Karsten Ruppert (Hg.): Die Exekutiven der Revolutionen. Deutschland 1848/49, Paderborn: Brill / Ferdinand Schöningh 2023, 435 S., ISBN 978-3-506-79103-0, EUR 79,00
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Der Band geht wie sein Vorgänger [1] auf eine Tagung im Jahre 2015 zurück. Der Herausgeber hat seinen Beitrag zum Umfang einer 300seitigen Monographie ausgearbeitet, sodass seine Ausführungen zu den Revolutionsregierungen in vier Staaten bzw. Regionen umfangreicher geworden sind als die Fallstudien zu diesen Gebieten von Frank Möller (Schleswig-Holstein), Jonas Flöter (Sachsen), Frank Engehausen (Baden) und Markus Meyer (Pfalz). Flöter betrachtet allerdings nicht die kurzlebige Provisorische Regierung in Sachsen, sondern die vorausgehenden Ministerien der Revolutionszeit. Ein bilanzierendes Fazit Rupperts und zwei Anhänge mit Daten zu allen Provisorischen Regierungen und den fünf Reichsministerien der Provisorischen Zentralgewalt beschließen den Band.
Die landesgeschichtliche Forschung hat die Endphase der Revolution in den jeweiligen Gebieten intensiv aufgearbeitet. Dieser Band bilanziert sie mit Blick auf die Provisorischen Regierungen. Von ihnen hebt sich die schleswig-holsteinische markant ab, denn mit ihr begann die Revolution im "dänischen Gesamtstaat". Ruppert und Möller betrachten die Ereignisse aus nationaldeutscher Sicht. Das ist problematisch, denn der Krieg in Schleswig und Holstein war nicht nur ein dänisch-deutscher, sondern auch ein innerdänischer, in dem es um die künftige Gestalt des mehrstaatlichen und mehrnationalen "dänischen Gesamtstaates" ging.
Die vier Fallstudien und die Abschnitte dazu bei Ruppert bieten einen schnellen Zugang zu den dortigen Provisorischen Regierungen, doch das Besondere des Buches liegt in Rupperts ausführlicher Analyse der Tätigkeit der Provisorischen Zentralgewalt in Frankfurt/Main und der Reichsministerien, die von ihr eingesetzt worden sind. Auch dazu gibt es Studien, doch Ruppert gelingt es, auf der Grundlage der Forschung und eigener Quellenerhebung (auch archivalischer) weitaus genauer als bisher bekannt die Bedeutung des Reichsverwesers für Grundentscheidungen in den Revolutionsjahren herauszuarbeiten.
"Die Zentralgewalt wurde nach dem Modell der konstitutionellen Monarchie konstruiert." (5). Doch dieses Modell wurde pragmatisch modifiziert, denn der Reichsverweser ernannte zwar die Minister, doch solange die Nationalversammlung handlungsfähig blieb, folgte die Regierungsbildung den Mehrheitsverhältnissen in der Paulskirche, sodass in der politischen Praxis ein parlamentarisches Regierungssystem entstand. Ruppert nennt es improvisiert. Da Erzherzog Johann darauf bestand, seine verfassungsmäßigen Aufgaben seien ihm auch von den deutschen Regierungen übertragen worden, bekräftigte er damit den Vereinbarungskurs der Nationalversammlung, und in der Endphase der Revolution wuchs dem Reichsverweser eine Bedeutung zu, die bislang wenig beachtet worden ist. Er verhinderte, dass der preußische König ihn in seinem Amt institutionell beerben konnte, und auch am Scheitern des preußischen Unionsplanes war er beteiligt. Er gab sein Amt erst auf, als sicher war, dass Preußen sein Ziel nicht erreichen konnte und der Deutsche Bund wiederhergestellt wurde.
Der Reichsverweser gewinnt bei Ruppert eine Kontur, die so allenfalls wenigen Experten bekannt sein konnte: streng monarchisch, aber doch überzeugt, "dass das Volk eine unentbehrliche Kraft geworden sei" (301), offen für die Parlamentarisierung der Regierungen, deren Handeln er absicherte, auch wenn sie eine Politik betrieben, mit der er nicht übereinstimmte, und in der Endphase derjenige, der die Zentralgewalt handlungsfähig hielt. Mit dem Reichsverweser entstand in Deutschland erstmals die Figur des parlamentarischen Monarchen. Er hat dies nicht theoretisch reflektiert, aber er hat das Amt so ausgeübt. Mit dem Ende der Revolution war es mit diesem Verständnis von Monarchie vorbei. Im Nationalstaat dauerhaft, in einigen Staaten dauerte es bis gegen Ende des Jahrhunderts, bis es erneut dazu kam.
Detailliert untersucht Ruppert auch die Tätigkeit aller Reichsministerien in den Revolutionsjahren. Er charakterisiert die Provisorische Zentralgewalt als "eine revolutionäre Exekutive, doch keine Exekutive der Revolution." (394). Entscheidend wurde diese Haltung 1849, als die Zentralgewalt einschließlich der Nationalversammlung nicht versuchte, die Reichsverfassungskampagne zu koordinieren und zu legitimieren, um diejenigen Fürsten, welche die Reichsverfassung noch nicht anerkannt hatten, dazu zu zwingen. Dass die Zentralgewalt damit ihre Politik der Gewaltvermeidung fortsetzte, arbeitet Ruppert scharf heraus. Er zeigt ausführlich, wie erfolgreich die Ministerien mit sehr geringen Mitteln gearbeitet haben, wenngleich er sie "eine typische Kopfgeburt des konstitutionellen Bürgertums" (391) nennt. Ruppert hat eine feste Vorstellung davon, was Regierung und Nationalversammlung hätten tun sollen, um die Revolution zum Erfolg zu führen. Daran misst er sie, wenn er sie bewertet. Ihr Hauptfehler sei es gewesen, wie die Regierung eines Staates zu handeln, obwohl dieser Staat erst noch errichtet werden musste. Das kann man auch anders sehen. Ruppert bringt selbst viele Beispiele für das staatliche Handeln der Zentralgewalt, die, wie er zu Recht konstatiert, neben den einzelstaatlichen Regierungen ein weiteres Machtzentrum geworden war. Die Zentralgewalt erfüllte staatliche Aufgaben, sie handelte als Staat, wurde als solcher von etlichen Staaten anerkannt, und der preußische König versuchte, ihr Werk der Staatserschaffung zu übernehmen.
Man muss Rupperts zahlreichen Wertungen nicht zustimmen und kann dennoch anerkennen, dass es ihm gelungen ist, mit der Provisorischen Zentralgewalt und ihren Regierungen einen wichtigen, bislang zu wenig beachteten Bereich der Revolution erhellt zu haben. Wer wissen will, wie in Frankfurt/Main versucht wurde, einen Weg zum Nationalstaat zu finden, der nicht auf Gewalt angewiesen war, der Einzelstaaten respektierte, sie aber ins zweite Glied eines nationalen Bundesstaates verweisen wollte, sollte dieses Buch lesen.
Anmerkung:
[1] Karsten Ruppert (Hg.): Die Exekutiven der Revolutionen. Europa in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Paderborn 2022.
Dieter Langewiesche