Anne Foerster: Die Witwe des Königs. Zu Vorstellung, Anspruch und Performanz im englischen und deutschen Hochmittelalter (= Mittelalter-Forschungen; Bd. 57), Ostfildern: Thorbecke 2018, 356 S., 9 Farbabb., ISBN 978-3-7995-4376-7, EUR 49,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Klaus Oschema / Cristina Andenna / Gerd Melville u.a. (Hgg.): Die Performanz der Mächtigen. Rangordnung und Idoneität in höfischen Gesellschaften des späten Mittelalters, Ostfildern: Thorbecke 2015
Werner Paravicini: Adlig leben im 14. Jahrhundert. Weshalb sie fuhren: Die Preußenreisen des europäischen Adels. Teil 3, Göttingen: V&R unipress 2020
Norbert Kersken / Grischa Vercamer (Hgg.): Macht und Spiegel der Macht. Herrschaft in Europa im 12. und 13. Jahrhundert vor dem Hintergrund der Chronistik, Wiesbaden: Harrassowitz 2013
Spätestens seit der vor über zwanzig Jahren veröffentlichten Habilitationsschrift von Amalie Fößel über die Königin im mittelalterlichen Reich wird dieses Forschungsfeld (endlich) intensiver in der deutschsprachigen Forschung 'beackert'. [1] Deutlich weniger Studien, schon gar nicht in monographischer Form, thematisieren die Witwenschaft der Königin. In diese Forschungslücke stößt die Untersuchung von Anne Foerster, mit der sie im Jahre 2016 unter Betreuung von Ingrid Baumgärtner an der Universität Kassel promoviert wurde.
Die Leitfragen werden direkt zu Beginn der Einleitung (11-42) ihrer Dissertation gestellt, nämlich inwieweit die Abhängigkeit vom König für die hervorgehobene Position der Königin verantwortlich war und, noch wichtiger, welche "Auswirkungen [...] der Tod des Königs auf den Status, die Rolle und die Ressourcen seiner hinterbliebenen Gemahlin" (11) hatte. Einen Vergleich zwischen dem englischen und dem römisch-deutschen Reich bieten die unterschiedlichen gesellschaftlichen Veränderungen im Hochmittelalter, in England die normannische Eroberung von 1066, im Reich die instabile Königsherrschaft ab dem 13. Jahrhundert. Die Studie nimmt die Zeit des 10. bis zum 13. Jahrhundert in den Blick. Anders als im römisch-deutschen Reich gab es in England keinen Fall, "in dem die Ehefrau des verstorbenen Herrschers bis zur Erhebung eines neuen die Reichsgeschäfte geführt oder gar die Regentschaft für einen minderjährigen Sohn übernommen hätte." (14).
Nach einer knappen Darlegung des Forschungsstands und ein paar kurzen methodischen Vorüberlegungen stellt Foerster ihre Quellengrundlage vor, die logischerweise hauptsächlich aus den Urkunden und den Siegeln besteht. Zusätzlich werden einige, mit Augenmaß ausgewählte historiographische Quellen einbezogen. Dabei wurde darauf geachtet, "sowohl königstreue Schreiber als auch kirchenreformorientiertes Gedankengut" (28) zu berücksichtigen.
Nach der Einleitung definiert Foerster umfassend, was eine Königin in ihrem reginalen Handeln ausmacht (43-75). Von besonderem Interesse ist hierbei der zweite Unterpunkt zur "Weihe, Krönung und Eheschließung". Zuzustimmen ist ihr, dass die Chronisten den Titel Königin bewusst mit den Begriffen Macht und Würde in Verbindung setzten (70).
In ihrem ersten inhaltlichen Abschnitt, Kapitel III (77-145), diskutiert die Autorin die Darstellung des Status von Herrscherwitwen sowohl in chronikalischen als auch bildlichen Quellen. Wichtig festzuhalten ist, dass es seitens der Geschichtsschreiber eine breite Rollenvielfalt gab, die aber immer von den äußeren Faktoren abhing. Ebenso stimmig ist die oftmals festzustellende Nichtvereinbarkeit von Rollen der Königinwitwe, also "Witwe, Mutter und Ehefrau eines zweiten Gatten" (143). Gerade eine erneute Heirat barg häufig Konfliktpotential, andererseits konnte der Bereich der Sexualität wieder der Witwe zugesprochen werden, der im Falle einer dauerhaften Witwenschaft ausgeschlossen blieb, da ihr Leben dem einer Nonne dann sehr stark ähnelte. Dennoch ist grundsätzlich kein Statusverlust der Königswitwe erkennbar.
In Kapitel IV (147-211) behandelt Foerster die Urkunden, Siegel und Briefe und wie sich der Status der Witwen darin widerspiegelt. Dies wird in chronologischer Abfolge (zunächst die englischen Witwen, dann die römisch-deutschen Königinnen) anhand der jeweiligen diplomatischen Quellen untersucht, eine bisher fast vollständig vernachlässigte Arbeit. Eine Besonderheit im römisch-deutschen Reich wird hierbei deutlich, denn seit dem staufisch-welfischen Thronstreit, genauer seit Maria von Brabant, der Witwe Ottos IV., gab es eine Phase, "in der keine königliche Gattin nach dem Tod ihres Gemahls ihre Selbstreferenz als römische Königin oder Kaiserin unverändert weiterführte." (207, ebenfalls 191). Dagegen war es für die englischen Königswitwen selbst bei einer Wiederheirat möglich, ihren Titel zu behalten, wobei dies bei den Herzoginnen- und Gräfinnenwürden in angevinischer Zeit nicht so eindeutig war (171). Eine Rolle für die Beibehaltung und Ablegung des Titels spielte der "Statuswechsel von der Witwe zur Ehefrau oder zur Nonne" (172).
Qualitativ fällt der nächste Abschnitt (213-280) gegenüber den vorherigen Kapiteln etwas ab, was aufgrund der eher theoretischen Vorgehensweise gegenüber den bisher sehr quellennahen Ergebnissen zu begründen ist. Foerster verwendet in Anlehnung an Pierre Bourdieu den Begriff "soziale Magie", um die Kontinuität der Beibehaltung des Status zu belegen. Ob die verminderte Nutzungsmöglichkeiten des Wittums die Witwen der Stauferzeit und der "Gegenkönige" dazu brachten, neue Ehen einzugehen, im Gegensatz zu denen der Ottonen und der Salier, ist wohl nicht zwingend. Aufgrund der schlechten Quellenlage wird sich diese Frage aber auch nicht endgültig beantworten lassen. Zweifellos richtig ist dagegen, dass die Königswitwe 'performen' musste, um ihren Status beizubehalten. Dies gelang unter anderem durch soziales Kapital oder, noch besser, durch einen erwachsenen, unverheirateten Sohn auf dem Thron, wodurch die Rolle als beratende Königsmutter gefestigt werden konnte.
Abschließend fasst Foerster ihre zahlreichen Beobachtungen präzise zusammen (281-290). Insgesamt sind die prägnante Ausdrucksweise und der klare, fast immer sehr gut nachvollziehbare Gedankengang ein großes Plus dieser Studie. Ebenfalls hervorzuheben sind die gelungenen, farbigen Abbildungen, die trotzdem den Preis des Buches nicht ins Unerschwingliche heben.
Ein Abkürzungs-, ein Quellen- und Literaturverzeichnis, das an einigen Stellen leider fehlerhaft ist, sowie ein Personen- und Ortsregister beschließen den Band, der für die Forschung von Bedeutung sein wird. Gerade das diplomatische Kapitel IV wird zu weiteren aufbauenden Untersuchungen anregen. Aber die Grundlage ist schon hier gelegt, was will man mehr?
Anmerkung:
[1] Amalie Fößel: Die Königin im mittelalterlichen Reich: Herrschaftsausübung, Herrschaftsrechte, Handlungsspielräume (= Mittelalter-Forschungen; Bd. 4), Stuttgart 2000.
Timo Bollen