Kyle Harper: Fatum. Das Klima und der Untergang des Römischen Reiches, München: C.H.Beck 2020, 567 S., 26 Kt., 42 s/w-Abb., 9 Tbl., ISBN 978-3-406-74933-9, EUR 32,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Christof Mauch / Thomas Zeller (eds.): Rivers in History. Perspectives on Waterways in Europe and North America, Pittsburgh, PA: University of Pittsburgh Press 2008
Franz Mauelshagen: Geschichte des Klimas. Von der Steinzeit bis zur Gegenwart, München: C.H.Beck 2023
Thomas M. Bohn / Aliaksandr Dalhouski / Markus Krzoska: Wisent-Wildnis und Welterbe. Geschichte des polnisch-weißrussischen Nationalparks von Białowieża, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2017
Jon Mathieu: Die dritte Dimension. Eine vergleichende Geschichte der Berge in der Neuzeit, Basel: Schwabe 2011
Dieter Groh / Michael Kempe / Franz Mauelshagen (Hgg.): Naturkatastrophen. Beiträge zu ihrer Deutung, Wahrnehmung und Darstellung in Text und Bild von der Antike bis ins 20. Jahrhundert, Tübingen: Gunter Narr 2002
Seit der britische Historiker Edward Gibbon im 18. Jahrhundert mit seinem Werk "Decline and Fall of the Roman Empire" an die Öffentlichkeit trat, hat kaum ein anderes antikes Thema, auch außerhalb der Altertumswissenschaften, eine vergleichbare Aufmerksamkeit gefunden wie der "Untergang des Römischen Reiches". Von der Frage, wie es dazu kommen konnte, dass das scheinbar so stabile, mächtige Weltreich der Römer aufhörte zu bestehen, geht offenbar eine eigenartige Faszination aus. [1] Natürlich kann man darüber diskutieren, ob der Begriff "Untergang" überhaupt angebracht ist. Nachdem das Weströmische Reich mit der Absetzung des letzten Kaisers Romulus Augustus 476 bzw. der Ermordung des Iulius Nepos 480 endete, bedeutete dieser Vorgang auch in der Deutung der Zeitgenossen keine radikale Zäsur, sondern zunächst nur den Verlust zentraler staatlicher Institutionen. Ganz zu schweigen davon, dass im Osten des Reiches durch Byzanz die Tradition des Römischen Reiches noch gut 1000 Jahre Bestand hatte.
Zu verschiedenen Zeiten wurde die Frage nach den Gründen, die für das Ende des Römischen Reiches verantwortlich gewesen sind, verschieden beantwortet. Die jeweiligen Antworten hatten auch immer viel mit der jeweils eigenen Gegenwart zu tun. Gibbon gab den Christen und den Germanen die Schuld, was heute jedenfalls in dieser Pauschalität niemand mehr behaupten wird. Später hatten Dekadenz-Theorien Konjunktur, in jüngerer Zeit Phänomene der Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Nicht immer konnten die Protagonisten dabei der methodisch bedenklichen Versuchung widerstehen, moderne Probleme in die Vergangenheit zu projizieren und sich dann zu wundern, wie aktuell Geschichte doch sein kann.
In dem vorliegenden Buch geht es um Klima und Seuchen. Deren Anteil am Untergang des Römischen Reiches hat der Autor, Professor für Altertumswissenschaften an der Universität Oklahoma, eine im amerikanischen Original 2017 erschienene, ausführliche Monographie gewidmet. Sie liegt nun in einer von Anna und Wolf Heinrich Leube zuverlässig und umsichtig besorgten deutschen Übersetzung vor.
Das Buch besteht aus einem Prolog, sieben Hauptkapiteln und einem Epilog sowie einem umfangreichen Anhang. Hinzu kommen zahlreiche Karten, Diagramme und Tabellen. Auf der Grundlage literarischer und archäologischer Quellen sowie modernster naturwissenschaftlich-geophysikalischer Studien entwirft der Verfasser, in chronologischer Vorgehensweise, ein Szenario der kaiserzeitlichen Römischen Geschichte, deren Entwicklung wesentlich von Klima sowie von Epidemien und Pandemien geprägt worden sei. Akribisch und detailliert zeichnet Harper nach, wie sich nach einer Phase des Klimaoptimums, die von 200 v. Chr. bis 150 n. Chr. dauerte, das Klima für die Zeitgenossen nicht direkt spürbar, aber doch signifikant wandelte. Harper nennt diese Phase zwischen 150 und 450 n. Chr. eine Übergangsperiode. Ab der Mitte des 5. Jahrhunderts n. Chr. kam es zu einem durch Vulkanausbrüche herbeigeführten, deutlichen Abfall der Temperaturen. Die "Kleine Eiszeit" dauerte bis etwa 700 n. Chr. und beeinflusste in massiver Weise Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
Neben dem Klima setzten den Menschen Epidemien und Pandemien zu - von der sogenannten Antoninischen Pest in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr. über die "Cypranische Pest" des 3. Jahrhunderts n. Chr. bis hin zu großen Seuche unter Kaiser Justinian im 6. Jahrhundert n. Chr. Die demographischen Folgen waren verheerend und hatten einen großen Anteil am Prozess des Niedergangs des Römischen Reiches. Rom kämpfte tapfer gegen die, partiell von ihm selbst verschuldeten Herausforderungen, bis es schließlich vor Klimawandel und Seuche kapitulieren musste.
Harpers Buch ist eine intellektuelle Leistung ersten Ranges. Das Buch bietet eine souveräne Zusammenführung von Geschichte und Naturwissenschaften. Der gewählte Ansatz ist nicht völlig neu, doch in der Konsequenz, mit der er hier verfolgt wird, und unter Hinzuziehung neuester Forschungsergebnisse und -methoden ergiebiger und präziser als bisherige Forschungen, die sich darum bemüht haben, einen Zusammenhang zwischen Umwelt und geschichtlichen Abläufen herzustellen. Glücklicherweise ist der Autor nicht so radikal, dass er die von ihm in den Vordergrund gestellten Untergangs-Faktoren Klima und Seuchen verabsolutiert: Die "altvertrauten Theorien haben viel für sich und bleiben Bestandteil der im vorliegenden Buch dargestellten Geschichte" (32), teilt er besorgten Mitforschern mit, die eher dazu tendieren, politische, wirtschaftliche, kulturelle und mentale Faktoren für den Fall des Römischen Reiches verantwortlich zu machen. Jedoch: "An entscheidenden Wendepunkten belastete die Unbeständigkeit des Klimas die Kraftreserven des Imperiums und beeinflusste dramatisch den Verlauf der Ereignisse." (36). Und: "Bakterien sind noch weitaus tödlicher als Barbaren." (41).
Nicht überall kann man den Argumenten des Autors folgen. So sind, um nur zwei Beispiele anzuführen, die genannten Mortalitätszahlen bei den Seuchen eher spekulativ. Und man sollte bei Aussagen antiker Autoren, wenn man sie als Kronzeugen für Katastrophen und Epidemien heranzieht, Vorsicht walten lassen. Gerne nutzen sie die Gelegenheit, politische oder wirtschaftliche Krisen mit Turbulenzen der Natur zu kombinieren, ohne dass es diese in der Realität gab. Sie haben die primäre Funktion, die von göttlichen Mächten verursachte Unordnung der Welt möglichst drastisch zu dokumentieren. Gerade in Bezug auf Justinian ist die Verlässlichkeit entsprechender Aussagen, wenn man beispielsweise an Prokops Anekdota denkt, sehr kritisch zu betrachten.
Das Buch ist flüssig, spannend und kompetent geschrieben. Insofern hätte es geradezu inflationären Einsatzes reißerischer Begriffe gar nicht bedurft. Allzu viel ist "verblüffend", "überraschend", "erstaunlich", so dass man sich fragt, was der Autor eigentlich erwartet hat oder auf wessen Kenntnisstand er dabei rekurriert. Und damit nicht genug: Auch Vokabeln wie "atemberaubend", "dramatisch", "furchtbar", "angsteinflößend", "kolossal", "fatal", "beispiellos", "schockierend" oder "rätselhaft" konterkarieren die ansonsten vorbildliche wissenschaftlich Methodik.
Jedoch können solche eher marginale Kritikpunkte den Wert des Buches nicht schmälern. Kyle Harper hat ein wichtiges Buch geschrieben, an dem niemand vorbeikommen wird, der sich mit dem Untergang des Römischen Reiches beschäftigt. Ohne die Aspekte Klima und Seuchen wird zukünftig keine Diskussion mehr geführt werden können.
Anmerkung:
[1] Den besten Überblick über die Theorien zum Untergang des Römischen Reiches liefert Alexander Demandt: Der Fall Roms. Die Auflösung des Römischen Reiches im Urteil der Nachwelt, München 2014.
Holger Sonnabend