Ulrich Mayer / Hans-Jürgen Pandel / Gerhard Schneider / Bernd Schönemann (Hgg.): Wörterbuch Geschichtsdidaktik, 4. Auflage, Frankfurt/M.: Wochenschau-Verlag 2022, 234 S., ISBN 978-3-7344-1103-8, EUR 18,90
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Die gesamte "fachspezifische wissenschaftliche Begrifflichkeit" (11) der Geschichtsdidaktik in einem Buch so zusammenzufassen, dass von keiner Seite mehr Klagen über fehlende oder unnötigerweise aufgenommene Begriffe mehr aufkommen, darf wohl als Ding der Unmöglichkeit angesehen werden. Nichtsdestotrotz unternehmen Ulrich Mayer, Hans-Jürgen Pandel, Gerhard Schneider und Bernd Schönemann nun bereits in einer vierten Auflage den Versuch, zumindest - so der eigene Anspruch - einen "Grundbestand geschichtsdidaktischer Begriffe" (13) zusammenzufassen.
Wie die Bezeichnung 'bedingt überarbeitete und erweiterte Auflage' bereits vermuten lässt, hat sich das Grundkonzept des Wörterbuches nicht verändert: in insgesamt 177 Artikeln, davon elf neu hinzugekommenen und sieben auch inhaltlich überarbeiteten, wird eine enorme Spannweite von Begriffen von Autor*innen diskutiert, die sich im Regelfall dadurch auszeichnen, dass sie zum jeweiligen Artikelthema bereits umfangreichere Texte publiziert haben, auf die in den Literaturangaben zum jeweiligen Begriff hingewiesen wird. Die Gleichförmigkeit, in der die Artikel verfasst sind, mit zunächst einer grundlegenden Begriffsbeschreibung, an die ein Bezug zur Geschichtsdidaktik sowie bisweilen auch zum Geschichtsunterricht anschließt, steht in diametralem Gegensatz zur Disparatheit der behandelten Begriffe. Diese reichen von geradezu (geschichts-) philosophischen Abhandlungen, z.B. zur Anschauung von Andreas Urban (22-23) oder zur Anthropologie von Wolfgang Günter (23-25), über geschichtstheoretische, z.B. zur historischen Methode von Hans-Jürgen Pandel (119-120), und geschichtsdidaktische Themen, z.B. zur Narrativität von Michele Barricelli (173-174), bis hin zu Aspekten des konkreten Geschichtsunterrichts, z.B. die Diskussion von Einstiegen durch Gerhard Schneider (59-60). Darüber hinaus finden sich einige Begriffe, deren Bezug zur Geschichtsdidaktik, insbesondere vor dem Hintergrund der scharfen Kritik an einer "Borgepraxis" (15) für Begriffe, die Hans-Jürgen Pandel für das Herausgeberteam im Vorwort bemüht, nicht immer offenkundig ist, so beispielsweise die Thematisierung des Habitus durch Monica Juneja-Huneke (111-112) oder die Thematisierung des Idealtypus von Cornelius Torp (123-124). Keinesfalls soll damit die durchweg hohe Qualität nicht nur dieser, sondern der überwiegenden Mehrheit der Artikel des Wörterbuches geschmälert werden. Mit dem stetigen Zuwachs an diskutierten Begriffen dürfte nur die Frage danach, ob das bisherige System der Zusammenstellung des Bandes durch Vorschläge von Autor*innen und Herausgebern, bei dem Artikel ohne Bezug aufeinander entstehen (13-14), zielführend ist, an Relevanz gewinnen.
Ohne in eine Grundsatzdiskussion über die Begriffsauswahl abzuschweifen, sei dennoch exemplarisch auf zwei Kuriositäten verwiesen, die Fragen daran aufkommen lassen: Erstens enthielt bereits die dritte Auflage die Schlagworte gender und Männergeschichte - sowie einen Verweis in der einleitenden Begriffsübersicht von Frauengeschichte auf gender, die in der Neuauflage (leider) durch ein Inhaltsverzeichnis ohne irgendwelche Begriffsverweise ersetzt wurde. Diese Verknüpfung von Bettina Dehnes gender-Artikel mit Frauengeschichte bzw. seine Abgrenzung von der Männergeschichte wurde dem Anspruch des dort dargelegten Konzeptes [1] nicht gerecht. Die Aufnahme von Martin Lückes wichtigem Beitrag zu Diversität in der vierten Auflage zeigt jedoch die systematischen Inkonsistenzen in der Zusammenstellung des Wörterbuchs im Hinblick auf diese zusammenhängenden Konzepte eindrücklich auf: So werden hier die Diversitätskategorien race, class und gender überblicksartig eingeführt, allerdings nur gender als eigenes Schlagwort im Wörterbuch geführt, jedoch auf struktureller Ebene (und explizit nicht auf der Inhaltsebene der Artikel) durch das Schlagwort Männergeschichte in seiner explizit auch diese umfassenden Reichweite eingeschränkt.
Neben der unsystematisch anmutenden Neuaufnahme von Begriffen kann jedoch auch die Überarbeitung bestehender Artikel für seltsame Erscheinungen sorgen, wie ein weiteres Beispiel zeigt: So beschreibt Andreas Wunsch in seinem Text zu Werturteilen in der dritten Ausgabe auch recht ausführlich das Sachurteil, sodass hier durchaus begründbar kein eigener Text zu ebendiesem eingefügt wurde. Die vierte Auflage enthält nun einen überarbeiteten Artikel zum Werturteil, der dieses deutlich ausführlicher und tiefgehender mit Verweis auf die Begriffsherkunft und seine problematische Verwendung im Schulkontext erläutert (227-228). Aus Sicht des Verfassers erfährt der ohnehin wertvolle Text damit eine weitere Aufwertung, allerdings auf Kosten der Behandlung des Sachurteils, das nun im Wörterbuch der Geschichtsdidaktik keine Rolle mehr spielt. Suchenden wird die Abwesenheit des Schlagwortes wohl auffallen und niemand wird daraus schließen, dass die Geschichtsdidaktik das Sachurteil hinter sich gelassen hat - zu irritieren vermag ein solcher Umstand jedoch allemal.
Es ließen sich weitere Merkwürdigkeiten am Wörterbuch der Geschichtsdidaktik aufführen - so darf ebenso hinterfragt werden, inwiefern Institutionsnamen wie Konferenz für Geschichtsdidaktik (141-142), Georg-Eckert-Institut (91-92) oder Geschichtslehrerverband (103-104) zu Fachbegriffen gehören, wie sich darüber zu wundern ist, dass ein Artikel zum Begriff Migration vor dem Hintergrund jüngerer Ereignisse (163-164) keine Überarbeitung erfahren hat. Wenn sein wesentlicher Zweck darin liegt, geschichtsdidaktisch mehr oder weniger vorgebildeten Personen auf fachlich hochwertiger Ebene einen Überblick über und Einblick in zahlreiche zentrale Begriffe zu liefern, die im Fach verwendet werden, dann erfüllt es diesen auch in der vierten Auflage ohne Zweifel. Ein Kritikpunkt, der sich auf die inhaltliche Qualität einiger weniger Beiträge bezieht, kann abschließend jedoch nicht ausbleiben:
Bei einem Werk mit dem beschriebenen Entstehungshintergrund und seiner Bandbreite an Konzepten liegt es auf der Hand, dass zwischen Artikeln Widersprüche aufkommen und Positionen kritisiert werden usw., wie es für einen lebendigen Fachdiskurs üblich ist. Ein Wörterbuch sollte jedoch ebenso wenig der Raum für polemische Abwertungen anderer Positionen ohne fachlich-argumentative Diskussion (z.B. 14) sein wie für die Ausblendung von den eigenen Ansatz hinterfragenden Standpunkten (z.B. 140-141).
Anmerkung:
[1] Vgl. dazu auch Nadja Bennewitz: Gender in Geschichtsdidaktik und Geschichtsunterricht - Einig in der Kontroverse? Einführung, in: Gender in Geschichtsdidaktik und Geschichtsunterricht. Neue Beiträge zu Theorie und Praxis, hg. von Nadja Bennewitz / Hannes Burkhardt, Berlin, Münster 2016 (Historische Geschlechterforschung und Didaktik, Band 5), 9-54, 15-22.
Kristopher Muckel