Holger Kürbis / Peter-Michael Hahn (Hgg.): Schriften zur Reise Herzog Friedrichs von Sachsen-Gotha nach Frankreich und Italien 1667 und 1668. Eine Edition (= Schriften des Staatsarchivs Gotha; Bd. 14), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2019, 3 Bde., XLVI + 1580 S., 22 s/w-Abb., 2 Kt., zahlr. Tbl., ISBN 978-3-412-51338-2, EUR 200,00
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Das Zeitalter des Barock und des Absolutismus ist zugleich die Zeit der großen Fürstenreisen und Kavalierstouren. In einigen Fällen wurden diese auch, gewissermaßen als Geste der Repräsentation und als Ausweis erfolgreicher Reisetätigkeit, von Fürsten oder ihren Hofmeistern im Anschluss publiziert (Ferdinand Albrecht I., Herzog von Braunschweig-Lüneburg-Bevern, Sigmund von Birken, Johann Wilhelm Neumayr von Ramßla). Im Allgemeinen aber sahen Fürsten und Adlige keinen Anlass, über ihr eigenes, persönliches Reiseleben mit einem Publikum ins Gespräch zu kommen. Ihr Resonanzraum bestimmte sich nicht durch gedruckte Bücher und das Gespräch mit der Gelehrtenwelt, sondern durch ihre militärische, politische und diplomatische Tätigkeit. Dafür mochte eine große Reise wohl nützlich sein - Ausbildung und Verhaltensformung, Vorstellung an bedeutenden Höfen, Stiftung von Beziehungen -, aber Druck und Verbreitung einer Reisebeschreibung waren dafür keinesfalls erforderlich. Freilich wurden solche Aufzeichnungen grundsätzlich in den Archiven aufbewahrt und auch von ihren Autoren gewiss immer wieder nachgesehen, schließlich enthielten sie ja nicht nur allgemeine Informationen über Geographie, Land und Leute, Verkehrswesen und Preise, sondern auch eine Dokumentation der persönlichen Begegnungen, der Beziehungen, Lebensgeschichten, Karriereinformationen. So kommt es, dass Historiker in den letzten Jahrzehnten vielfach genau diese Quellen in Archiven aufgesucht haben, wenn es galt, Prinzenreisen und Kavalierstouren genauer zu beschreiben, zu analysieren, zu typisieren und zu kontextualisieren (Katrin Keller, Eva Bender, Andrea und Jörg Zedler). Nur in wenigen Fällen sind unpublizierte Reiseberichte dieser Epoche allerdings als Buch gedruckt worden, nicht zuletzt deshalb, weil sie einen älteren Sprachstand repräsentieren, der einem breiteren Publikum nur schwer zu vermitteln ist, aber auch deshalb, weil sie oft nur fragmentarisch vorliegen. Gemischte Notizen mochten dem Reisenden selbst von Nutzen sein; ohne Ausrichtung seiner Reiseerzählung auf Leser oder Hörer entbehren sie vielfach eines allgemeineren Interesses.
Eine der wenigen nun gedruckt vorliegenden, umfangreich dokumentierten Prinzenreisen unternahm Friedrich von Sachsen-Gotha und Altenburg, der älteste Sohn Herzog Ernsts von Sachsen-Gotha und Altenburg, als 21-jähriger in Begleitung zweier Reisehofmeister (hier "Reisedirektoren" genannt), eines Sekretärs, eines Arztes, eines Lakaien, eines Kammerdieners, eines Kutschers und eines Knechts. (Später reduzierte sich die Suite auf drei Personen.) Die Edition lässt erkennen, dass die Reise sehr sorgfältig mehrere Jahre im Voraus geplant wurde. Reiseländer und Reiserouten waren offenkundig zu jener Zeit noch nicht in gleichem Maße kanonisiert wie später, so dass der regierende Herzog zunächst eine Reise in die nordischen Länder vorsah und erst später einer Reise seines Sohnes nach Frankreich seine Zustimmung gab. Während man von Nordfrankreich aus zunächst einen Abstecher nach England geplant hatte, wandte man sich stattdessen doch lieber nach Südfrankreich und Italien. Aber auch dieses Land war noch nicht in der Weise selbstverständlich und erschlossen, wie das für spätere Italienreisen üblich wurde, so dass man hier mit Erstaunen einem Reisenden folgt, der zwar, von Monaco her kommend, Turin, Mailand, Verona, Venedig, Bologna, Florenz und Pisa besucht, sich dann aber nach Norden wendet und auf Rom und Neapel verzichtet. Die ganze Reise dauerte 14 Monate, vom April 1667 bis zum Juni 1668. Die Reisekosten sind genauestens durchkalkuliert und auch nachgewiesen worden; sie waren der Stellung eines Herzogs von Sachsen-Gotha und Altenburg angemessen, hielten sich aber trotzdem in engem Rahmen.
Die Reise ist in zwei verschiedenen Fassungen im ersten Band der Edition dokumentiert: der Prinz selbst notierte sich Tag für Tag den Ablauf, und sein "Reisedirektor" Anton Finck desgleichen. Beide Berichte in deutscher Sprache sind voneinander unabhängig verfasst worden; sie ergänzen sich an manchen Stellen, wenn sie auch insgesamt eine Doppelung bedeuten. Beide erweisen sich als sehr nüchtern und sachbezogen, oft nur im Sinne einer Gedächtnisstütze bezüglich der besuchten Orte und Sehenswürdigkeiten sowie der kontaktierten Personen. Was die geographischen und topographischen Informationen, die Sehenswürdigkeiten und das Verkehrswesen, die Höfe und die Herbergen unterwegs anbelangt, führen sie nur punktuell über die bekannten großen Reisewerke der Zeit hinaus (Zeiller usw.). Aufschlussreich sind sie einzig als Dokumentation eines tatsächlichen Reiseverlaufes sowie der persönlichen, zufälligen Begebenheiten. Darüber hinaus sind sie ergiebig für Fragen der Ständegesellschaft und der Orientierung an Rängen, Titeln und Namen. Damit zusammenhängend findet man hier sehr sprechende Passagen zur Frage des Inkognitos. Der Erbprinz reiste zunächst bis Paris unter dem Namen "Baron von Rautenfels", später als "Graf von Wettin", wozu freilich zu bemerken ist, dass die meisten Höhergestellten, denen er begegnete, entweder schon Bescheid wussten oder den wahren Namen und Stand des Reisenden zugeflüstert bekamen. Die Frage war also eigentlich nicht, ob ein Prinz inkognito reiste oder nicht, sondern bei welchen Gelegenheiten welche Formen der Identität entweder gewählt oder verleugnet wurden. Dieses Changieren der Reiseidentität wird hier im Detail belegt und besprochen.
Der zweite Band enthält verschiedene Aktenstücke zur Reiseplanung und -durchführung, zur Landeskunde von Frankreich und Italien sowie eine lückenlose Dokumentation der Reisekosten. Der dritte Band enthält eine Sammlung der auf die Reise bezogenen Briefe, insbesondere auch die der Reisedirektoren, aber auch des Herzogs und seines reisenden Sohnes.
Insgesamt liegt hier eine sehr sorgfältige, bisher einmalige Dokumentation einer Reise aus dem Zeitalter Ludwigs XIV. vor, die reichhaltige Materialien zu einem weiteren Studium der Fürstenreisen und Kavalierstouren des 17. Jahrhunderts bietet. Während sich die großen Reisen des 18. Jahrhunderts an vorgegebenen Mustern orientieren konnten und schon sehr routiniert durchgeführt wurden, erweist sich die erste Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg noch eher als eine Phase des Tastens und Probierens. Dabei gingen die Gothaer sehr gezielt und rational vor, um sich bereits vor Reiseantritt alle wichtigen Informationen zu verschaffen. Beispielsweise wandte man sich im Vorfeld an Herzog Bernhard von Sachsen-Jena, der in früheren Jahren eine Grand Tour unternommen hatte. Trotzdem waren Reisen zu dieser Zeit noch immer unvorhersehbar und gefahrvoll; einer der Höhepunkte der Reisebeschreibung gilt der Erzählung, wie die Reisegruppe nach einem Besuch bei Ludwig XIV. im Felde in Lothringen von spanischen Reitern angegriffen wurde, wobei zwei Mitglieder der Reisegesellschaft, der Sekretär und der Arzt, vorübergehend in Gefangenschaft gerieten und zwei weitere, der Kammerdiener und der Sekretär, sogar ihr Leben lassen mussten. Der Erbprinz selbst konnte sich bei dieser Gelegenheit (folgt man seiner eigenen Beschreibung) durch Tapferkeit und Kaltblütigkeit auszeichnen.
Michael Maurer