Tilmann Pohlmann (Hg.): Die LDPD und das sozialistische "Mehrparteiensystem" in der DDR (= Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung. Berichte und Studien; Nr. 81), Göttingen: V&R unipress 2020, 242 S., ISBN 978-3-8471-1003-3, EUR 35,00
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"Blockflöten" - diese wenig schmeichelhafte Zuschreibung fällt fast reflexhaft, wenn es in der öffentlichen Diskussion um die Blockparteien der DDR geht. Das populäre Sprachspiel unterstellt, dass jene vier Parteien - die LDPD, die Ost-CDU, die NDPD und die DBD - der SED bedingungslos gefolgt seien.
Nachdem sich die Forschung in den frühen 1990er Jahren intensiver mit den Blockparteien auseinandergesetzt hatte, weckte deren Geschichte längere Zeit keine größere Aufmerksamkeit. Seit geraumer Zeit interessiert sich die historische Zunft nun wieder verstärkt für diese Parteien und deren Rolle im politischen System der DDR. Ein Beispiel dafür ist das Forschungsprojekt des Hannah-Arendt-Instituts in Dresden zur Geschichte der LDPD zwischen Mauerbau und Mauerfall. Die beteiligten Wissenschaftler um Tilman Pohlmann haben ihre Erkenntnisse in einem Tagungsband publiziert.
Die Konzentration auf die Jahrzehnte zwischen 1961 und 1989 ist klug gewählt. Die bisherige Forschung zur LDPD (und ihrem "bürgerlichen" Pendant, der CDU in der SBZ/DDR) befasste sich nämlich vorrangig mit den demokratischen Anfängen unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg und der von der sowjetischen Besatzungsmacht sowie der SED erzwungenen Transformation zu einer Blockpartei. Die Jahrzehnte als "Bündnispartner" der SED, die bis heute öffentlich umstritten sind, beachtete man dagegen kaum.
Das thematische Spektrum des Sammelbandes ist vielgestaltig. Es reicht von biografischen Studien - etwa zum Schriftsteller und NDPD-Mitglied Franz Fühmann - über einen Aufsatz zur Geschichtspolitik der LDPD in der Ära Honecker bis zu einem kontrafaktischen Beitrag über die Blockparteien in einer DDR des Jahres 1991. Grundgerüst des Buches bilden die Artikel zu Organisation und Personal der LDPD, die fast alle von der Dresdner Projektgruppe stammen.
Tilman Pohlmann befasst sich in seinem Beitrag mit der Frage nach den Handlungsspielräumen der Bezirksvorsitzenden einer weitgehend machtlosen Partei. Er konstatiert, dass sich die regionalen Repräsentanten generell der SED unterordneten, zugleich aber auch eigene Interessen verfolgten, etwa wenn sie sich für die Belange der Parteimitglieder einsetzten. In diesem Spannungsfeld bewegten sich die Bezirksvorsitzenden auch gegenüber der Staatssicherheit. Einige von ihnen wurden überwacht, andere wiederum kooperierten mit dem MfS und versuchten die Geheimpolizei für persönliche Anliegen zu nutzen.
Mit Auswahl und Ausbildung der liberaldemokratischen Funktionäre befasst sich Thomas Widera. Die LDPD verfügte wie die anderen Blockparteien auch über einen zu geringen Pool an fähigen wie einsatzbereiten Mitarbeitern. Widera beschreibt überzeugend den Mauerbau als Zäsur für die Kaderpolitik der LDPD, der Mitglieder und Funktionäre gleichermaßen disziplinierte. Zudem professionalisierte sich in der Folgezeit die Personalführung der LDPD. Gleichwohl blieb das Problem einer zu schmalen personellen Basis bis Ende der 1980er Jahre bestehen.
Die Folgen dieses Mangels leuchtet Michael Thoß in seiner mikrogeschichtlich angelegten Studie zum Wirken des Funktionärs Horst Lösler aus. Dieser verkörpert mit seiner Biografie nicht nur die "Aufbaugeneration", deren Angehörige die LDPD bis Ende der 1980er Jahre dominierten. Lösler war auch engagiert und systemloyal und daher in der Partei sehr gefragt, was seine zahlreichen Ämter vor Augen führen. Er wirkte als Leiter einer Ortsgruppe, stellvertretender Vorsitzender des Bezirksverbandes Frankfurt/Oder und als langjähriger Bürgermeister der Kleinstadt Wriezen im Oderbruch. Gerade in dieser Funktion pflegte Lösler systemtypische Verhaltensmuster und nutzte regelmäßig informelle Wege, um Vorhaben in "seiner" Stadt umzusetzen.
Erfreulicherweise beschäftigt sich der Band auch mit den Mitgliedern der LDPD. Was auf den ersten Blick wie ein dröges Thema klingt, stellte für die Blockparteien ein zentrales Handlungsfeld dar. Hier konkurrierten sie untereinander wie auch mit der SED, versuchten die Blockparteien doch mit einer großen Mitgliederschaft die eigene Existenz abzusichern. In ihrem Beitrag meldet Ines Soldwisch zu Recht Zweifel an den aufgestellten Sozialkategorien der LDPD an, die weniger sozialwissenschaftlichen als politisch-ideologischen Kriterien folgten. Dabei stützt sie sich allerdings nur auf parteioffizielle Statistiken. Um das Mitgliederwesen einer Blockpartei wie der LDPD umfassend zu dechiffrieren, müssen jedoch noch andere Quellen - etwa Berichte des MfS und Erinnerungen von Zeitzeugen - herangezogen werden. Zudem fällt auf, dass der Artikel nicht die Mitgliederzahlen der LDPD selbst hinterfragt, die oftmals nicht der Realität entsprachen.
Trotz der Bandbreite an unterschiedlichen Zugängen zur Geschichte der LDPD fehlen in dem Sammelband einige relevante Aspekte. Dazu zählen allen voran der Zusammenschluss mit der westdeutschen FDP am Ende der DDR und die Entwicklung der Partei in der "Transformationsgesellschaft" der frühen 1990er Jahre. Eine Lücke ist außerdem der Umgang der FDP in Ostdeutschland mit dem Image der "Blockflöten".
Diese Kritik verdeutlicht, dass das Thema noch genügend Forschungspotenzial besitzt. Dabei wird auch der vorliegende Sammelband zur LDPD eine wichtige Rolle spielen, handelt es sich bei diesem doch um einen anregenden, weil differenzierenden Beitrag zur Geschichte der Blockparteien in der DDR.
Bertram Triebel