Sara Berger / Marcello Pezzetti (a cura di): La razza nemica. La propaganda antisemita nazista e fascista, Roma: Gangemi Editore 2017, 191 S., zahlr. Abb., ISBN 978-88-492-3374-2, EUR 25,00
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Sara Berger / Marcello Pezzetti (a cura di): Solo il dovere oltre il dovere. La diplomazia italiana di fronte alla persecuzione degli ebrei 1938-1943, Roma: Gangemi Editore 2019, 239 S., zahlr. Kt., zahlr. Abb., ISBN 978-88-492-3708-5, EUR 28,00
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Jutta Limbach: Die Demokratie und ihre Bürger. Aufbruch zu einer neuen politischen Kultur, München: C.H.Beck 2003
Karlo Ruzicic-Kessler: Italiener auf dem Balkan. Besatzungspolitik in Jugoslawien 1941-1943, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2017
Andreas Kießling: Die CSU. Machterhaltung und Machterneuerung, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2004
Wer nach den Wurzeln der Judenpolitik des Mussolini-Regimes fragte, erhielt noch bis vor wenigen Jahren oft die lapidare Antwort, der antisemitische Kurswechsel des Jahrs 1938 sei eine bloße Folge der Annäherung Italiens an das Deutsche Reich gewesen und nicht Ausdruck eigener ideologischer Prägungen. In dieser Deutung erschienen Judenpolitik und Rassegesetze lediglich als abhängige Variablen übergeordneter Ziele der faschistischen Führung ohne großes Eigengewicht. Wer wollte, konnte sich dabei auf den ebenso bedeutenden wie umstrittenen Faschismus-Forscher Renzo De Felice berufen, dessen erstmals 1961 publizierte Geschichte der Juden im faschistischen Italien noch heute zu den Standardwerken zählt [1]. Immer stärker dem Revisionismus zuneigend, vertrat De Felice schließlich die These, der Faschismus sei anders als der Nationalsozialismus weder rassistisch noch antisemitisch gewesen und könne nicht des Genozids angeklagt werden, da er sich außerhalb der langen Schatten des Holocaust befunden habe. Dieses bequem-apologetische Narrativ, das in bestimmten politischen Kreisen Italiens noch heute zum Standardrepertoire gehört, blieb lange Zeit mehr oder weniger unwidersprochen. Es dauerte bis zur Jahrtausendwende, bis Michele Sarfatti in seiner großen Gesamtdarstellung sowohl die autochthonen Wurzeln des faschistischen Antisemitismus in Italien betonte als auch die Judenpolitik Mussolinis als totalitäres Projekt ernst nahm [2]. Schon zuvor war es die 1994 vom Centro Furio Jesi in Bologna organisierte und später auch in anderen Städten mit großem Erfolg gezeigte Ausstellung "La menzogna della razza" - die Rassenlüge -, die einen Kontrapunkt zur herrschenden Lehre setzte [3]. Die Schau und der dazugehörige Katalog führten einem breiten Publikum vor Augen, wie umfassend die Bemühungen des Regimes gewesen waren, Xenophobie, Judenhass und Rassenbewusstsein in der italienischen Gesellschaft zu verankern.
Gewissermaßen im fernen Kielwasser dieser Ausstellung segeln die beiden Kataloge, die hier anzuzeigen und vorzustellen sind. Beide gehen auf Projekte zurück, die bestimmte Aspekte rassistisch-antijüdischer Politik visualisieren und einem breiteren Publikum ins Gedächtnis rufen wollten, beide Projekte wurden von der 2008 gegründeten und unter anderem von der Stadt und der Israelitischen Kultusgemeinde Rom getragenen Fondazione Museo della Shoah organisiert, und beide Kataloge werden von Sara Berger und Marcello Pezzetti verantwortet. Die beiden Historiker gehören zu den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fondazione und sind durch einschlägige Veröffentlichungen ausgewiesen, so dass eine gelungene Synthese von Forschung und Präsentation zu erwarten ist.
Von Januar bis Mai 2017 zeigte die Fondazione unter dem Titel "Die feindliche Rasse" eine Ausstellung zur antisemitischen Propaganda der italienischen Faschisten und der deutschen Nationalsozialisten. Dieser Ansatz hat Vor- und Nachteilte zugleich: Zum einen zeigt sich die enge Verwandtschaft der beiden Leitfaschismen - nicht zuletzt, wenn man die Bildsprache betrachtet. Zum anderen transportieren die Herausgeber damit aber auch unterschwellig die Botschaft von der Meinungsführerschaft der Nationalsozialisten in Wort, Bild und Tat. Eingehender problematisiert wird dieser Aspekt von Transfer und Vergleich freilich nicht, wobei erschwerend ins Gewicht fällt, dass es weder eine übergreifende Einleitung noch differenziertere Kapiteleinführungen, noch weiterführende Literaturhinweise gibt. Der Katalog zerfällt in fünf Abschnitte: Nach einer einleitenden Sequenz über den europäischen Antisemitismus seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts und die judenfeindlichen Stereotype des Faschismus und Nationalsozialismus folgen zwei Kapitel über die antisemitische Propaganda des Deutschen Reichs und des faschistischen Italien, bevor der Katalog mit einem Kapitel über die nationalsozialistische Propaganda in Italien und einem zusammenfassenden Epilog schließt. Ein eigenes Kapitel über die Kriegsjahre fehlt ebenso wie ein Kapitel über die Repubblica Sociale Italiana zwischen 1943 und 1945. Zwar finden sich einige Abbildungen, die darauf verweisen, aber ohne den Kontext bleibt etwa die wichtige Frage nach einer Radikalisierung der rassistisch-antisemitischen Propaganda des Regimes in Krieg und Bürgerkrieg weitgehend offen.
Die im Katalog abgebildeten Exponate zum nationalsozialistischen Antisemitismus hat man vielfach schon gesehen, aber die Stücke aus Italien - Dokumente, Flugblätter, Zeitungsausschnitte, Karikaturen und Ähnliches - kennt man in Deutschland kaum, und sie wirken auf nicht gut informierte Betrachter erstaunlich gewalttätig. Ein Beispiel mag in diesem Zusammenhang genügen: Eine Feldpostkarte aus Abessinien 1935/36 zeigt die Zeichnung eines italienischen Soldaten, der im Kampf gegen die Truppen des Negus die "geeignetste Waffe" einsetzt - Insektenvertilgungsmittel aus der Giftspritze (93). Aus solchen, zuweilen irritierenden Gesichtspunkten könnten sich ebenso Fragen ergeben wie aus den Exponaten zur Rezeption des Hetz-Films "Jud Süß" (Suss - l'ebreo) in Italien. Aber diese Chance lassen die Herausgeber zumeist ungenutzt.
Der zweite Katalog begleitete die Ausstellung über die "italienische Diplomatie angesichts der Judenverfolgung 1938-1943", die zwischen Januar und Juli 2019 gezeigt wurde. Während das Themenfeld antisemitische Propaganda schon als einigermaßen vermessen gelten kann, trifft das für die Geschichte von Diplomatie und Judenverfolgung nur begrenzt zu, so dass Ausstellung und Ausstellungskatalog durchaus einen gewissen Neuigkeitswert beanspruchen können. Allerdings gilt auch hier das Manko, dass es im Katalog keine übergreifende Einleitung gibt und dass differenziertere Kapiteleinführungen ebenso fehlen wie Hinweise auf weiterführende Literatur. Der Katalog zerfällt in zwei große Teile: Der erste beschäftigt sich mit den Akteuren im italienischen Außenministerium und mit deren Rolle bei der Umsetzung der Rassegesetze von 1938. Dabei ist nicht zuletzt von Interesse, wie das Außenministerium unter der Führung von Mussolinis Schwiegersohn Galeazzo Ciano mit Diplomaten umging, die als Juden diskriminiert wurden. Viel ist darüber bisher nicht bekannt, und umso interessanter sind die in diesem kurzen Abschnitt präsentierten Dokumente, Photos und Lebensläufe. Der zweite Teil dreht sich um die Judenverfolgung in Europa aus der Perspektive der italienischen Diplomatie - vor allem während des Zweiten Weltkriegs - an ausgewählten Beispielen: das Deutsche Reich, Kroatien, Frankreich, Bulgarien, die Niederlande und Griechenland. Hier wechselt freilich der Fokus, und die italienischen Diplomaten erscheinen weniger als Vertreter der zentralen außenpolitischen Institution eines Regimes, das 1938 den Antisemitismus zu einer verbindlichen Richtschnur politischen Handelns erklärt hatte, denn als Getriebene der deutschen Vernichtungspolitik. Besonders deutlich wird dies in den Abschnitten über Kroatien und Griechenland, wo sich italienische Diplomaten und Militärs 1942/43 den immer drängenderen deutschen Forderungen ausgesetzt sahen, Juden aus ihren Besatzungsgebieten auszuliefern und damit in den sicheren Tod zu schicken. Im Endeffekt retteten die Entscheidungen der Akteure vor Ort, die von den deutschen Verbündeten vielfach als Obstruktion wahrgenommen wurden, zahlreichen Juden das Leben. Doch warum italienische Diplomaten und Offiziere handelten, wie sie es taten, und welche Motive sie verfolgten, erschließt sich aus den abgedruckten Aktenstücken, persönlichen Aufzeichnungen und sonstigen Materialen nur ansatzweise. Dies ist umso bedauerlicher, als die Forschung hier keine einfachen Antworten parat hält und das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.
Es bleibt ein zwiespältiger Eindruck. Die Herausgeber haben interessante, zuweilen auch überraschende Stücke zusammengetragen, überlassen ihre Leserinnen und Leser aber bei der Interpretation zu oft sich selbst. Vielleicht wäre es sinnvoller gewesen, weniger Material zu präsentieren (zumal viele Reproduktionen vor allem in La razza nemica recht kleinformatig ausfallen), dieses aber besser einzuordnen und zu kontextualisieren. Wer sich auskennt, für den sind die beiden Kataloge freilich eine Fundgrube.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Renzo De Felice: Storia degli ebrei italiani sotto il fascismo. Nuova edizione ampliata, Turin 1993.
[2] Vgl. Michele Sarfatti: Gli ebrei nell'Italia fascista. Vicende, identità, persecuzione, Turin 2000; dieses Standardwerk liegt seit 2014 unter dem Titel "Die Juden im faschistischen Italien. Geschichte, Identität, Verfolgung" auch in deutscher Sprache vor.
[3] Vgl. La menzogna della razza. Documenti e immagini del razzismo e dell'antisemitismo fascista, hrsg. vom Centro Furio Jesi, Bologna 1994.
Thomas Schlemmer