Rezension über:

Birgit Mersmann: Über die Grenzen des Bildes. Kulturelle Differenz und transkulturelle Dynamik im globalen Feld der Kunst (= Image; Bd. 174), Bielefeld: transcript 2021, 285 S., 56 Abb., ISBN 978-3-8376-5147-8, EUR 40,00
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Rezension von:
Eva-Maria Troelenberg
Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf
Redaktionelle Betreuung:
Katharina Jörder
Empfohlene Zitierweise:
Eva-Maria Troelenberg: Rezension von: Birgit Mersmann: Über die Grenzen des Bildes. Kulturelle Differenz und transkulturelle Dynamik im globalen Feld der Kunst, Bielefeld: transcript 2021, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 4 [15.04.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/04/37212.html


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Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Birgit Mersmann: Über die Grenzen des Bildes

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Birgit Mersmanns Band Über die Grenzen des Bildes nimmt sich zum Vorsatz, Bilder als "Bewegungsspur(en)" migratorischer und transitorischer künstlerischer Praxis zu betrachten (11). Das Dispositiv der Grenze liefert hierfür das Leitmotiv, auch in methodisch-disziplinärer Hinsicht: Bereits die Einleitung macht explizit, dass es zunächst durchaus darum geht, die Grenzen der Disziplin Kunstgeschichte in grundsätzlicher Weise herauszufordern, um einen allzu selbstverständlichen Eurozentrismus infrage zu stellen. Dabei verortet die Autorin sich in einer Reihe mit der zunehmend kritisch-differenzierten kunstwissenschaftlichen Transkulturalitäts- und Migrationsforschung, die etwa von James Elkins zu Burcu Dogramaci reicht - ein Feld, das die Prämissen der Disziplin in den vergangen zwei Jahrzehnten bereits wesentlich verändert und neu justiert hat. Vor diesem Hintergrund nimmt Mersmann eine wichtige Präzisierung vor: Das Ziel des Bandes besteht nicht mehr nur "in einer transkulturellen Verortung der Kunstgeschichte bzw. Kunstwissenschaft als Fachdisziplin", vielmehr ist es ein Versuch, "die kulturell aber auch medial bedingten Grenz- und Transfermodalitäten künstlerischer Bildlichkeit sowie institutionalisierter Kunstvermittlung zu erkunden" (12-13). Zum Grenzdispositiv tritt damit das des Bildes. Dieser Bildbegriff erscheint in den folgenden Kapiteln in engem, nicht immer ganz ausdefiniertem Verhältnis zu weiteren Kategorien wie Kunst und Kulturerbe. Insgesamt ließe sich auch eine deutlichere Definition und Abgrenzung von Begrifflichkeiten wie etwa "Okzidentalismus", "Eurozentrismus" etc. denken. In jedem Fall aber unterstreicht der Ansatz des Bandes wirkungsvoll die Bedeutung visueller Analysekategorien im transkulturellen Feld.

In der ausführlichen und theoretisch dichten Einleitung wird der Forschungsstand insbesondere in den Geschichts- und Kunstwissenschaften an den drei "Transkonzepten" Transkulturalität, Transdifferenz und Translation entlanggeführt. Als Umriss einer auf das Bild zielenden Hermeneutik bietet dieses Kapitel zunächst einen Überblick über den Stand der Transkulturalitätsforschung, der sich auch unabhängig von den folgenden Fallbeispielen mit Gewinn lesen lässt (auch wenn der im zunehmend internationalen Diskursfeld wenig rezipierten Position von Wolfgang Welsch überraschend viel Platz eingeräumt wird). [1] Darauf folgt zentral das Denkmodell der Transdifferenz, das jenseits von Verflechtungsgeschichten auch "Verunsicherungs- und Dissonanzerfahrungen" (26) erfassbar macht. Hier ist eine Parallele zum postkolonialen Konzept des "Third Space" auszumachen, in dem sowohl Kontakt- als auch Konflikträume eröffnet werden. [2] Zugleich erscheint Transdifferenz auch als Identitätsmerkmal künstlerischer Positionen im (post-)migratorischen Zeitalter (29). Das Konzept der Translation vervollständigt schließlich die Begriffstrias und mündet in das Paradigma einer "transkulturelle[n] Bild(kunst)forschung als Bildübersetzungswissenschaft" (30). Dabei bezieht die Autorin sich auf Positionen transkultureller Übersetzungstheorie, die sich bewusst von eurozentrischen Praktiken abwenden und somit eine Vorbildfunktion für den Bereich visueller Analyse erfüllen können. In diesem theoretischen Abschnitt erweist sich das Potenzial interdisziplinärer Ansätze als besonders produktiv. Letztlich bildet sich Transmission als Kernkonzept heraus: Übermittlung sei hierbei als historisches Kontinuum zu denken (33). "Der bildmediologische Ansatz", so Mersmann, "erlaubt es, Bildkulturtraditionen aufzuspüren und deren transkulturelles Übermittlungspotenzial als raumzeitliche Übersetzung zu bestimmen" (34).

Die an dieser Stelle gewissenhafte Diskussion von Begrifflichkeiten spiegelt die profunde Kompetenz und Forschungserfahrung der Autorin im transkulturellen Feld wider. Zugleich scheinen immer wieder die Ambiguitäten und auch Unschärfen auf, die transkulturellen Debatten und Konzepten oft unweigerlich eingeschrieben sind. Mersmann macht dies in offensiver Weise von vorneherein explizit, angefangen beim Grenzbegriff selbst, mit dem Grenzziehungen ebenso wie Entgrenzungen erfasst werden können - und dies bezogen auf Gegenstand und Methode gleichermaßen.

Es stellt sich letztlich doch die Frage, wie produktiv ein Theoriemodell im transkulturellen Feld eigentlich sein kann, wenn es zunächst losgelöst von konkreten Gegenständen und spezifischen Kontexten gedacht wird. Auf die Einleitung folgen im vorliegenden Band drei weitere Kapitel, in denen konkrete Fallbeispiele an dieses Theoriemodell geknüpft werden. In allen Beispielen geht es um Bildpraktiken, die jedoch geografisch, historisch und konzeptionell recht weit auseinanderliegen: So reichen sie vom "Horizont als Limesfigur" im ostasiatischen und europäischen Bilddenken über "Skopische Chiasmen in der chinesischen und koreanischen Body- und Performancekunst" bis hin zur "Zerstörung und Rekonstruktion der Buddha-Statuen von Bamiyan" und zu einer institutionellen Betrachtung des Louvre Abu Dhabi. Die Verknüpfung dieser Fallbeispiele mit dem zuvor geschaffenen Theoriegrund gelingt dabei in unterschiedlicher Weise. Die Tiefenschärfe des Bamiyan-Kapitels beispielsweise schließt nicht vollständig zum Forschungsstand zu diesem international viel besprochenen Gegenstand auf. Abschließend hätte die Leserin sich ein Resümee gewünscht, in dem Theorie und Empirie noch einmal kohärent zusammengeführt werden.

Insgesamt aber demonstriert der Band in seiner Zusammenschau empirischer Einzelpositionen mit einer theoretischen Grundprämisse, welch vielfältige Fragestellungen im visuellen Feld von transkulturellen Dynamiken geprägt sind. Die Auslotung des Verhältnisses zwischen interdisziplinärer Theoriebildung und spezialisierter Gegenstandskenntnis einzelner Fach- und Regionaldisziplinen bleibt eine zentrale Aufgabe für transkulturelle Forschung und Lehre. Birgit Mersmanns Band wird hierfür einen bedeutenden Bezugspunkt bilden.


Anmerkungen:

[1] Siehe etwa Wolfgang Welsch: Transkulturalität. Zur veränderten Verfasstheit heutiger Kulturen, in: Zeitschrift Kulturaustausch 1 (1995), 39-44.

[2] Homi K. Bhabha: The Location of Culture, London 1994.

Eva-Maria Troelenberg