise verantwortlich war. Als Indizien hierfür können die Aufzeichnungen über einzelne Reiseposten und die Angabe ihrer jeweiligen Entfernungen gelten. Diese fehlen in den anderen Berichten und können deswegen durchaus als Hinweis auf einen Verfasser gedeutet werden.
Während die Berichte A, B und C den gesamten Reisezeitraum betrachten (auch wenn die letzten Stationen der Rückreise im Sommer 1716 knapp ausfallen), unterscheidet sich der als D bezeichnete Bericht sowohl äußerlich als auch inhaltlich (65f.). Schon der Titel macht klar, dass nur ein Ausschnitt der Reise beschrieben wird, der von Padua nach Venedig führt und mit der Abreise aus Florenz endet: "VOYAGE D'ITALIE DE SON ALTESSE SERENISSIME MONSEIGNEUR LE PRINCE ELECTORAL DE BAVIERE ou Relation journaliere et exacte de tout ce qui s'est passé de plus remarquable dans le dir voiage jeusqu'a Florence". Während die zum Teil sehr knapp gehaltenen Berichte A bis C auf Papier notiert wurden und maximal von einem festen Pergamenteinband zusammengehalten werden, liegt der sehr detailfreudige, auf Französisch verfasste Bericht D in Reinschrift vor, ist repräsentativ gestaltet und mit einem Samtumschlag eingebunden. Einige handschriftliche Aufzeichnungen des Kurprinzen selbst wurden dem Reisebericht - offensichtlich später - beigelegt. Ausgehend von zehn Feder- und Bleistiftzeichnungen, die insbesondere Aufschluss über das Zeremoniell geben, gelingt es Andrea und Jörg Zedler den Ingenieur Franz Peter Flussing als Verfasser auszumachen. Flussing gehörte zu einer 'Vorhut' (39) von wohl 14 Personen, die von München nach Chievo vorausgeschickt worden war und erst dort mit dem Rest der Reisegruppe zusammentraf (599-605, Anhang C).
Für die Leser der Edition erweist es sich als hilfreich, dass die vier Reiseberichte nicht in sich geschlossen wiedergegeben, sondern einander tageweise gegenübergestellt werden. Die Struktur ergibt sich also aus den jeweiligen Reisetagen, die fortlaufend durchnummeriert sind, das Datum, den Aufenthaltsort bzw. die Reisestationen und ein kurzer Regest enthalten. In den meisten Fällen lässt sich der Text der Reiseberichte auf diese Weise gut strukturieren und gegenüberstellen. Kommt es in den Vorlagen zu einer Schilderung, die Ereignisse von zwei oder mehr Tagen zusammenfasst, dann durchbricht die klare Tagesstruktur der Edition zwar im Einzelfall schon einmal einen Satz, verweist aber stets auf den Originalzusammenhang (z.B. 154: - Überleitung von 57B zu 58B und 57C zu 58C).
Der Apparat ist in einen Sachkommentar mit Fußnoten in arabischen Ziffern und einen textkritischen Apparat, der stets am Ende des jeweiligen Dokuments abgedruckt wird und für jedes Dokument - konkret: jede Tagesbeschreibung - wieder von vorn zählt (i, ii, iii etc.). Hierdurch kommt es im Layout gelegentlich dazu, dass die Fußnoten am Seitenende vor den textkritischen Endnoten gesetzt werden mussten (159f.). Alles in allem erweist sich die Entscheidung für eine nach Tagen gegliederte Edition jedoch als die beste aller Lösungen: Der Vergleich wird erleichtert, ja ergibt sich beim fortlaufenden Lesen teilweise wie von selbst. Außerdem wird eine ausufernde, sich wiederholen müssende Kommentierung vermieden, was wiederum der Qualität der Kommentare zugutekommt.
Greift man beispielsweise Karl Albrechts Venedigaufenthalt vom 4. Februar bis zum 11. März 1716 heraus, dann wird deutlich, mit welchem Aufwand die Reiseberichte kommentiert werden. Allein für die Identifikation der genannten Personen waren in weiten Teilen archivalische Recherchen nötig. Hinzu kommt ein gehöriges Maß an Kontextualisierungsvermögen und mitunter auch Kreativität, um beispielsweise aus Aloysii Bessani den gemeinten Alvise Pisani ableiten zu können (152). Sachbetreffe werden bei der ersten Nennung erläutert. Konkret reicht diese Kommentierung dann von der knappen Erläuterung spezifisch venezianischer Orte oder Gremien - die Mercerie (160), das Collegio (153) etc. - bis zu knappen Vorstellungen einzelner Musiktheater, ihrer Entstehung und zeitgenössischer Spielpläne (Teatro San Samuele / Teatro Grimani / Teatro Camplay, 158). Neben Opernbesuchen wird regelmäßig vermerkt, dass der Kurprinz sich zum "Ridotto" begab, in Venedig ein Begriff für den Ort, an dem nächtliches Kartenspiel stattfand und wo auch Spiele wie "Pharo" erlaubt waren, die in Privathäusern nicht gestattet waren. Der Kommentar erläutert den Ridotto zunächst allgemein, skizziert dann den berühmtesten venezianischen Ridotto im Palazzo Dandolo und nennt die wichtigste Sekundärliteratur, bevor abschließend sogar noch auf Archivalien hingewiesen wird (152). Für weiterführende Forschungen zur bayerischen Landesgeschichte, aber auch für vergleichende Zugriffe zu frühneuzeitlichen Prinzenreisen bietet dieser detaillierte und quellengestützte Sachkommentar eine sehr gute Voraussetzung. Entsprechend ist auf eine rege Rezeption zu hoffen.
Andrea und Jörg Zedler bieten verschiedene Anregungen für vergleichende Forschungen, in die sich die vorgelegte Edition einreihen ließe. Hierzu gehören das Reisezeremoniell, das nicht nur für den inkognito reisenden bayerischen Kurprinzen, sondern beispielsweise auch mit Blick auf andere - ebenfalls inkognito - reisende Prinzen Erwähnung findet. So bieten beispielsweise Differenzen zwischen dem Kurprinzen und seinem Obersthofmeister Welz Einblick in zeremonielle Erwartungshaltungen, wenn Karl Albrecht vorgehalten wird, dem Nuntius keinen Sitzplatz angeboten zu haben, obwohl der Hofmeister sowie der Nuntius selbst signalisiert hatten, dass ein Sitzplatz in Anwesenheit des Kurprinzen angemessen wäre (167).
Der große finanzielle und organisatorische Aufwand der Reise zeigt außerdem, dass Max Emanuel nach der katastrophalen Niederlage im Spanischen Erbfolgekrieg die Reise seines ältesten Sohnes auch zu nutzen verstand, um Bayerns Position innerhalb der europäischen Dynastien wieder zu stärken. Hierzu gehörten (religions-)politische und kulturelle Aufgaben des Kurprinzen, insbesondere in Rom. Andrea und Jörg Zedler weisen in diesem Zusammenhang explizit auf Forschungsdesiderate hin. Weiterführende Forschungen zu Funktion und Rezeption von Kunst - insbesondere von Musik - sind eher dazu geeignet, bereits vorliegende Studien zu ergänzen. Mehr Potential bergen sicherlich Forschungen zur Wahrnehmung von Italienreisen, vor allem die Rückwirkungen auf Bayern und andere Territorien des Alten Reichs.
Eine systematische historisch-kritische Edition einer solchen Prinzenreise, die konsequent vergleichend angelegt ist, stand bislang für den bayerischen Hof noch aus. Andrea und Jörg Zedler haben ein beeindruckendes Werk vorgelegt, das durch ein Personen-, Orts- und Sachregister vorbildlich erschlossen ist.
Anmerkung:
[1] Antje Losfeld / Christophe Losfeld (Hgg.): Die Grand Tour des Fürsten Franz von Anhalt-Dessau und des Prinzen Johann Georg durch Europa. Aufgezeichnet im Reisejournal des Georg Heinrich von Berenhorst 1765 bis 1768, Halle/Saale 2012; Holger Kürbis / Peter-Michael Hahn (Hgg.): Schriften zur Reise Herzog Friedrichs von Sachsen-Gotha nach Frankreich und Italien 1667 und 1668. Eine Edition (= Schriften des Staatsarchivs Gotha; Bd. 14), Köln / Weimar / Wien 2019.
Britta Kägler