Bettina Baumgärtel (Hg.): Verrückt nach Angelika Kauffmann, München: Hirmer 2020, 208 S., zahlr. Farbabb., ISBN 978-3-7774-3459-9, EUR 45,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Tanja Michalsky: Projektion und Imagination. Die niederländische Landschaft der Frühen Neuzeit im Diskurs von Geographie und Malerei, München: Wilhelm Fink 2011
Jürgen Müller: Der sokratische Künstler. Studien zu Rembrandts Nachtwache, Leiden / Boston: Brill 2015
Stephan Kemperdick / Erik Eising / Till-Holger Borchert (Hgg.): Hugo van der Goes. Zwischen Schmerz und Seligkeit. Ausstellungskatalog / Gemäldegalerie - Staatliche Museen zu Berlin, 31.03.2023-16.07.2023, Berlin, München: Hirmer 2023
Mirjam Neumeister (Hg.): Brueghel. Gemälde von Jan Brueghel d. Ä.. Katalogbuch zur Ausstellung in München, München: Hirmer 2013
Nancy J. Troy: The Afterlife of Piet Mondrian, Chicago: University of Chicago Press 2013
Zwischen Januar und September 2020 war im Düsseldorfer Kunstpalast eine bemerkenswerte Ausstellung zur Vorarlberger Künstlerin Angelika Kauffmann zu sehen. Die Schau versammelte etwa achtzig Werke aus allen Schaffensperioden dieser äußerst erfolgreichen klassizistischen Malerin, wobei auch zahlreiche Hauptwerke zu bewundern waren. Begleitet wurde die Veranstaltung von einem gut 200-seitigen Katalog aus der Feder der Kauffmann-Spezialistin Bettina Baumgärtel.
Der Aufsatzteil der Publikation enthält vier kurze Essays von Baumgärtel und anderen Autoren. Als Einstieg gibt die Kuratorin einen Überblick über Angelika Kauffmanns Biografie. Sie kommt zunächst darauf zu sprechen, dass Kauffmann schon früh als eine musikalische und künstlerische Doppelbegabung galt (10). Nach dem Tod ihrer Mutter konzertierte sie sich jedoch ausschließlich auf die Malerei. Während ihrer Ausbildungszeit hielt sich die Malerin hauptsächlich in Italien auf, wo sie unter anderem Johann Joachim Winckelmann kennenlernte. In den 1760er-Jahren zog die junge Künstlerin nach England und gehörte dort bald zu den gefragtesten Porträtmalern. Als ihr Manager fungierte dabei zunächst der Vater, später ihr Ehemann. Baumgärtel betont, dass Kauffmann sich in erster Linie als Historienmalerin sah (14). Die Porträtmalerei diente ihr vor allem zum Bestreiten des Lebensunterhalts. 1768 war die Künstlerin eine von zwei weiblichen Gründungsmitgliedern der Royal Academy of Arts. 1782 ließ sie sich schließlich in Rom nieder, wo sie 1807 verstarb. Allerdings erwähnt die Autorin zwei bedeutende Ereignisse beziehungsweise Umstände im Leben der Malerin nicht: Kauffmanns Karriere wurde nämlich wesentlich von Joshua Reynolds gefördert, der ihr möglicherweise auch einen Heiratsantrag machte. Außerdem fiel sie 1767 einem Heiratsschwindler zum Opfer, der mit ihrem Vermögen verschwand.
Helen Valentine widmet ihren Aufsatz Kauffmanns Deckengemälden für die Royal Academy of Arts. Die vier ovalen Leinwandbilder entstanden zwischen 1778 und 1780 und zeigen die Erfindung, die Zeichnung, die Komposition und die Farbe als weibliche Personifikationen. Sie waren Teil eines komplexen Bildprogramms, bei dem wahrscheinlich die Überlegungen von Joshua Reynolds, der der erste Direktor der Akademie war, eine wesentliche Rolle spielten. Reynolds' Kunsttheorie scheint stark von Jonathan Richardson d.Ä. beeinflusst worden zu sein. In seiner Schrift The Theory of Painting unterschied dieser die Bestandteile Erfindung, Ausdruck, Komposition, Zeichnung, Farbe, Technik, Anmut und Größe. [1] Dass bei Kauffmann vier dieser Kategorien entfallen, könnte man dadurch erklären, dass Ausdruck und Technik Reynolds zufolge durch Erfindung, Farbe und Zeichnung erreicht werden können. Anmut und Größe fasst er hingegen als "Grand Style" zusammen [2]. Bei Letzterem spielt auch das Streben nach der idealen Schönheit eine wichtige Rolle. Der Saal, den die Gemälde Kauffmanns schmückten, diente auch als Auditorium, in dem Joshua Reynolds seine Vorträge hielt.
Johannes Myssok beschäftigt sich mit der Frage, wie nahe sich Antonio Canova und die 16 Jahre ältere Malerin standen. Die bisherige Forschung ging davon aus, dass sie sich spätestens 1785 das erste Mal persönlich begegneten. Der Autor verweist jedoch auf einen unpublizierten Brief Canovas, aus dem hervorgeht, dass er die Künstlerin 1782 besuchte (26). Myssok meint, dass die Darstellung des Modells der Herkules und Lichas-Gruppe auf Kauffmanns Canova-Porträt ein Indiz für ein Naheverhältnis ist, da der Bildhauer seine neuesten Schöpfungen nur seinem engsten Freundeskreis zeigte (24). Abschließend verweist er darauf, dass Canova nicht nur das feierliche Begräbnis der Malerin organisierte, sondern auch einer der Träger ihres Sarges war (29).
Inken Maria Holubec erklärt die Maltechnik Angelika Kauffmanns anhand zweier exemplarischer Gemälde. Ihr abschließendes Resümee ist, dass die wichtigste Veränderung in Kauffmanns Malweise den Malgrund betrifft (35): ab 1766 ist dieser nämlich nicht mehr farbig, wie in der Barockmalerei, sondern weiß. Dies hängt eng mit der Hinwendung der Künstlerin zum Klassizismus zusammen.
Die ausgestellten Werke wurden teilweise nach thematischen, teilweise nach chronologischen Gesichtspunkten in neun Gruppen eingeteilt. Die erste Gruppe versammelte neun Selbstbildnisse der Künstlerin. Eines der faszinierendsten Werke ist hier das Selbstporträt als Sängerin, das Kauffmann im Alter von zwölf Jahren malte. Baumgärtel zufolge sollten diese Gemälde ein bestimmtes Image von der Künstlerin verbreiten (39). Dies mache sich auch bei ihrem Selbstbildnis am Scheideweg zwischen Musik und Malerei bemerkbar, in dem Kauffmann auf das mythologische Thema Herkules am Scheideweg zwischen Tugend und Laster anspielt. Die meist idealisierende Selbstdarstellung der Künstlerin lasse sich dadurch erklären, dass in der Schönheit der Person auch die Schönheit der Malerei und die Schönheit der Seele zum Ausdruck komme.
Eine kleinere Gruppe bildeten die Werke, die Kauffmann während ihrer Ausbildungszeit in Italien schuf. Im Zentrum stand hier das Porträt von Johann Joachim Winckelmann, das sozusagen die Initialzündung für Kauffmanns Karriere war, da es schnell Bekanntheit erlangte und von vielen Zeitgenossen mit Lob überschüttet wurde.
Die dritte Gruppe ist den in England entstandenen Historiengemälden gewidmet. Eine wichtige Rolle spielen hier neben Szenen aus der antiken Mythologie und Geschichte auch Themen, die mit der englischen Geschichte und den Werken William Shakespeares in Verbindung stehen. Allerdings sind viele Historienbilder Kauffmanns schwer zu deuten, weshalb die Interpretationen der Autorin mitunter nicht nachvollziehbar sind. So wird etwa für den Amor-Zyklus im vorarlberg museum nicht einmal eine Textquelle genannt. Zum Verständnis solcher Werke sind profunde Kenntnisse der antiken Mythologie erforderlich, die beim heutigen Betrachter nicht vorausgesetzt werden können.
In der nächsten Gruppe waren Kauffmanns Deckengemälde für die Royal Academy of Arts ausgestellt. In diesen Kontext wurden auch die Grisaille-Ölskizzen für die Deckenmalereien und das Reynolds-Bildnis von 1767 eingeordnet.
Anschließend werden die in England entstandenen Porträts präsentiert. Besonders beliebt waren unter diesen Kauffmanns Frauenbildnisse in türkischem Gewand. Baumgärtel zufolge standen sie für den Prototyp der emanzipierten Frau, da man glaubte, dass die muslimische Gesellschaft von Frauen Sinnlichkeit erwartete, während europäische Frauen durch das Keuschheitsgebot unterdrückt wurden. Außerdem betont die Autorin, dass Kauffmann in ihren Porträts nicht nur Modeströmungen aufgriff sondern selbst auch zur Trendsetterin wurde (111).
In der sechsten Gruppe waren Historiengemälde der 80er- und 90er-Jahre versammelt, bei denen die Hauptfiguren Frauen sind. Die Autorin meint, in diesen Darstellungen "neuer Heldinnen" spiegeln sich zeitgenössische Vorstellungen von weiblicher Tugendhaftigkeit (135). So spiele etwa bei Cornelia, der Mutter der Gracchen, die Idee einer typisch "weiblichen Natur" eine wichtige Rolle, die vor allem durch Mutterschaft definiert wird. Ähnliches gelte auch für Gemälde wie Alkestes Tod, da Alkeste bereit war, anstelle ihres Mannes zu sterben. Diese Deutung ist jedoch zu hinterfragen, da die kinderlose Künstlerin selbst solchen Idealen anscheinend nicht entsprach. Außerdem erscheint ein derartiges Frauenbild - zumal aus heutiger Perspektive - als allzu konservativ. Möglicherweise sollte man daher bei der Interpretation derartiger Werke die Rolle der Auftraggeber genauer analysieren.
In der siebten Gruppe versucht Baumgärtel, Kauffmanns Darstellungen von schönen Jünglingen mit einer Feminisierung des Männerbildes zu erklären (149). Die Künstlerin thematisiere bei Werken wie Der trauernde Telemach von 1788 oder Ganymed in der St. Petersburger Eremitage den empfindsamen, antiheroischen Helden. Dies hänge mit Winckelmanns Theorie des Idealschönen und dem Begriff des beau idéal zusammen, der während der Französischen Revolution aufkam.
Das Thema der vorletzten Gruppe ist ein spezieller Bildnistyp. In den 80er- und 90er-Jahren porträtierte Kauffmann häufig als Musen verkleidete Frauen. Ihre Modelle waren dabei meist berühmte Dichterinnen, Schauspielerinnen oder sogenannte Stegreifvirtuosinnen, die in ihrem Salon auftraten. In vielen Fällen waren die Porträtierten mit der Künstlerin auch befreundet. Streng genommen handelt es sich bei diesen Gemälden um einfigurige Ereignisbilder, da Kauffmann ihre Modelle während eines Auftritts zeigt.
In der letzten Gruppe waren einige Historienbilder und Männerbildnisse zu sehen, die ab 1785 entstanden. Während dieser Zeit gelang es der Malerin, zahlreiche hochstehende Persönlichkeiten als Auftraggeber zu gewinnen, darunter auch Katharina II. von Russland. Die späten Historiengemälde zeichnen sich ebenfalls durch eine komplexe Ikonografie aus. Gegen Ende ihres Lebens wandte sich die Künstlerin schließlich der religiösen Historie zu. Charakteristisch für ihre spätesten Werke sind die Reduktion der Figurenzahl und eine größere Nahsichtigkeit.
Grundsätzlich bietet "Verrückt nach Angelika Kauffmann" also eine sehr gute Einführung in das Leben und das Werk dieser auch für heutige Begriffe sehr unabhängigen und selbstbewussten Karrierefrau. Das Buch ist inhaltlich gut strukturiert enthält zahlreiche hervorragende Reproduktionen. Allerdings sind die Bilddeutungen der Autorin oft schwer zu beurteilen. In den meisten Fällen werden sie jedenfalls nicht durch schriftliche Quellen wie Selbstäußerungen oder kultur- beziehungsweise geistesgeschichtliche Zeugnisse begründet.
Anmerkungen:
[1] Jonathan Richardson: The Works of Jonathan Richardson, London 1792, 19.
[2] Robert R. Wark (ed.): Sir Joshua Reynolds. Discourses on Art, New Haven / London 1997, 57.
Anna Simon