Volkmar Eidloth / Petra Martin / Katrin Schulze (Hgg.): Zwischen Heilung und Zerstreuung. Kurgärten und Kurparks in Europa (= ICOMOS - Hefte des Deutschen Nationalkomitees; LXXV), Ostfildern: Thorbecke 2020, 248 S., zahlr. Farbabb., ISBN 978-3-7995-1395-1, EUR 30,00
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Bietet bereits die Antike beeindruckende architektonische Vorläufer und Vorbilder für Thermen und Thermalanlagen, so entwickelten die europäischen Kurbäder seit dem 18. Jahrhundert spezifische Typologien der räumlichen Disposition, um den besonderen und sich im Laufe der Zeit wandelnden Ansprüchen an die Heil- und Behandlungsfunktionen gerecht zu werden. Dies zeigt sich in der städtebaulichen und landschaftlichen Einbindung, der Architektur und der Gartenkunst. Die auf die Akzeptanz durch einen internationalen Personenkreis zielenden europäischen Kurbäder und ihre komplexen sozialen Nutzungen sind geradezu prädestiniert für transnationale und fachübergreifende Forschungsvorhaben.
Die Publikation fasst die Beiträge einer internationalen Fachtagung zusammen, die am 19.-21. März 2015 vom Deutschen Nationalkomitee von ICOMOS, dem Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart und dem Arbeitskreis Historische Gärten der Deutschen Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur in Baden-Baden, einem der bedeutendsten europäischen Kurbäder, veranstaltet wurde. Sie ist Teil und Etappe einer seit längerem verfolgten Initiative, um das historische Kulturerbe der europäischen Kurbäder und -städte zu würdigen und zu schützen [1]. Diese bündelt ihre Anstrengungen in einer mittlerweile unter dem Namen "Great Spas of Europe" (https://greatspasofeurope.org) gegründeten Vereinigung elf europäischer Kurbäder, die 2019 den Antrag auf eine multinationale serielle Nominierung als UNESCO-Weltkulturerbe gestellt hat. Das Kurbad als historisches Phänomen und als reale Oase der Wellness ist aktuell und wird derzeit unter verschiedenen Gesichtspunkten untersucht. Europäische Initiativen nähern sich dem Kurbad etwa aus literaturwissenschaftlicher und sozialhistorischer oder aus touristischer Perspektive.
Der vorliegende Sammelband, der erstmals gezielt die Gärten, Parks und Grünanlagen der Kurbäder vom 18. bis ins frühe 20. Jahrhundert in den Fokus nimmt, trägt mit achtzehn Fachbeiträgen von Experten aus der Denkmalpflege und Gartendenkmalpflege zur Erschließung des Phänomens bei. Es werden hauptsächlich garten- und architekturhistorische, am Rande auch musik- und sportwissenschaftliche Aspekte behandelt.
Nach Erika Schmidts übergreifendem Beitrag zu den Kurparks des 19. Jahrhunderts in Deutschland von 2012 [2] gibt hier nun Herausgeberin Katrin Schulze eine gartenhistorische Einführung und verfolgt das Thema durch die Gartentheorie und -geschichte. Sind zunächst das Brunnenhaus und die Allee die Kernbestandteile einer Kuranlage, so gewinnt die Gattung des erweiterten Kurparks im Laufe des 19. Jahrhunderts faktisch immer mehr an Bedeutung, und herausragende Gartenkünstler werden mit dem Entwurf und der Anlage beauftragt. Mit wenigen Ausnahmen spielt der Kurpark als Gestaltungsaufgabe in gartentheoretischen Schriften des 19. Jahrhunderts jedoch erstaunlicherweise kaum eine Rolle. Da die Anlage von Kurparks Zugeständnisse an einen allgemeinen, ungeschulten Publikumsgeschmack, etwa besondere Schmuckpflanzungen, erfordere, warnt Hermann Jäger 1877 sogar vor "Übertreibungen und Geschmacklosigkeit" (20). Schulze listet als Gestaltungselemente der Kuranlagen auf: außer Brunnenhaus und Promenade ein weitläufiges Wegesystem, dekorative Gehölze und Schmuckpflanzungen, bestimmte Zweckbauten wie Trinkhallen und Ruhepavillons und schließlich Spiel- und Sporteinrichtungen.
Mit Plänen, Ansichten und Fotos aufschlussreich illustrierte Beiträge zu ausgewählten Kurbädern schließen sich an: zum hessischen Wilhelmsbad; zu den von Lenné und anderen Gartenkünstlern entworfenen prachtvollen Anlagen in Bad Neuenahr, Bad Oeynhausen und Bad Homburg, die deutlich machen, dass der Kurpark funktionale Überschneidungen mit dem Volkspark aufweist; zu Bad Nauheim, Wiesbaden, Bad Ems und anderen Kurparks der Gebrüder Siesmayer; zu den schlichten Kuranlagen im Elsass und in der vulkanischen Auvergne; zu Sole-Heilbädern wie in Bad Reichenhall und den dazugehörigen Kinderspielplätzen.
Formalen und funktionalen Besonderheiten wie der Allee (Bad Pyrmont), Pavillons und Galerien (Spa), Musikpavillons und Kurmuscheln gehen die Beiträge der folgenden Abschnitte anhand europäischer Beispiele nach. Deutsche Kurgärten wurden offenbar zu "'Pflanzstätten' des Tennis- und des Golfspiels" (123). Zum Vorbild einer urbanistischen und landschaftlichen Einbindung der Badeanlagen wird im 18. Jahrhundert das englische Bath. Auch im französischen Vichy und den tschechischen Kurbädern Karlovy Vary (Karlsbad), Františkovy Lázně (Franzensbad) und Mariánské Lázně (Marienbad) greifen Wege und Fahrbahnen von den Kurparks weit in die Landschaft aus. Den Anreiz zur körperlichen Ertüchtigung der kurenden Damen und Herren bieten schöne Aussichten und andere attraktive Ziele am Wegesrand. Herausgeber Volker Eidloth führt dies in seinem Beitrag zu Motiven von Kurparks in Kulturlandschaften vor Augen: Wege und Bahnen, Aussichtsorte und -türme für Panoramablicke, Naturdenkmale und -schauspiele, spielerisch zu nutzende Attraktionen sowie Gaststätten. Dass die Kurparks im Laufe des 19. Jahrhunderts nicht mehr nur aus gesundheitlichen Gründen aufgesucht wurden, sondern zu touristischen Ausflugszielen wurden, zeigt auch ein Beitrag über die schlesische Bäderlandschaft.
Neben einem allgemeineren Text zur Geschichte der Kurparks und Promenaden in Meran am Schluss des Bandes gehen zwei gartendenkmalpflegerische Beiträge detailliert auf Herausforderungen, Gestaltungsmöglichkeiten und Chancen im Umgang mit zwei prominenten deutschen Kurparks ein. Dank einem gründlichen Parkpflegewerk für den Kurpark Bad Homburg vor der Höhe, "der [...] Verzahnung mit anderen Fachbelangen und der Begleitung der Arbeit durch die Entscheidungsträger und Nutzer der Stadt Bad Homburg konnte eine hohe Akzeptanz erreicht werden" (217). Herausgeberin Petra Martin widmet sich der Geschichte von Regulierung, Verschönerung und Verbesserung des Flüsschens Oos in den Baden-Badener Kuranlagen im Handlungsrahmen von Wasserrahmenrichtlinie und Denkmalpflege.
Mit dem Wasser, Ursprung aller Kurbäder, schließt so auch der Sammelband, dessen Beiträge vielfältige Einblicke in neue Forschungen und neues Material bieten und der, auch dank ausführlicher Literaturangaben, zu weiterer Forschung anregen wird.
Anmerkungen:
[1] Volker Eidloth (Hg.): Europäische Kurstädte und Modebäder des 19. Jahrhunderts (= ICOMOS. Hefte des deutschen Nationalkomitees; Bd. 52; Arbeitshefte des Landesdenkmalamtes Baden-Württemberg; Bd. 24), Stuttgart 2012.
[2] Erika Schmidt: Kuranlagen des 19. Jahrhunderts in Deutschland. Landschaftsarchitektur, Nutzungsangebot, Beitrag zur Stadtstruktur, in: ibid., 173-185.
Iris Lauterbach