Rezension über:

Moritz Hinsch: Ökonomik und Hauswirtschaft im klassischen Griechenland (= Historia. Einzelschriften; Bd. 265), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2021, 658 S., 2 s/w-Abb., 4 Tbl., ISBN 978-3-515-12841-4, EUR 108,00
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Rezension von:
Astrid Möller
Seminar für Alte Geschichte, Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg/Brsg.
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Astrid Möller: Rezension von: Moritz Hinsch: Ökonomik und Hauswirtschaft im klassischen Griechenland, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2021, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 10 [15.10.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/10/35030.html


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Moritz Hinsch: Ökonomik und Hauswirtschaft im klassischen Griechenland

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Die vorliegende Monographie ist aus einer an der HU Berlin eingereichten Dissertation hervorgegangen. Sie behandelt das zentrale Thema der griechischen Wirtschaftsgeschichte: die Hauswirtschaft. Karl Büchers Stufenmodell wirtschaftlicher Entwicklung, in dem der Antike die geschlossene Hauswirtschaft zugewiesen wird, wurde von Anfang an kritisch gesehen, und auch Moritz Hinsch wandelt Büchers Modell signifikant ab: Er gibt die Dichotomie zwischen Hauswirtschaft und Marktwirtschaft auf. Hinsch bezeichnet als Hauswirtschaft ein System der geplanten Kooperation im Rahmen einer institutionalisierten Ordnung, als Marktwirtschaft aber ein System ungeplanter Distribution, bei dem nicht institutionell definierte Weisungsbefugnisse, sondern Angebot und Nachfrage über die Allokation von Kapital und Arbeit entscheiden (24f.). Hinsch bevorzugt den Begriff "Verkehrswirtschaft", um die vielfältigen Austauschbeziehungen jenseits des einzelnen Haushalts fassen zu können und dabei weder die Vorstellung von einer 'kapitalistischen' Wirtschaftsordnung noch von globalen Systemen mit flexiblen Preisen zu suggerieren. Für Hinsch ist der Haushalt die zentrale Organisationsform, die sich in ihrer institutionellen Ordnung flexibel an die expandierende monetarisierte Verkehrswirtschaft anpasste, so dass die Entwicklung neuer Institutionen oder Techniken überflüssig war. Die Hauswirtschaft gilt in der Forschung seit einiger Zeit als grundsätzlich vereinbar mit Überschüssen, Gewinnorientierung und Geldwirtschaft. Hauswirtschaft wird von Hinsch als eine Organisation zum Zweck der Nutzenmaximierung betrachtet, deren Rationalität sich deutlich von modernen Wirtschaftsunternehmen unterscheidet. Dieser Nutzen war jedoch an den Nutzen der Stadtgemeinde zurückgebunden, wobei Reichtum wiederum der Statuskonkurrenz nutzte. Das Buch ordnet sich so in die Reihe der Versuche ein, den ideologischen Gegensatz zwischen substantivistischem und formalistischem Ansatz zu überwinden. Hinsch geht von der Einbettung der Wirtschaft in die jeweiligen sozialen, politischen und kulturellen Kontexte aus, bedient sich aber hierbei der Terminologie der Neuen Institutionenökonomik.

Das Werk ist in fünf Teile mit insgesamt 19 Kapiteln gegliedert. Im einführenden Teil entwickelt Hinsch sein Modell des 'ganzen Hauses' und bestimmt die naturräumlichen, wirtschaftlichen, politischen und sozialen Faktoren, die auf die Hauswirtschaft in klassischen griechischen Poleis an der ägäischen Küste zwischen etwa 450 und 300 v.Chr. einwirkten. Der zweite Teil dient der Rekonstruktion der normativen Theorie der Hauswirtschaft anhand dreier Hauptquellen: Xenophons Oikonomikos, Aristoteles Politik I und der pseudo-aristotelischen Oikonomika II. Die nächsten beiden Teile befassen sich mit der Praxis der Hauswirtschaft, Teil III mit den Strukturen, Teil IV mit den Strategien. Diese Teile sollen sowohl den Hintergrund, vor dem die normative Ökonomik formuliert wurde, als auch wiederum deren Wirkung auf die Praxis beleuchten. Spannend ist in diesem Teil besonders die Spurensuche und Diskussion zur antiken Buchführung (Kapitel 13 zusammen mit Kapitel 8), die für Hinsch eine Rationalisierung der Hauswirtschaft neben Gelegenheitsoptimierung und Risikominimierung darstellt, ohne jedoch zur Entwicklung moderner Unternehmen zu führen. Das Wohnhaus (Kapitel 9) wird im Kontrast zur sonstigen Ausführlichkeit leider sehr knapp besprochen. Im letzten, fünften Teil geht Hinsch nochmals auf die Ungleichheit der Haushalte ein. Sowohl die Strukturen als auch die Strategien unterschieden sich nicht grundsätzlich bei größeren und kleineren Haushalten, aber nur größere bildeten ein 'ganzes Haus' und hatten mehr Chancen auf Erfolg. Abschließend ordnet Hinsch die griechische Hauswirtschaft in langfristige Entwicklungen ein.

Aus den zahlreichen anregenden Detaildiskussionen möchte ich nur die den im Zusammenhang der "geschlossenen Hauswirtschaft" wichtigen Begriff der Autarkie hervorheben. Hinsch zeigt, dass Autarkie in diesem Zusammenhang ein modernes Konzept ist. Die antiken Autoren setzten voraus, dass Haushalte immer eines hausübergreifenden Austausches bedurften und auch Poleis nur durch Handel autarkeia im Sinne einer Kontrolle über die Interaktion mit Dritten erreichen konnten. Der griechische Begriff autarkeia beinhaltet sowohl einen Appell an die Selbstgenügsamkeit und Abkehr von unnötigem Luxuskonsum als auch das Ideal der Selbstbestimmung in Austauschbeziehungen. Der Bedeutung für Hinschs Konzeption der Hauswirtschaft entspricht die ausführliche Analyse des Begriffs autarkeia (Kap. 6.4), die er sowohl quantitativ mit Hilfe des TLG als auch qualitativ durchgeführt hat. So stellt Hinsch fest, dass autarkeia nicht auf den Haushalt angewandt wurde, da dieser nach Platon und Aristoteles immer an den Austauschbeziehungen der Stadtgemeinde partizipieren musste. Jedoch reflektiert der Begriff einen wesentlichen Aspekt der hauswirtschaftlichen Praxis, da dem Wunsch nach Unabhängigkeit die Belastungen durch hausübergreifende Austauschbeziehungen gegenüberstanden. Die Stadt war der soziale Raum der hausübergreifenden Statuskonkurrenz, welche die Hauswirtschaft antrieb und zugleich von ihr angetrieben wurde. Dadurch wird autarkeia im Sinne von Unabhängigkeit ein nicht zu verwirklichendes Ideal.

Einem 658 Seiten umfassenden Buch kann man unmöglich in einer kurzen Rezension gerecht werden. Bisweilen hätte ich mir mehr Kürzungen des Autors gewünscht, aber Zwischenergebnisse helfen, den Faden wiederzufinden. Anerkennung muss der überzeugenden Struktur gezollt werden, in die Hinsch die vielfältigen Quellen und Argumente gebracht hat. Die Ergebnisse dieser Untersuchung enthalten zahlreiche Angebote zur Diskussion, insbesondere für eine Überwindung der traditionellen Auseinandersetzung zwischen substantivistischem und formalistischem Ansatz. Das ist eine der Stärken des Buches.

Astrid Möller