Kirsten Darby: Die »Lachverständigen« im Mittelalter. Untersuchungen zu Darstellungen und Bewertungen des Lachens in Heiligenviten (= Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte; Bd. 95), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2021, 401 S., ISBN 978-3-412-52052-6, EUR 60,00
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Der in der Mediävistik vorherrschenden Annahme, Lachen sei im Mittelalter vermeintlich negativ besetzt gewesen, von Seiten der Kirche habe sogar ein "Verbot des Lachens im Mittelalter" geherrscht (347), will Kirsten Darby mit ihrer nun als Buch vorliegenden Dissertation (Universität Oldenburg) entgegenschreiben. Dabei sollen erstens dominierende Paradigmen zum Lachen im Mittelalter revidiert und zweitens neue Erkenntnisse gewonnen werden, indem der Blick konzentriert auf Heiligenviten gerichtet wird. Somit wendet sich Darby zwar einem für die Mittelalterforschung wohlbekannten Quellenkorpus zu, das aber mit Blick auf das Lachen im Mittelalter nur "marginale Berücksichtigung" (28) erfahren habe. Anhand eines überwiegend gattungsinternen Vergleichs untersucht sie "Lachen im sakralen Kontext" (33). Um dies handhabbar zu machen, bedient sie sich einer "elektronische[n] Stichwortsuche in den Acta Sanctorum mit besonderem Fokus auf die Wortfamilie risus" (44). Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich über das ganze Mittelalter, wobei Darby, nachdem sie einleitend einen Überblick über die bisherige Forschung zum Themenfeld Lachen, nicht nur in der Mittelalterforschung, geleistet hat, zunächst Traditionslinien des vorchristlichen Altertums aufzeigt. Anhand ausgewählter Texte aus der griechischen, römischen sowie biblischen und frühchristlichen Texttradition untersucht sie Arten, Motive und Akteure des Lachens. Diesen analytischen Dreiklang (Arten, Motive und Akteure des Lachens) behält sie auch im dritten Teil, bei der Erforschung des "Lachen[s] im Mittelalter" bei, welches das Hauptkapitel ihrer Abhandlung bildet. Neben zahlreichen Unterkapiteln werden besonders die Akteure des Lachens im Mittelalter in gegensätzliche Paare wie Laien - Geistliche, Machthaber - Unterlegene, Volk - Elite, Heilige - Unselige, Jung - Alt, Mann - Frau aufgefächert behandelt.
Zu Beginn verweist Darby auf die theoretische Einbettung ihres Unterfangens, wobei sie ihre Studie sowohl in der Körper- als auch Emotionsgeschichte verortet, zu letzterer kommt sie vor allem in der Analyse der Motive des Lachens im Mittelalter zurück. Oftmals verschwinden spannende theoretische Erörterungen in den Fußnoten, sodass im Haupttext häufig Namen und Konzepte aneinandergereiht werden. Ausgehend von Rosenweins Konzept der "emotional communities" (26-28) versucht Darby, die sehr zurückhaltend mit dem von Röcke/Velten vorgeschlagenen Begriff der "Lachgemeinschaft" umgeht (182f., Fußnote), den Ansatz der Emotionen und des sozialen Miteinanders für die Motive des Lachens vor allem mit Bezug zum Sakralen und in der Kommunikation sowie mit Blick auf die Körperlichkeit zusammenzufassen (245-253), ein Vorhaben, dass aufgrund des breiten Quellenkorpus allerdings in pauschale Aussagen münden muss: "Es zeigt sich, auch anhand der Motive, dass das Lachen per se keiner festgelegten oder gar gleichbleibend negativen Bewertung unterliegt, sondern sich erst durch den Kontext eine Einordnung vornehmen lässt" (253). An anderen Stellen, wo Darby interessantes Quellenmaterial präsentiert, wie die lachenden Dämonen, durch die das "Lachen [...] eine weitere Waffe im Kampf um den Menschen" (321) wurde und der oder die Heilige selbst zum Objekt des Lachens changierte, sich somit die Angst der Heiligen vor den Dämonen durch Lachen zu einem Motiv entwickelte, vermisst man die tiefergehende Ausformulierung des emotionsgeschichtlichen Blickes. Die Analyse mit den Kategorien wie Alter, gender oder Sozialisation, die vor allem bei den Akteuren des Lachens zum Tragen kommt, führt beispielsweise bei der Kategorie "Jung und Alt", gemäß Darby zu der Feststellung, dass die "Sozialisation hinsichtlich der Beherrschung des Lachens [...] als eine Disziplinierung [verstanden wurde], die in jedem Lebensalter erfolgen konnte" (327); ähnlich verhält es sich mit Darbys Urteil bei der Analysekategorie "gender", da weniger gender-Unterschiede als vielmehr Gemeinsamkeiten festzustellen seien (342).
Das führt zur Reflexion der Auswahl der Quellen und der Methode zurück: Eine nötige kritische, vorgelagerte Auseinandersetzung mit den Acta Sanctorum als Quellenbasis verschwindet in einer Fußnote (44, Fußnote 153). Die von Darby durchgeführte Stichwortsuche in den Heiligenviten bringt zweifelsohne einen breiten Fundus an losen Quellenzitaten ("mehr als 2000 Fundstellen", 45) hervor. Diese teilweise spannenden Textstellen analysiert Darby zwar strikt nach dem oben beschriebenen Schema: Arten, Motive und Akteure des Lachens. Dieser schematische Aufbau erschwert aber das Lesen, führt teilweise zu Überschneidungen (143), sodass man die Nützlichkeit der vorgeschlagenen Dreiteilung beim Lesen gelegentlich hinterfragt.
Aufgrund der breiten Materialbasis fällt die Kontextualisierung der einzelnen Textstellen, ihrer Protagonist*innen und Autor*innen freilich knapp aus. Ebenso konnten Interdependenzen zwischen einzelnen Hagiographien sowie die Formung von (Heiligkeits-)Idealen/Mustern nicht ausreichend Beachtung erfahren. Die Masse an angeführten Heiligen lässt auch aufmerksame Leser*innen manchmal durcheinanderkommen, da teilweise identifizierende Zuordnungen/Beinahmen fehlen ("Vita der Heiligen Elisabeth", 190) oder nach einem unregelmäßigen Schema in ihren lateinischen Namen belassen wurden ("Vita der Heiligen Francisca", 202 - gemeint ist Franziska von Rom). Abhilfe würde ein detailliertes Register verschaffen; das von Darby bereitgestellte verbindet Namen von Quellenpersonen mit Autor*innen der modernen Literatur sowie einigen ausgewählten Schlagworten. Die Hinzunahme von Textgattungen wie Ordensregeln (134-139), Predigttexten (218f.) oder Texten ausgewählter Repräsentanten wie Bernhard von Clairvaux (257-261) zur ursprünglich klar definierten Quellengrundlage (Heiligenviten) erweckt den Eindruck, Darby habe ein holistisches Bild über das Lachen im Mittelalter in sakralen Kontexten angestrebt. Diese Erweiterungen machen es jedoch zunehmend schwieriger, konkrete Aussagen über das Lachen im Mittelalter zu treffen.
Formal ist anzumerken, dass die Nummerierung der Gliederung sowohl im Inhaltsverzeichnis als auch im Fließtext des Buches (bei Punkt 3.3.8) springt, was nicht nur einen Tippfehler, sondern eine, wenn auch kleine, inhaltliche Verschiebung mit sich bringt.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich Darby kritisch mit zahlreichen populären und dominierenden Annahmen zum Thema Lachen im Mittelalter auseinandergesetzt hat und aufgrund ihrer breiten Quellenbasis sowohl Le Goffs (145/177) als auch Bachtins (316) Annahmen korrigierend entgegentreten kann. Ebendiese Quellenbasis und das damit verbundene schematische methodische Vorgehen erschwert es Darby allerdings, spezifische Aussagen zu treffen, denn "vielmehr geben Texttradition und Textgattung zum Teil dem Verfasser die Darstellungsweise vor" (354). Bei ihrem Resümee zum Lachen im sakralen Kontext lehnt Darby sich stark an Bourdieu an, wenn sie "Lachen zum Distinktionsmittel zwischen Akteuren" (348) erklärt. Daran anknüpfend beschreibt Darby die titelgebenden "Lachverständigen" als "diejenigen, die in Bezug auf Lachen über den legitimen Geschmack verfügen und die Parameter dieser Selbsttechnik lernen, sie sind Experten, die sich verständig mit dem Lachen auseinandersetzen" (358). Der weitverbreiteten Ansicht, dass das Lachen im Mittelalter verboten sei, setzt sie abschließend ihre Folgerung entgegen, dass vielmehr "[i]m Bezug auf das Lachen im Mittelalter [...] eine Vielstimmigkeit" (359) bestehe.
Julia Seeberger