Margaret MacMillan: Krieg. Wie Konflikte die Menschheit prägten, Berlin / München: Propyläen 2021, 381 S., 30 Abb., ISBN 978-3-549-10042-4, EUR 30,00
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Die bekannte kanadische Historikerin Margaret MacMillan definiert ihren Gegenstand "Krieg und Gesellschaft" konsequent empirisch: Es geht ihr um die Wechselwirkungen zwischen Kriegen als "organisierter" und gleichzeitig "zweckgerichteter Gewalt [...] zwischen politischen Einheiten" und Gesellschaften, nicht aber zum Beispiel um eine umfassende Definition des Phänomens "Militarismus", der für sie einfach ein mehr oder weniger äußerliches militärisches Gehabe ist (151). Im Mittelpunkt ihres Buches steht vielmehr die schlichte anthropologische Tatsache, dass "die Befähigung [des Menschen], Krieg zu führen, und die Evolution der menschlichen Gesellschaft [...] Teil ein und derselben Geschichte sind" (13).
MacMillan illustriert ihren seit dem russischen Überfall auf die Ukraine hochaktuell gewordenen Gegenstand eher in seinem sachlichen als im chronologischen Kontext. In ihrem Buch, ursprünglich eine Vortragsreihe, konfrontiert sie den Leser mit zahllosen präzis belegten Fallbeispielen, die sie wie Mosaiksteine aneinanderreiht, um universalgeschichtlich die enge wechselseitige Beeinflussung von Kriegführung und gesellschaftlichem Wandel vor Augen zu führen. Als besonderen Zeitrahmen wählt sie die Epoche seit dem Ersten Weltkrieg und daneben die britischen Erfahrungen als Weltmacht. Insgesamt beruht ihr Urteil auf Thomas Hobbes und dessen These von der grundsätzlichen Unvermeidbarkeit militärischer Konflikte, gleichzeitig aber auch von deren positiven zivilisatorischen Auswirkungen. So nennt sie mit Hobbes etwa die Chance, durch Kriege größere Staatsgebilde zu schaffen und damit die internationale Anarchie wenigstens etwas einzudämmen - was heute freilich durchaus nicht mehr generell gilt.
MacMillans Rundblick beginnt zu Recht mit Kriegsgründen. Unter ihnen hebt sie religiöse und ideologisch-politische Glaubenssätze hervor, die wie zum Beispiel der Dreißigjährige Krieg oder in jüngster Zeit der "Krieg gegen den Terror" - eben weil sie Kompromisse im Prinzip ausschlossen - besonders lange andauerten und besonders grausam geführt wurden (74). Seit der Französischen Revolution dominierte als entscheidende Motivation zum Kriegführen das Prestige des Nationalstaats, der mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht eine Fanatisierung breiter Volksschichten und eine weitere Rücksichtslosigkeit in der Kriegführung nach sich zog. Die Frage nach den in einem Krieg eingesetzten materiellen Mitteln (Kap. 3) berührt die Wirtschafts- und Gesellschaftsgeschichte besonders eng. So gab es, wie die Verfasserin zeigt, typische Kriegsgesellschaften wie Sparta oder Preußen. Die in den einzelnen Gesellschaften entwickelten Waffen - beispielsweise der Steigbügel für die Kavallerie oder Stahl für die Panzerung von Schiffen - ermöglichten ihrerseits neue Formen der Kriegführung, bis seit dem Zweiten Weltkrieg der Bau von atomaren Waffen wegen ihrer fast grenzenlosen Zerstörungskraft global-totale Kriege in der Praxis auszuschließen scheinen. Auf der anderen Seite beschleunigte der Kriegsbedarf insbesondere seit dem Ersten Weltkrieg die Modernisierung staatlicher Strukturen sowie die politisch-soziale Integration und Besserstellung aller Volksschichten - nicht zuletzt der Frauen -, lieferte damit freilich auch die Voraussetzungen für die Führung eines lang dauernden "Volkskrieges" (156).
Die Kapitel 5 und 6 wenden sich dem Krieg als individueller Herausforderung zu. So motivierten die Jugend zu Anfang des Ersten Weltkrieges Sensationslust, aber auch das Streben nach charakterlicher Bewährung und die Hoffnung auf gesellschaftlichen Aufstieg zur Kriegsteilnahme. Mit einer rigorosen Disziplinierung zu blindem Gehorsam, daneben aber auch unbedingter Solidarität mit den Kameraden dominierten auf die Dauer jedoch Faktoren, die, oft - zusammen mit exzessivem Alkoholkonsum - den einzelnen Kriegsteilnehmer nicht nur in Hitlerdeutschland zum "kontrollierten Mörder" machten (190).
Durch Lösegeldforderungen, Plünderungen und die Zerstörung ganzer Städte erfasste der Krieg schon immer auch die Zivilbevölkerung (Kap. 7). Nach einer gewissen Schonzeit im 18. und 19. Jahrhundert nahm der moderne "totale Krieg" die gesamte Zivilgesellschaft ins Visier (118, 236). Er führte zu Verschleppungen, "ethnischer Säuberung", rassistisch motivierter Verfolgung, regelrechtem Völkermord sowie Flächenbombardements als Mittel der Demoralisierung und nicht zuletzt - wie 1937 in Nanking oder 1945 in Berlin - auch zu Massenvergewaltigungen als Siegespreis. Zivilisten waren freilich nicht nur Opfer, sondern wurden von Regierungen mobilisiert, auch um den militärischen Untergrund gegen feindliche Regime zu unterstützen. Überall wurde Krieg damit auch die Stunde der Frauen, wie die Verfasserin eingehend belegt.
Als Reaktion auf die Massenwirkung moderner Waffengattungen drängte die Öffentlichkeit in den "zivilisierten" Staaten dann seit Mitte des 19. Jahrhunderts auf völkerrechtliche Vorkehrungen zur Einhegung der Kriegsschrecken (Kap. 8). Im besten Fall und auf sehr lange Sicht hieß dies, auf Kriege ganz zu verzichten. Unmittelbar umfassten diese Wünsche zunächst konkretere völkerrechtliche Vereinbarungen, die auf eine menschenwürdige Behandlung von Kriegsgefangenen, Verwundeten und vom Krieg betroffenen Zivilisten abzielten. Nicht zuletzt die im Namen des nationalsozialistischen Deutschlands begangenen Morde an der zivilen Bevölkerung veranlassten nach 1945 die Kodifizierung von Kriegsverbrechen, die heute ein Internationaler Strafgerichtshof ahnden kann. Ein "Schönheitsfehler" bleibt dabei, dass Russland und die USA diesen Vereinbarungen mit Rücksicht auf die eigenen Staatsangehörigen nicht beigetreten sind.
Eine völkerrechtliche Eingrenzung oder gar eine Abschaffung von Kriegen ist damit ein schöner Traum geblieben. Für die Verfasserin liegt das auch am ambivalenten Umgang mit der Erinnerung an die beiden Weltkriege bei den Nachlebenden, die zwischen Verherrlichung und Verurteilung, zwischen Trauer um die Opfer und nachträglicher Rechtfertigung schwanke (Kap. 9). Als Beispiel nennt die Verfasserin die weltbekannte britische Popgruppe "Spice Girls", die noch 1997 zum feierlichen Gedenken an die siegreiche Beendigung des Ersten Weltkrieges aufrief, "weil Millionen von Menschen gestorben" seien, "damit wir frei sein" - das heißt also wohl: selbstbestimmt "leben können" (320). Die "Freiheit" des ehemaligen deutschen Gegners meinte sie nicht.
MacMillan wirft damit abschließend noch einmal das Grundproblem der Unausrottbarkeit von Kriegen in einer sonst so fortgeschrittenen Welt auf. "Habsucht, Furcht und Ideologie" nennt sie als Hauptursachen, jüngst aber auch den Klimawandel und generell das Fortbestehen von Supermächten und Nationen mit "ausgeprägter Identität" (329 f.). Vielleicht hätte sie diesen Faktor noch stärker hervorheben können, um für ihre fallbezogene Darstellung einen umfassenderen Rahmen anzubieten. Ein durchgängiges und überragendes Ziel von Völkern und Nationen in einem Krieg ist doch zweifellos, ihre Identität zu bewahren, ohne die sie leicht auch ihre materielle Weiterexistenz einbüßen können, wie die zahlreichen, nicht nur durch physische Ausrottung "ausgestorbenen" Völker beweisen. So war bezeichnend, dass sich Japan im Zweiten Weltkrieg erst ergab, als die Sieger dem Land mindestens den formalen Fortbestand seines Kaisertums zusicherten. Dass die "totalitären" Staaten in Europa - besonders NS-Deutschland und die UdSSR - auf die Zerstörung der Identität vieler der von ihnen kontrollierten Völker hinarbeiteten, ist nachgewiesen. Ein vorzügliches Register ergänzt MacMillans "Kompendium" und erhöht so dessen Wert als Quelle reichhaltiger Information und Orientierung.
Klaus Schwabe