Robert Bauernfeind / Pia Rudolph (Hgg.): Bilder exotischer Tiere zwischen wissenschaftlicher Erfassung und gesellschaftlicher Normierung. 1500-1800, 2021, 149 S.
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Herbert Molderings / Gregor Wedekind (éds.): L'evidence photographique. La conception positiviste de la photographie en question, Paris: Éditions de la Maison des sciences de l'homme 2009
Renate Lorenz: Queer Art. A Freak Theory, Bielefeld: transcript 2012
Marianne Koos: Haut, Farbe und Medialität. Oberfläche im Werk von Jean-Étienne Liotard (1702-1789), München: Wilhelm Fink 2014
In der Frühen Neuzeit bestand im Kontext europäischer Kunst- und Naturalienkammern ein großes Interesse am Sammeln und Ausstellen außereuropäischer Tiere. Jedoch stellten ihre mangelhafte Konservierung und prekäre Präparation Hindernisse dar. Eine Möglichkeit Wissen über die unbekannten Tiere in Artefakten und Bildern auszustellen und in Buchform zu teilen, bestand darin sie zu zeichnen. Hierbei standen nicht nur Taxidermien Modell, sondern auch lebende Tiere. Auf Reisen oder in Menagerien sowie bei Zurschaustellungen in den Städten konnten außereuropäische Tiere studiert werden, gleichzeitig kursierten in der Frühen Neuzeit (oftmals gänzlich oder teilweise fiktive) Bilder unbekannter Tiere, die immer wieder als Vorlage genutzt wurden, wie beispielsweise Dürers Rhinozeros. Mitte des 16. Jahrhunderts war ein Großteil der außereuropäischen Säugetiere durch Abbildungen bekannt, wohingegen unbekannte Insekten, Reptilien und Amphibien erst im 17. Jahrhundert stärker in den Fokus traten.
Der vorliegende Sammelband geht von der Feststellung aus, dass in kunsthistorischen Analysen von Tierdarstellungen der Frühen Neuzeit sowie in Studien, die sich im Feld der Human-Animal Studies verorten, insbesondere domestizierte Tiere behandelt werden. Repräsentationen von "vor allem wegen ihrer Fremdartigkeit und mutmaßlichen Wildheit herausfordernde[n] Tiere[n]" (13) seien bislang wenig beachtet worden, so Robert Bauernfeind in der Einleitung. Diese als exotische Tiere kategorisierten Wesen werden vom Autor anhand ihrer Relation zum Menschen definiert: Es handelt sich dabei um Tiere, die "kein Bestandteil der eigenen Erfahrungsräume waren, mit denen [...] kein vertrauter Umgang in bestimmten Traditionen etabliert war, sondern Umgangsformen erst gefunden werden mussten" (14). Die fünf versammelten Beiträge gehen aus einem Workshop hervor, der 2017 an der Universität Augsburg stattgefunden hat.
Ausgehend von Pierre Belons 1555 veröffentlichtem siebenbändigen Vogeltraktat L'Histoire de la nature des oyseaux, avec leurs descriptions et naifs portraicts retirez du naturel widmet sich Christine Kleiter Rezeptionsweisen des Tukans in wissenschaftlichen Netzwerken. Zu Belons Zeiten war lediglich der Schnabel des Tukans in Europa bekannt. Die Autorin zeigt, wie die Materialität des Präparats und eine Beschreibung seiner Qualitäten als Sammlungsobjekt entscheidenden Einfluss auf Belons Ausführungen hatten. Mit weiteren nach Europa gelangenden Präparaten, beispielsweise durch André Thevet (1516-1592), vervollständigte sich das Wissen über den Tukan. Wie Kleiter aufzeigt, dienten Belons Instruktionen für eine erfolgreiche Vogelpräparation der Verwertung des Tieres als Sammlungsobjekt und beeinflussten zahlreiche wissenschaftliche Illustrationen. Das Beispiel des Tukans zeigt, wie Parzellierung und Konservierung in der Frühen Neuzeit ein Tier zu einem Wissensobjekt machen und seinen Status als Sammlungsobjekt bestimmen.
Der kenntnisreiche Aufsatz von Anna Boroffka setzt sich mit Aneignungsstrategien exotischer Tiere im Codex Florentinus aus dem Jahr 1577 auseinander. Der Franziskaner Bernardino de Sahagún (1499-1590) verfasste die Naturgeschichte Mexikos vor dem Hintergrund missionarischer Bekehrungsbemühungen. Sein Ziel war es hierbei, Zuschreibungen einer göttlichen Wirkmacht einzelner Lebewesen seitens der indigenen Bevölkerung zu korrigieren. Für sein zwölfbändiges Werk verlagerte Sahagún die mittelalterliche Tradition der Universalgeschichte in den kolonialen Kontext, auch unter Berücksichtigung mündlicher Überlieferungen und indigener Zeichnungen. Anhand der Zeichnungen arbeitet Boroffka den Stellenwert der von den Europäern nach Mexiko importierten Pferden heraus. Sie kommt zu dem Schluss, dass die Korrelation von Spaniern, Pferden und der indigenen Kriegerkaste als Methode der Fremdheitsbewältigung gelesen werden kann, jedoch auch als gemeinschaftliches Unterfangen der Kolonisatoren und Indigenen, die exotischen Tiere in die bestehende Weltsicht zu integrieren. Dies kontrastiert mit ebenfalls transkulturellen Aneignungs-Strategien Sahagúns, dessen Entwurf einer christliche Schöpfungsordnung beispielsweise die gefiederte Schlange Quetzalcoatl integriert, die ursprünglich sowohl gefährliche Schlange als auch Gottheit ist.
Darstellungen von Kamelen und Dromedaren verweisen in der europäischen Kunst der Frühen Neuzeit generell auf das Morgenland. Ausgehend von dieser Beobachtung widmet sich Ivo Rabands Beitrag Kamelen, die in den Prozessionen Erzherzogs Ernst von Österreich im Winter 1593/94 und im Sommer 1594 mitliefen. Wurden Kamele und Dromedare im Allgemeinen vor allem für die Erdteilallegorie der Asia verwendet, stehen sie hier - so die These des Autors - für kriegerische Erfolge, merkantile Erfolgsversprechen und imperiale Machtansprüche. Bereits Plinius Historia Naturalis beschreibt Kamele als Lasttiere. Dies harmoniert mit Georg Langs Darstellung der Ankunft des Herzogs in Nürnberg, die die Tiere als Träger von Truhen zeigt (im Gegensatz zu einem anonymen Druck der lediglich mit Federn und Kopfputz geschmückten Kamele in Brüssel). Wie der Autor aufzeigt, finden sich Bilder von Kamelen mit ihren Treibern bereits in Conrad Gessners Historia Animalium von 1560. Den Höhepunkt bildet schließlich der Einzug in Antwerpen 1594, in dem die Tiere Teil der vier Erdteilallegorien sind. Anhand dieser Bedeutungszusammenhänge macht Raband deutlich, dass Kamele und Dromedare in der Frühen Neuzeit vielschichtige Konnotationen implizierten und auch im Kontext von Machtdemonstrationen verstanden werden können.
Im Zentrum der Analyse von Maurice Saß steht ein Pokal aus Rhinozeros-Horn, der Mitte des 17. Jahrhunderts entstanden ist. Ausgehend von der Ikonografie der Schnitzereien untersucht Saß die Bedeutungsebenen des Materials, um "der Bildgeschichte des Nashorns eine Geschichte seines Materials an die Seite zu stellen" (97). In der bisherigen Forschung wurden die exotischen geschnitzten Motive mit der Heimat des Rhinozeros erklärt. Saß zeigt hingegen auf, dass das ikonografische Programm des Pokals sowohl die materielle Besonderheit des tierischen Horns reflektiert als auch naturhistorisches Wissen und zeitgenössische Legenden vermittelt. Anhand der dargestellten Verflechtungen zwischen Trägermaterial und Bildprogramm kontextualisiert Saß den Pokal neu und deutet das Wissen über das außereuropäische Tier und seine Ikonografie gezielter als bisherige Analysen.
Robert Bauernfeinds Beitrag untersucht die Vogelspinne und die Abgottschlange im Typenportrait eines Tapuya-Mannes von Albert Eckhout (1610-1665) im Zusammenhang mit Darstellungen hierarchisch organisierter Bevölkerungsgruppen in Brasilien. Als Attribute tragen die Kriechtiere nicht nur ikonografische Bedeutungen, sondern vermitteln auch zeitgenössisches naturhistorisches Wissen (das auch in weiteren Zeichnungen brasilianischer Flora und Fauna von Albert Eckhout, Willem Piso (1611-1678) und Zacharias Wagener (1614-1668) eine Rolle spielt). Während die Abgottschlange als Jagdobjekt und Nahrungsmittel in naturhistorischen Schriften Erwähnung findet, ist die Vogelspinne im Europa des 17. Jahrhundert in naturhistorischen Schriften, Reiseberichten und Sammlungsbeschreibungen präsent, die sie weniger als gefährliches Tier denn als curiosita schildern. Anhand der dargestellten Kontexte kann Bauernfeind überzeugend darstellen, dass die in der Forschungsliteratur zu dem Typenporträt des Tapuya-Mannes als Alteritätsmarker gelesenen Kriechtiere eher als Wissensobjekte fungieren.
Nach der Lektüre der Aufsätze fallen besonders die ganz unterschiedlichen Relationen zu den außereuropäischen Tieren und die Vielfalt an Begegnungsorten auf. Aus Sicht der Cultural Human-Animal Studies hätte die Frage nach den Relationen zwischen Künstlern/Betrachtenden und den exotischen Tieren, die ja in der Einleitung als besonders herausfordernd beschrieben wird, eine stärkere Beachtung finden können. Mit größerem Nachdruck hätte auch die jeweilige Wirkmacht der Tiere verfolgt werden können, so dass deren Klassifizierung als exotisch und die damit vorgegebene anthropozentrische Perspektive ein stärkeres Gegengewicht bekommen hätte. Diese Ergänzungswünsche schmälern jedoch keineswegs den Eindruck, dass die Artikel den frühneuzeitlichen Umgang mit dem außereuropäischen Tier in der europäischen Kunst, Bild- und Sammlungskultur erhellen und einige Forschungslücken schließen.
Silke Förschler