Lothar Machtan: Der Kronprinz und die Nazis. Hohenzollerns blinder Fleck, Berlin: Duncker & Humblot 2021, 300 S., 34 Ill., ISBN 978-3-428-18394-4 , EUR 29,90
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Stephan Malinowski: Die Hohenzollern und die Nazis. Geschichte einer Kollaboration, Berlin / München: Propyläen 2021, 752 S., ISBN 978-3-549-10029-5, EUR 35,00
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Paul-Moritz Rabe: Die Stadt und das Geld. Haushalt und Herrschaft im nationalsozialistischen München, Göttingen: Wallstein 2017
Philip Nord: France's New Deal. From the Thirties to the Postwar Era, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2010
Stephan Malinowski: Vom König zum Führer. Sozialer Niedergang und politische Radikalisierung im deutschen Adel zwischen Kaiserreich und NS-Staat, 3., durchges. Aufl., Berlin: Akademie Verlag 2003
Lothar Machtan: Die Abdankung. Wie Deutschlands gekrönte Häupter aus der Geschichte fielen, Berlin / München: Propyläen 2008
Zwei Mal der Kronprinz in Uniform mit Hakenkreuzbinde. Beide Autoren, deren Bücher hier besprochen werden, haben sich für dieses Motiv auf dem Cover entschieden. Doch zeigen sich schon auf dem Umschlag die unterschiedlichen Setzungen: Lothar Machtans Studie ziert ein bunt gekleideter, lächelnder und rauchender Mann, umgeben von offensichtlich ebenfalls gut gelaunten Frauen, die übrigen Uniformierten im Hintergrund gesichtslos, unwichtig. Ein Dandy und Lebemann, leicht unseriös. Anders bei Stephan Malinowski. Dort salutiert der uniformierte Wilhelm Prinz von Preußen in Schwarz-Weiß, umgeben von Funktionsträgern, in der Prominentenloge einer SA-Veranstaltung, die ganze Szene kein beiläufiger Schnappschuss, sondern Teil einer politischen Inszenierung.
Lothar Machtans Buch nimmt seine Hauptfigur nicht besonders ernst, dies zeigt nicht nur das Cover. Jovial wird "unser Proband" (10) vorgestellt, es entsteht insgesamt das Bild eines irrlichternden Mitläufers, einer überforderten Nebenfigur in einem launigen Politiktheater, dessen Hauptrolle "Don Adolfo" (gemeint ist Adolf Hitler, u. a. 62) spielt. Irritierender noch als dieser leutselige Ton ist die Reproduktion des Schicksalssounds der Zeitgenossen: Da ist die Rede von "verhängnisvollen Illusion[en]", von "eskalierenden Zeitläufte[n]" (9), von einer "irrationale[n] Logik der politischen Ereignisse" (77), sogar der überwunden geglaubte Begriff "Verstrickung" (u. a. 216) erlebt eine Renaissance. Methodisch hat dieser Rückfall in eine sich einfühlsam gebende Geschichte "großer Männer" zur Folge, dass die analytische Perspektive auf die Nahsicht der Mitlebenden zusammenschnurrt. Der Autor Machtan sitzt bei den "Kronprinzens" (u. a. 159) am Tisch und schreibt gewissenhaft alles auf, was er sieht.
Schon zu Beginn des Buches wird konstatiert, dass urteilsmächtige Erkenntnis nicht angestrebt, aber auch nicht für möglich gehalten wird: Was "wirklich" war, so Lothar Machtan, könne er nicht wissen, er biete nur eine "Erzählperspektive" (10); andere Perspektiven und andere Resultate seien jederzeit möglich. Dieser Disclaimer geht über die übliche Offenlegung des eigenen Sehepunktes hinaus, meint mehr als die selbstverständliche Vergewisserung über die Begrenztheit der eigenen Sichtweise und die Offenheit von Forschung als Prozess. An die Stelle der Analyse tritt hier die Collage. Der Autor versteht sich als Chronist und kritischer Kommentator damaliger Ereignisse, eine gültige Einordnung des Geschehens in breitere politische, soziale oder ökonomische Prozesse der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird nicht angestrebt und de facto für problematisch erklärt. Paradoxerweise bedeutet das zugleich, dass Lothar Machtan der Auffassung ist, als erster eine "unvoreingenommene Betrachtung" (10), ja ein "klares historisches Faktenbild" des Geschehens zu bieten, anhand bis dato "arkanen" Archivmaterials (244). Den Forschungsstand nimmt er damit kaum zur Kenntnis, zumal konstatiert wird, es existiere zum Thema "nur ein Sammelsurium an vermeintlich für sich selbst sprechenden Überresten: Wissenssplitter minus Erzählung" (244). Diese Aussage trifft in ihrer Absolutheit aber für die politische Biographie des Kronprinzen nicht zu, die schon seit den 1950er Jahren Gegenstand verschiedener, wenn auch nicht erschöpfender Studien war. [1] Noch weniger gilt sie für die Geschichte seiner Zeit, die zu den am stärksten erforschten Abschnitten des 20. Jahrhunderts zählt - nur eben nicht, da hat der Autor recht, allein vom Tisch dieses Hohenzollern aus betrachtet. Aber dass es hier keine "Erzählungen" gäbe, kann man sicherlich nicht behaupten. Existierte die Hohenzollerndebatte nicht, müsste man sich fragen, warum die Besprechung eines solchen Buches in einem fachwissenschaftlichen Forum erfolgen sollte.
Doch steht Machtans Buch dafür, wie sich ein Vertreter des Faches in einer öffentlichen Diskussion positioniert beziehungsweise ostentativ nicht positioniert, einer Diskussion, die nach einer verlässlichen Einschätzung der Vergangenheit verlangt und dafür zu Recht auf das Wissen von Expertinnen und Experten blickt. Die Negation einer abschließenden Urteilskraft der Geschichtswissenschaft, die Machtan hier mit Blick auf die Hohenzollerndebatte postuliert, macht sein Buch daher nicht nur politisch, sondern auch fachlich relevant. Finanziell und medial unterstützt durch Georg Friedrich Prinz von Preußen und das sogenannte Haus Hohenzollern, trägt die Untersuchung einiges Wissenswerte zusammen und leuchtet vermeintlich blinde Flecken weiter aus. Entgegen der eigenen Behauptung kommt aber auch Machtan zu jenen normativen, seines Erachtens "außerwissenschaftlichen" (244) Bewertungen, die er im Epilog den bisherigen Gutachtern im Verfahren vorwirft. Während er nämlich für den Fall des Kronprinzen die Frage nach der "erheblichen Vorschubleistung" zur question mal posée erklärt (244), werden beiläufig der langjährige Staatssekretär Otto Meissner und mit ihm andere Vertreter der Weimarer Regierungselite explizit einer "Vorschubleistung" (161) für die Machtspiele im Umfeld von Hindenburgs angeklagt, an denen sich auch Wilhelm von Preußen beteiligte.
So verharrt die Studie in jenem Korsett eines Auftragsgutachtens, von dem sie sich so plakativ zu befreien versucht. Ihre Fragestellung bleibt geleitet durch die Kategorien der Rechtssprache im Restitutionsverfahren nach dem Ausgleichsleistungsgesetz und die dort verhandelten Interessen, ohne eine Antwort auf der Höhe der vorliegenden geschichtswissenschaftlichen Forschungen überhaupt zu versuchen. Daraus entsteht ein durchaus klares, aber wissenschaftlich antiquiertes Bild, in dem die nationalsozialistische Diktatur aus Irrationalitäten, Kontingenzen und dem Handeln einer demokratiefeindlichen Clique machtvoller Strippenzieher um Hindenburg und Hitler hervorging, zu denen der Kronprinz zwischen 1931 und 1933 kurzzeitig Kontakt besaß, ohne wirklich dazuzugehören.
Die Forschungen der letzten Jahrzehnte, welche die Attraktivität autoritärer Versprechungen für große Teile der deutschen Gesellschaft, die Bindekraft antisemitischer Hetze oder die Vergemeinschaftung durch politische Gewalt herausgearbeitet haben, werden so ausgeblendet. Hier aber, in den breiteren Resonanzräumen von brachialer Tatbegeisterung, rassistischer Sprache und antirepublikanischer Militanz wäre doch noch etwas genauer nach der Bedeutung "unser[es] Mussolini-Fan[s]" (20) zu suchen. In diesen Zusammenhängen hatte dessen dauernde politische Selbstmobilisierung wohl ihre eigentliche Bedeutung, denn die Inszenierungen der Hohenzollern wirkten nicht allein in den Hinterzimmern der hohen Politik, auf die sich Machtans Betrachtungen weitgehend beschränken, sondern mindestens ebenso vor den Augen der nationalen und internationalen Öffentlichkeit. Dort war weniger bedeutsam, ob die ehemalige Herrscherfamilie noch "monarchistische Leidenschaft" (41) für ein eigenes Projekt entfesseln konnte, sondern ob und wie sie durch ihre sichtbare Vernetzung mit anderen Projekten dazu beitrug, den Verhaltenskodex der deutschen Gesellschaft vom Autoritarismus des Kaiserreichs in den Radikalismus des Nationalsozialismus - der bekanntlich nicht nur aus Hitler bestand - zu überführen und in dieser Entwicklung nach innen wie nach außen integrativ zu wirken.
Vor diesem Hintergrund lässt sich Stephan Malinowskis Untersuchung als Gegenstück lesen. Seine Analyse löst sich von der bei Machtan methodisch gezielt verengten Lesart der "Vorschubleistung" und erweitert die personalisierte Politikhistorie durch kultur- und sozialgeschichtliche Zugänge. Die Studie denkt nicht von einer einzelnen "Person" her, sondern vom adligen Milieu und dessen symbolischer Macht, die aus einem Kronprinzen per se eine bedeutsame "Figur" mache (13). Dass diese Machtressourcen in der bisherigen Forschung zwar nicht unbekannt gewesen, aber zu wenig beachtet worden seien, wird hier nicht aus einem grundsätzlichen Mangel an "Erzählungen" erklärt, sondern aus der Dominanz einer republikanischen Geschichtsschreibung nach 1945, die das Geschehen auf Jagden und Bällen, in Casinos und Clubs, auf Straßen und Postkarten, also an den Orten adliger Vergesellschaftung, schlicht nicht ernst genommen habe.
Seine Erzählung beginnt Stephan Malinowski bereits im Moment des Umbruchs von 1918, mit der Flucht des Kaisers in das niederländische Exil und der Verbannung des Kronprinzen auf die Insel Wieringen. Hier formierte sich die rechte Gegenrevolution, an der die Hohenzollern früh ihren Anteil hatten. Außerdem entstanden Handlungsmuster, die sich in der Folge durch die Geschichte der Familie im 20. Jahrhundert ziehen sollten: Die Rekrutierung juristischer und historischer Gutachter für die Durchsetzung eigener Anliegen, die soziale Vernetzung und die Produktion einer öffentlichen Bilderwelt durch gezielte PR-Kampagnen. Eine besondere Rolle spielte dabei, dies wird in der Studie deutlich, die boulevardeske Spiegelung der Aktivitäten der Hohenzollern nicht nur in der deutschen, sondern vor allem in der internationalen Presse. Das Neue Wiener Journal bezeichnete den Kronprinzen schon 1919 als "meistinterviewte[n] Europäer" und die "meistphotographierte aller gestürzten Größen" (64).
Doch, eben: eine gestürzte Größe, und eine nicht zuletzt in ihrer Lächerlichkeit sichtbare Gestalt, eine Figur wie aus der Gala. So stellt sich auch hier die Frage, welche historische Bedeutung den Aktivitäten des ehemaligen Kronprinzen und seiner Familie zukam, wie sich die Reichweite ihrer Handlungen für die Übergänge von der Demokratie in die Diktatur (und später von der Diktatur in die Demokratie) bemessen lassen. Malinowski nimmt die oft merkwürdigen Inszenierungen und absonderlichen Konstellationen, in denen sich seine Hauptfigur bewegte, sehr ernst. Auch Hitler, der mit Nilpferdpeitsche bewaffnete "Postkartenmaler aus Österreich" lasse sich als ridiküle Person beschreiben, doch habe dies seinen Aufstieg eben nicht behindert, sondern befördert, weil er wie andere entsprechende Gestalten von der "Experimentierfreudigkeit im antirepublikanischen Milieu und von jenen neuen Mischungen [zeugte], ohne die sich Komposition und Aufstieg der NS-Bewegung nicht erklären lassen" (81 f.). Dies gilt wohl nicht weniger für Wilhelm von Preußen, der Postkarten nicht malte, sondern sich tausendfach auf ihnen abbilden ließ.
Der publizistischen Imagebildung sind daher weite Strecken der Analyse gewidmet. Hier gibt es gewisse Redundanzen, doch die Breite des verwendeten Quellenmaterials und dessen Einbettung in sich historisch immer wieder verschiebende Zusammenhänge sind von schlagender Beweiskraft. Das vom Mediävisten Ernst Kantorowicz übernommene Bild der "zwei Körper" des Königs, das dessen menschliche Trivialität von der übermenschlichen Symbolik unterschied, passt auf das Fallbeispiel insofern, als Kantorowicz seine Gedanken zwar für die politische Theologie des Mittelalters, aber zugleich als Zeitgenosse des Kronprinzen entwickelte. Selbst Jean-Paul Sartre nahm diese Figur offensichtlich wahr, schrieb 1940 über die existenzielle Lage des Kronprinzen als "Sein-zum-Herrschen", was ihn von anderen Menschen grundlegend unterscheide (120). Diese Besonderheit macht den Kern der Frage nach der Macht dieser merkwürdigen Gestalt in der Zerstörung der Demokratie aus, die Malinowski als groß einschätzt, weil der ehemalige Kronprinz im Verbund mit seiner Familie und ihren Beratern kontinuierlich in der Lage war, Aufmerksamkeitsökonomien zu beherrschen. Und die von ihm erzeugte Aufmerksamkeit, so das Argument, richtete den Blick der Betrachtenden stets und stetig auf die Risse in der Weimarer Ordnung, auf die Hebel, diese Ordnung zu zerstören, nie auf deren Erhalt. Zunehmend wurde dabei auch die monarchische Fassade der Überparteilichkeit aufgegeben, bis hin zur Teilnahme an Stahlhelm-Aufmärschen, zur Positionierung gegen das SA-Verbot, zum Wahlaufruf für Hitler und zum "Tag von Potsdam" 1933.
Aufschlussreich an dieser Studie ist zudem zweierlei: Zum einen, dass die Geschichte der Zerstörung der Republik nicht ausschließlich - wie bei Lothar Machtan - aus der Perspektive der Zerstörer erzählt wird. Stattdessen greift der Autor auch die Sichtweise jener Akteurinnen und Akteure aus dem sozialdemokratischen und kommunistischen Lager auf, die früh vor der zerstörerischen Macht der Rechten inklusive der Hohenzollern warnten und dafür ab 1933, wie etwa die SPD-Abgeordnete Toni Pfülf, mit ihrer Freiheit und nicht selten mit ihrem Leben bezahlten. Die Nationalsozialisten wussten, dass hier ihre Gegner standen und nicht etwa in den Reihen der Hohenzollern, wie von der Familie beauftragte Gutachter wenig überzeugend zu argumentieren versucht haben. Erst durch die Einbeziehung solcher Beobachtungen wird auch deutlich, dass es nicht nur um symbolische oder politische, sondern auch um ökonomische Interessen ging, um Verteilungsallianzen. Hier wünschte man sich vertiefende Analysen, zumal diese Beobachtung nicht nur für die Zeit der Weimarer Republik zutrifft, sondern auch für die Zeit der nationalsozialistischen Diktatur, in der das Vermögen der Familie weiter anwuchs. Die Frage, wie die Hohenzollern und ihre hochadligen Standesgenossen von der "Osthilfe" ebenso wie von "Arisierungen" profitierten, ist eine, die der weiteren Erforschung harrt und in der vorliegenden Studie nur angedeutet wird. Die immaterielle Macht der Hohenzollern, die Stephan Malinowski so überzeugend herausarbeitet, würde so um die Bemessung ihrer materiellen Dimensionen erweitert. Hier liegt ein Punkt, der weit über die Frage hinausreicht, ob der Kronprinz nun eine "blasse Figur" (so André François-Poncet, 294) war oder nicht.
Zum anderen macht die Längsschnittanalyse anschaulich, dass die Hohenzollern nach 1945 offensichtlich in der Lage waren, sich in einem demokratischen System dauerhaft einzurichten. Mit bewährten Mitteln, also vor allem über PR und soziale Vernetzung, wusste man sich zwischen "Hofstaat und Boulevard" (518) neu zu etablieren. Nun allerdings, so konstatiert die Studie, war Wilhelm Prinz von Preußen tatsächlich einflusslos, nur mehr ein "Postkartenverkäufer", wie es die konservative französische Zeitung La Croix 1951 aus Anlass seines Todes feststellte (523). Trotzdem gelang es der Familie der Hohenzollern erneut, sich in eine politisch relevante Erzählgemeinschaft einzubringen, die nun aus der Identifikation mit dem konservativen Widerstand ihre Legitimität bezog und so, wenn man möchte, einer Stabilisierung der bundesdeutschen Republik durch die Integration ehemals rechter Mythen und Milieus "Vorschub leistete". Dafür aber brauchte es andere Figuren, insbesondere den demokratisch auftretenden Louis Ferdinand, Sohn des Kronprinzen und Großvater des heutigen "Chefs des Hauses".
Anmerkung:
[1] John C. G. Röhl: Wilhelm II. Into the Abyss of War and Exile 1900-1941, Cambridge / New York 2014 analysierte auch ausführlich das Handeln des Kronprinzen. Weniger differenziert Klaus W. Jonas: The Life of Crown Prince William, London 1961, und Paul Herre: Kronprinz Wilhelm. Seine Rolle in der deutschen Politik, München 1954. Selbst Friedrich Wilhelm Prinz von Preußen, Historiker und Enkel des Kronprinzen, urteilte schon in den 1980er Jahren in seiner Doktorarbeit ("Gott helfe unserem Vaterland". Das Haus Hohenzollern 1918-1945, 2., durchges. und erw. Neuaufl., München 2003, 214): "Der Kronprinz hat sicher dazu beigetragen, die NSDAP in Rechtskreisen hoffähig zu machen."
Stefanie Middendorf