Claudia Kraft / Dietmar Popp (Hgg.): Oberschlesien aus der Luft - vor 100 Jahren. Górny Śląsk z powietrza - przed stu lat / Horní Slezsko ze vzduchu - před sto lety (= Materialien zur Kunst, Kultur und Geschichte Ostmitteleuropas; 5), Muzeum Śląskie w Katowicach 2019, 223 S., ISBN 978-3-87969-451-8, EUR 25,00
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Claudia Kraft / Dietmar Popp (Hgg.): Oberschlesien aus der Luft - heute. Górny Śląsk z powietrza - dzisiaj / Horní Slezsko ze vzduchu - dnes (= Materialien zur Kunst, Kultur und Geschichte Ostmitteleuropas; 6), Marburg: Herder-Institut 2019, 246 S., ISBN 978-3-87969-452-5, EUR 25,00
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
Das zweibändige Werk stellt die historische Region Oberschlesien aus einer sehr interessanten Perspektive dar: durch historische und aktuelle Schrägluftbilder. Dabei werden im ersten Band Luftbilder der 1920er und 1930er Jahre aus dem beim Deutschen Reich verbliebenen Teil Oberschlesiens unter thematischen Gesichtspunkten vorgestellt, im zweiten Band jedoch aktuelle Luftbilder aus allen Teilen Oberschlesiens. In seiner Gesamtheit stellt das Werk damit die Veränderungen in Oberschlesien innerhalb von 100 Jahren anschaulich dar. Beide Bände sind zudem konsequent dreisprachig (Polnisch, Deutsch, Tschechisch) verfasst. Während der erste Band in Schwarz-Weiß gehalten ist, sind alle Bilder im zweiten Band farbig.
Für den ersten Band konnten die Herausgeber Claudia Kraft und Dietmar Popp auf zahlreiche Schrägluftbilder der Firma "Hansa-Luftbild" zurückgreifen, die sich dauerhaft im Besitz des Herder-Instituts befinden. Kapitelweise werden hier die Grenze Oberschlesiens, die Industrie und Infrastruktur, Stadtkerne und moderner Städtebau, Siedlungstypen, Herrensitze, Sportstätten und Kirchen gezeigt. Der St.-Annaberg (Góra Świętej Anny) als geistlich-kulturelles Zentrum Oberschlesiens hat sogar ein eigenes Kapitel erhalten. Aufgrund der Quellenlage zeigt der Band leider weder Schrägluftbilder aus dem 1922 an Polen abgetretenen Teil Oberschlesiens noch aus dem tschechoslowakischen Teil dieser Kulturlandschaft. Das ist zwar bedauerlich, ließ sich aber aufgrund eines Mangels an entsprechenden Bildern nicht beheben. Trotzdem gelingt es dem Band, den Stand und die Veränderungen der oberschlesischen Kulturlandschaft vor 100 Jahren deutlich darzustellen. Alle Bilder werden dabei in ihrem Kontext umfangreich beschrieben und historisch eingeordnet. Die Texte von Dariusz Gierczak, Ksenia Stanicka-Brzezicka unter anderen vermitteln dabei sowohl einen übergeordneten Zusammenhang als auch konkrete Details zu den dargestellten Fotos.
Im zweiten Band nimmt der Leser bzw. Betrachter an einem Rundflug über Oberschlesien teil, der vom Fotografen Thomas Voßbeck und dem Piloten Krystian Felix in mehreren Etappen durchgeführt wurde. Die Reise beginnt - für den deutschen Leser zunächst ungewöhnlich - im Oberschlesischen Industriegebiet, geht dann weiter über das Teschener Schlesien und das zu Tschechien gehörige Troppauer Land in die zu Polen gehörige Region um Neisse (Nysa) und Ratibor (Racibórz). Erst jetzt gelangt der Leser ins Oppelner Land, nach Rybnik und Pless (Pszczyna) sowie abschließend in den Nordosten Oberschlesiens, in die Region um Kreuzburg (Kluczbork) und Tarnowitz (Tarnowskie Góry). Damit werden historische Perspektiven - sowohl die deutsche wie auch die polnische und tschechische - bewusst gebrochen und Oberschlesien in seiner Gesamtheit dargestellt. Die farbigen Schrägluftbilder in diesem Band bilden - im Gegensatz zum ersten Band - das ganze Oberschlesien, das heute in Polen und Tschechien liegt, ab. Es werden Innenstädte, einzelne Sehenswürdigkeiten, Industrieanlagen und vieles andere mehr gezeigt. Damit erhält dieser Band als umfassende Dokumentation der Kulturlandschaft Oberschlesiens in heutiger Zeit einen hohen Wert. Kommentiert und historisch-geografisch eingeordnet werden die Bilder von Dawid Smolorz aus Gleiwitz (Gliwice), der bereits mit zahlreichen Publikationen zu Oberschlesien hervorgetreten ist.
Abgeschlossen werden beide Bände mit einem umfangreichen dreisprachigen geografischen Namensverzeichnis sowie einer Bibliografie. Dass die Namensgebungen in Oberschlesien insbesondere im 20. Jahrhundert sehr kompliziert waren, wird in dem Namensverzeichnis gleich durch zwei Dinge deutlich: Zum einen ist das Verzeichnis durch die Auflistung aller möglichen Namensvarianten (deutsch vor 1936, deutsch 1936-1945, polnisch ab 1922 und ab 1945, tschechisch in den 1940er Jahren und danach) sehr umfangreich, zum anderen sind dem Verfasser aber auch einige wenige kleine Fehler unterlaufen. So erscheint der Ort Pietna (deutsch bis 1936) in deutscher Sprache nur als Teichgrund (deutsch 1936-1945) und dann polnisch als Pietna (Band 1, Seite 69, 215). Und in Band 2 ist das auf Seite 12 genannte "Neuenstadt" nicht Neustadt/OS, wie im Register genannt, sondern Zator, das im Mittelalter so genannt wurde, im Register unter diesem Namen aber gar nicht erscheint. Interessant ist auch die Frage, ob man in einem geografischen Register von "österreichischen" Namen sprechen kann. Die "Ossa" ist jedenfalls nicht der "österreichische" Name der Hotzenplotz (Band 1, Seite 215), sondern nur einer ihrer Quellflüsse im ehemals Österreichischen Schlesien. [1]
Abgesehen von diesen kleinen Fehlern und einigen wenigen Ungenauigkeiten in der deutschen Übersetzung sind beide Bände aber als sehr gelungen zu bezeichnen. Während der erste Band leider den 1922-1945 bereits polnischen sowie den tschechischen Teil Oberschlesiens quellenbedingt auslässt, bietet der zweite Band ein umfassendes Bild von der oberschlesischen Kulturlandschaft im 21. Jahrhundert Insbesondere durch die Schrägluftbilder der Städte Oberschlesiens kann dieser Band als Standardquelle für die Untersuchung der sich über acht Jahrhunderte hin verändernden Siedlungsweise in Oberschlesien verwendet werden. So zeigen sich auf den Bildern noch heute die räumlichen Strukturen aus der Zeit der mittelalterlichen Gründung der Städte und Dörfer. Ebenso lässt sich das Wachstum einiger Städte vom Zeitalter der Industrialisierung im 19. Jahrhundert bis zur Moderne des 21. Jahrhunderts nachvollziehen.
Anmerkung:
[1] Der Flussverlauf und die Namensgebung werden korrekt beschrieben bei: Der Oderstrom, sein Stromgebiet und seine wichtigsten Nebenflüsse, hrsg. vom Bureau des Ausschusses zur Untersuchung der Wasserverhältnisse in den der Ueberschwemmungsgefahr besonders ausgesetzten Flußgebieten, Berlin 1896, 402.
Ralph M. Wrobel