Ute Planert: Napoleons Welt. Ein Zeitalter in Bildern, Darmstadt: wbg Theiss 2021, 224 S., 140 Farbabb., 13 Kt., ISBN 978-3-8062-4304-8, EUR 40,00
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Titel und Untertitel dieses Werks werfen Fragen auf: Ist "Welt" tatsächlich "global" zu verstehen? Versucht sich die Historikerin Ute Planert als Kunsthistorikerin?
Letzteres kann verneint werden. Die Autorin analysiert nur einen kleinen Teil der zahlreichen zeitgenössischen Bilder, die ihr Buch enthält. Beispiele sind Antoine-Jean Gros' Gemälde von Napoleon bei den Pestkranken in Jaffa (111) oder die unterschiedlichen Darstellungen der Alpenüberquerung 1800 durch Jacques-Louis David und Paul Delaroche (122-124). Die meisten Abbildungen sind rein illustrativ und dienen wohl der Vermarktung des Werks als "reich illustriertes Lesevergnügen", das sich offensichtlich an ein größeres Publikum richtet. Für Letzteres spricht auch der Verzicht auf einen Anmerkungsapparat. Es handelt sich um eine reine Geschichtserzählung bzw. Überblicksdarstellung - aber um eine durchaus originelle.
Planert erzählt nämlich keineswegs in klassischer Manier von Aufstieg und Fall des Korsen, dessen Todestag sich zum zweihundertsten Mal gejährt hat. Anders als die Bildcollage auf dem Cover vermuten lässt, ist die Titelfigur nicht Dreh- und Angelpunkt des Buchs. Die Autorin will vielmehr den "Beginn der modernen Welt" (6) ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts beschreiben - und zwar wirklich im globalen Maßstab.
Dies zeigt bereits das Auftaktkapitel, das sich dem "Zeitalter der Revolutionen" widmet: Unabhängigkeitsbestrebungen auf Korsika und in Nordamerika, "Josephinismus in Österreich", "Aufstand in den Generalstaaten" und natürlich Revolution in Frankreich. Die Verfasserin zeigt, "wie stark die Welt des ausgehenden 18. Jahrhunderts miteinander verflochten war", indem sie "Wanderer zwischen den Welten" bzw. deren "transnationale Lebensläufe" vorstellt (22): Weiße, z.B. Thomas Paine, Benjamin Franklin, Francisco de Miranda und Schwarze, etwa Joseph Boulogne, Chevalier de Saint-Georges, bekannt als "schwarzer Mozart" (26) oder Alexandre Dumas. Auf diese Weise entsteht ein buntes Panorama einer transkontinentalen, sowohl intellektuellen als auch politischen Umbruchszeit, gestaltet von Menschen verschiedenster Herkunft, die den "Übergang von der Frühen Neuzeit zur Moderne" markiert habe (17).
Die Autorin entwirft jedoch keine einseitige Fortschrittserzählung, ausdrücklich betont sie die "Grenzen der Aufklärung", die in der Regel "die Unterordnung der Frau", den Kolonialismus und sogar die Sklaverei nicht in Frage gestellt habe (21). Vergeblich hätten sich "Frauen in der Französischen Revolution", z.B. die Schriftstellerin Olympe de Gouges, dagegen gewehrt, dass ihr Geschlecht von Menschen- und Bürgerrechten ausgeschlossen blieb (47). Bei Planert hingegen sind Persönlichkeiten wie Joséphine de Beauharnais nicht einfach "die Frau an seiner Seite". Joséphine habe vielmehr Bonaparte, dem "Aufsteiger aus der unbedeutenden Familie einer randständigen Mittelmeerinsel" erst die für seine Karriere entscheidende "gesellschaftliche Anerkennung" verschafft (72).
Diese Karriere wird dann souverän abgehandelt, wobei sich die Perspektive nie einseitig auf den Korsen verengt. Ausführlich stellt sie auch die politischen Entwicklungen in Italien, der Schweiz oder in Großbritannien in dieser Zeit dar. Großbritannien wird als Frankreichs entscheidender, "globaler" Rivale vorgestellt, indem die Autorin die koloniale Expansion der Briten insbesondere in Indien schildert.
Nach dem Staatsstreich von 1799 blickt Planert auf Napoleons "Traum vom französischen Kolonialreich im Golf von Mexiko" (126). Ausführlich schildert sie die Schrecken von Kolonialherrschaft und Sklaverei in der Karibik und den zunehmenden Widerstand der Unterdrückten. Im Mittelpunkt steht die Haitianische Revolution unter Toussaint Louverture und Jean-Jacques Dessalines, aus der der "erste schwarze Nationalstaat der Geschichte" hervorgegangen sei (132).
Mit der Unabhängigkeit Haitis waren die "kolonialen Blütenträume" geplatzt und Bonaparte wandte sich dem inneren und äußeren "Ausbau seines europäischen Imperiums" zu (134). Planert beschreibt Napoleons Reformen in Justiz und Verwaltung in Frankreich sowie die daran angelehnten Veränderungen im französischen Einflussbereich, etwa den Rheinbundstaaten und attestiert dem Konsul bzw. Kaiser, dadurch die Grundlagen für einen fundamentalen Wandel hin zum "modernen Staatswesen" (135) bzw. einer "kapitalistischen Bürgergesellschaft" (138) gelegt zu haben.
Auch in diesem Kontext betont sie die globale Dimension. Der Code civil sei "Vorbild für Justizreformer in aller Welt" geworden (138) und Napoleons Expansion habe direkt oder indirekt zu "geopolitischen Neustrukturierungen" in den verschiedensten Regionen geführt: am Schwarzen Meer, in der Kaukasusregion, auf dem Balkan, in der Karibik oder in Süd- und Mittelamerika (198). Vor allem Unabhängigkeitsbestrebungen - im Habsburgerreich, im Osmanischen Reich und in Lateinamerika - beschreibt Planert als Folgeerscheinungen der "napoleonischen Epoche". (185) Sehr ausführlich geht die Autorin in diesem Zusammenhang auf Lateinamerika ein. Sie erläutert, wie Brasilien sein von Napoleon mehrfach besetztes, "notleidendes Mutterland" Portugal "wirtschaftlich wie politisch überflügelte" (188) und damit den Grundstein für seine Unabhängigkeit legte. In den spanischen Kolonien in Südamerika habe es schon vor der Napoleonzeit Autonomiebestrebungen gegeben, diese hätten aber "ihren entscheidenden Schub" erst durch die Lähmung der "Madrider Zentrale" infolge der französischen Invasion erhalten (189).
Den Niedergang des napoleonischen Imperiums zeichnet Planert dann gekonnt, aber relativ erwartbar nach, von "Österreichs Nationalkrieg" 1809 über die "österreichische Heirat" und den Russlandfeldzug 1812 bis zum "Jahr 1813". Vergleichsweise knapp fällt die Darstellung des Wiener Kongresses und der "Herrschaft der Hundert Tage" aus. Das Buch schließt relativ abrupt mit einem kurzen Ausblick auf die Napoleonrezeption in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in deren Verlauf "das böse Propaganda-Bild vom kriegslüsternen Monster" durch die "Legende vom tragischen Helden" ersetzt worden sei (221).
Auf die weitere Rezeption bzw. die Historiographie zur Epoche verweist nur eine knappe Literaturauswahl. Der fast komplette Verzicht auf eine Darstellung der Forschung bzw. kontroverser Interpretationen macht die Erzählung teilweise etwas holzschnittartig: Dass Frankreich im Jahr 1799 einen "Retter" brauchte, scheint unstrittig (115), für das Scheitern "außenpolitischer Verständigung" war offenbar Napoleon allein verantwortlich (116) und die "100 Tage" sind eine bloße Fußnote.
Ob man dies einer Überblicksdarstellung zum Vorwurf machen soll, sei dahingestellt. Zumal die Studie dafür Themen breiten Raum gewährt, die sonst häufig nur angerissen werden oder gänzlich unter den Tisch fallen. Die "Atlantischen Revolutionen" bleiben hier kein bloßes Schlagwort, sondern sind ein ausführlich beleuchtetes Phänomen; als Protagonisten treten nicht nur die üblichen (weißen und männlichen) "Helden" auf, sondern auch Politiker und Militärs aus der Karibik, aus Südamerika oder Asien und nicht zuletzt Frauen. Diese Erweiterung der klassischen Revolutions- oder Napoleonerzählung trägt nicht nur gesellschaftlichen oder wissenschaftlichen Trends Rechnung, sondern verdeutlicht auch die Bedeutung des Themas: Diese Epoche war weit mehr als die Entstehungszeit oder der Bezugspunkt heute verblasster, nationaler Mythen der Europäer, sondern eine Zeit (fast) globalen "Umbruchs" in vielen Bereichen.
Sebastian Dörfler