Rezension über:

Éric Gailledrat / Michael Dietler / Rosa Plana-Mallart (eds.): The Emporion in the Ancient Western Mediterranean. Trade and Colonial Encounters from the Archaic to the Hellenistic Period (= Collection "Mondes anciens"), Montpellier: Presses universitaires de la Méditerranée 2018, 265 S., zahlr. Farbabb., ISBN 978-2-36781-275-5, EUR 24,00
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Rezension von:
Astrid Möller
Seminar für Alte Geschichte, Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg/Brsg.
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Astrid Möller: Rezension von: Éric Gailledrat / Michael Dietler / Rosa Plana-Mallart (eds.): The Emporion in the Ancient Western Mediterranean. Trade and Colonial Encounters from the Archaic to the Hellenistic Period, Montpellier: Presses universitaires de la Méditerranée 2018, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 11 [15.11.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/11/33374.html


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Éric Gailledrat / Michael Dietler / Rosa Plana-Mallart (eds.): The Emporion in the Ancient Western Mediterranean

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Der hier zu besprechende Sammelband bezieht sich explizit auf den ein Vierteljahrhundert zuvor erschienenen, von Alain Bresson und Pierre Rouillard herausgegebenen Sammelband "L'Emporion" (1993). Er knüpft an die Erweiterung des griechischen Begriffs zu einem modernen Konzept an und beabsichtigt, das Phänomen des Emporion mithilfe neuer Studien und empirischen Materials der letzten Jahrzehnte neu zu beleuchten. In den vergangenen 25 Jahren hat sich die Diskussion um Handel und Kontakte im Mittelmeerraum deutlich verschoben. Mit Werken wie Peregrine Hordens und Nicholas Purcells "The Corrupting Sea" (2000) und Irad Malkins "A Small Greek World" (2011) sind die Bedingungen und Auswirkungen von Konnektivität und Netzwerken im Mittelmeerraum in den Blick geraten und bestimmen seither die Untersuchungen der Kontakte, der Handelsbeziehungen und der multikulturellen Siedlungen. Die multikulturellen Handelsplätze sind insofern von besonderer Bedeutung, als sie Knoten der Netzwerke und Verbindungen darstellen. Sie müssen allerdings je nach kulturellem Kontext differenziert betrachtet werden. Auch der Begriff der Kontaktzonen, den Christoph Ulf in Zonen offenen oder dichten Kontakts und den middle ground dazwischen differenziert, [1] erweitert den Blick auf diese Phänomene. Der vorliegende Sammelband leistet durch weitgehende Vermeidung einer hellenozentrischen Sicht, die Akzentuierung gegenseitiger kultureller Befruchtungen sowie die Betonung der Rolle der Einheimischen einen wertvollen Beitrag zur gegenwärtigen Diskussion.

Der Sammelband ist in vier Teile gegliedert und vereint empirische archäologische Studien und vergleichende theoretische Arbeiten. Sowohl in den empirischen als auch den methodischen Beiträgen werden die Probleme einer genauen Bestimmung des Begriffs Emporion deutlich. Der griechische Begriff emporion bezeichnet einen Ort, an dem emporía - Handel betrieben wurde und hatte bereits in den griechischen Quellen zwei Bedeutungen: der dem Handel gewidmete Teil eines Hafens sowie Handelsstützpunkte in fernen Ländern. Nachdem der griechische Begriff vor 25 Jahren zu einem breiter definierten modernen Konzept ausgeweitet wurde, wird er zunehmend auch für Orte verwendet, die wenig bis gar nichts mit der griechischen Kultur zu tun hatten. Darüber hinaus wird er in neue Diskurse integriert, die dessen enge Verbindung mit interkulturellem Austausch, der Bildung neuer Identitäten, den Prozessen der Verflechtung sowie den konflikthaltigen Entwicklungen von Inklusion und Exklusion in den Fokus stellen. Einige der Autor*innen bemühen sich um eine Präzisierung des modernen Begriffs Emporion, wobei beispielsweise die Lage an Flussmündungen, die Existenz von Heiligtümern, die von interkulturellem Austausch und kultureller Vielfalt zeugenden Funde, die Aufsicht über kommerzielle Aktivitäten, die Existenz von vereinbarten oder einseitig gesetzten Regeln und Beschränkungen sowie die Integration in einen weiteren territorialen Hintergrund als kennzeichnende Merkmale hervorgehoben werden. Wird für diese Phänomene nicht der moderne Begriff Emporion verwendet, wird noch unschärfer von Handelsplätzen, ports of trade, entrepôts, gateway communities oder Handelsenklaven gesprochen. Zumindest der "port of trade" ist jedoch als idealtypisches Modell klar definiert und längst nicht überall anzuwenden. [2]

Im ersten Teil des Sammelbandes wird der Begriff Emporion durch drei der bereits 1993 vertretenen Autoren im Lichte neuer Funde und Forschungsdiskussionen besprochen (Pierre Rouillard, Michel Gras, Alain Bresson). Julien Zurbachs anregender Beitrag sprengt gewissermaßen den Rahmen. Er steht der Übernahme des griechischen Begriffs emporion und dessen Entwicklung zu einem modernen Konzept kritisch gegenüber und arbeitet dafür den Ursprung des Emporion als Marktinstitution heraus.

Im zweiten Teil werden Emporia im westlichen Mittelmeer behandelt, von der afrikanischen Atlantikküste (Alfredo Mederos Martín) über Huelva (Fernando González de Canales) und den phönizischen Emporia im Süden der iberischen Halbinsel (José Luis López Castro) zu den Handelsstützpunkten im Osten der iberischen Halbinsel (Jaime Vives-Ferrándiz Sánchez), das bekannte Emporion/Empúries und die benachbarten Küsten (Rosa Plana-Mallart) und den Emporia im südlichen Gallien (Éric Gailledrat).

Der dritte Teil ist der italischen Halbinsel gewidmet. Maria Cecilia D'Ercole behandelt die Emporia an der Adria, Giulio Ciampoltrini stellt den Fundort Fonteblanda/Portus Telamonis als Handelsposten für Wein und Metalle an der tyrrhenischen Küste vor, Giovanna Bagnasco Gianni / Lucio Fiorini widmen sich den Heiligtümern und Kulten in Gravisca, Arianna Esposito liefert einen originellen Beitrag über den Status von Pithekussai und dessen Verhältnis zu Cumae, Francesca Spatafora betrachtet das Aufeinandertreffen von Phöniziern, Griechen und Einheimischen in den sizilischen Emporia, Marco Rendeli stellt Sant'Imbenia vor und versucht eine Einordnung in den Handel auf Sardinien.

Im vierten Teil finden sich neue und spannende Ansätze zur Erfassung der Breite der Phänomene, die sich unter dem modernen Begriff Emporion und anderen verwandten Begriffen subsumieren lassen. Mario Denti versucht die Gründung von Siedlungen an der ionischen Küste Unteritaliens ohne Rückgriff auf ökonomische Motive durch identitätsstiftende Interaktion zu erklären. Peter van Dommelen betrachtet drei Orte im westlichen bis zentralen Mittelmeer als Kontaktzonen aus postkolonialer Perspektive. Michael Dietler entwirft ein Forschungsdesign für Orte des interkulturellen Austauschs, um die Folgen des Austauschs und Konsums für Verflechtungsprozesse zu untersuchen. Denise Demitriou analysiert Inschriften aus Emporion/Empúries, die Strabons Version einer griechischen Dominanz in Frage stellen. Gérard Chouin / Christopher R. DeCorse weiten den Blick auf die afrikanisch-europäischen Emporia im frühneuzeitlichen Westafrika.

Am Ende steht fest, dass das Sammeln diverser möglicher Kennzeichen den modernen Begriff Emporion nur noch mehr ausweitet, ohne dessen heuristischen Mehrwert zu erhöhen. Eher zeigt der Sammelband, wie die aktuellen Überlegungen zu Netzwerken, Konzepten der Verflechtung und interkulturellen Kontaktzonen neue Perspektiven zur Untersuchung der Rolle interkultureller Handelsorte im Mittelmeer bieten.

Besonders hervorzuheben ist, dass neue archäologische Funde auf Englisch zugänglich gemacht werden und der Band großzügig mit Kartenmaterial, Abbildungen und archäologischen Plänen ausgestattet ist.


Anmerkungen:

[1] Christoph Ulf: Rethinking Cultural Contacts, in: Kulturkontakte in antiken Welten. Vom Denkmodell zu Fallbeispiel, Proceedings des internationalen Kolloquiums aus Anlass des 60. Geburtstages von Christoph Ulf, Innsbruck, 26. bis 30. Januar 2009, hgg. von Robert Rollinger / Kordula Schnegg, Leuven 2014, 507-564; dort sein Resumée 469-504. Siehe jetzt Chr. Ulf: Models of Culture Contact and Cultural Change: Moving Beyond National and Linguistic Traditions, in: A Companion to Greeks Across the Ancient World, hg. von Franco De Angelis, Hoboken/NJ 2020, 119-135.

[2] Astrid Möller: Naukratis. Trade in Archaic Greece, Oxford 2000, 19-25; dies.: Port of Trade, in: The Encyclopedia of Ancient History. Published Online: 26 OCT 2012, http://www.encyclopediaancienthistory.com.

Astrid Möller