Dirk Witt / Johann Knigge-Blietschau / Christian Sieber (Hgg.): Leitfaden Referendariat im Fach Gesellschaftswissenschaften (= Gesellschaftswissenschaften unterrichten), Frankfurt/M.: Wochenschau-Verlag 2022, 311 S., 32 s/w-Abb., 20 Tbl., ISBN 978-3-7344-1317-9, EUR 22,90
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Das Fach Gesellschaftslehre ist nicht neu, es wird mit unterschiedlichen Bezeichnungen in vielen Bundesländern teilweise schon seit Jahrzehnten unterrichtet, aber eine universitäre Ausbildung von Gesellschaftskundelehrer:innenn gibt es bisher nicht und auch in den Studienseminaren wird in der Regel in den einzelnen Fächern ausgebildet. Das bedeutet, dass angehende Lehrer:innen vor der großen Herausforderung stehen, ein Fach zu unterrichten, dass sie nicht studiert haben. [1] Der vorliegende Band versteht sich als Leitfaden für die zweite Ausbildungsphase und soll zur Unterstützung für den Einstieg in das neue Fach dienen. Das Werk ist als "Arbeitsbuch" konzipiert, das Lehrkräfte in der Praxis je nach Bedarf zur Hand nehmen können.
Der Leitfaden gliedert sich in dreizehn Kapitel. Beginnend mit einem Kapitel, das einem Einblick in die Grundlagen des Faches Gesellschaftswissenschaften gibt, werden in den weiteren Kapiteln zentrale Aspekte der Unterrichtsplanung und -durchführung, wie etwa die didaktischen Prinzipien, Medien, Aufgaben oder Diagnostik, thematisiert. Den verschiedenen Fächern bzw. Dimensionen, die im Fach Gesellschaftslehre integriert werden (Geschichte, Politik, Geographie und Ökonomie) [2], ist jeweils ein eigener Abschnitt gewidmet, in dem der fachdidaktische Kern der jeweiligen Disziplin dargestellt wird. Am Ende des Bandes wird abschließend sehr praxisorientiert auf die konkrete Unterrichtsplanung sowie auf den schriftlichen Entwurf für Unterrichtsbesuche eingegangen und es werden praxistaugliche Tipps zur Vorbereitung auf Hospitationen und Lehrproben gegeben. Mit den einzelnen Beiträgen gibt der Band Lesenden in einem breiten und komplexen Handlungsfeld viele Einblicke in unterschiedliche zentrale Aspekte der Planung und Durchführung des Unterrichts im Fach Gesellschaftswissenschaften. Viele Tipps und praktische Ratschläge gehören dazu.
Neben der Zielsetzung, einen praxistauglichen Leitfaden zu präsentieren, haben die Herausgeber auch die Absicht, mit dem Band ganz grundsätzlich "einen Beitrag zur Weiterentwicklung des Fachs" (18) zu leisten. Als Kern des Schulfaches Gesellschaftswissenschaften definieren sie die Integration verschiedener Fächer (Geschichte, Politik, Geographie, Wirtschaft) und die Orientierung an Leitfragen bzw. Schlüsselproblemen sowie das Ziel, Lernenden Orientierung in der gegenwärtigen und auch zukünftigen Gesellschaft zu geben. Die Leitfragenorientierung ist damit gewissermaßen das zentrale didaktische Prinzip, weil Leitfragen, die sich auf komplexe Probleme wie Fragen der Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit oder Krieg und Frieden beziehen, geeignet sind, um unterschiedliche Perspektiven in einem komplexen Unterrichtssetting zu bündeln und für die Beantwortung fruchtbar zu machen. Die Perspektiven der einzelnen Fächer sollen also nicht einfach additiv im Unterricht Berücksichtigung finden, dem Band liegt vielmehr ein integratives Verständnis zu Grunde, das theoretisch aber abgesehen von der Leitfragenorientierung nur sehr rudimentär begründet wird.
Das Bewährungsfeld für angehende Lehrer:innen des Faches, liegt nun auch nicht zuletzt darin, verschiedene Perspektiven, die aus unterschiedlichen Bezugsfächern bzw. Disziplinen stammen, im Unterricht integrativ zusammenzuführen und damit Lerngegenstände für Schüler:innen zu erschließen. Unterricht im Fach Gesellschaftswissenschaften ist komplex und herausfordernd. Leider gelingt es in dem Band allerdings höchstens in Ansätzen, gerade diesen zentralen integrativen Aspekt der Planung und Durchführung im Fach Gesellschaftswissenschaften für Berufsanfänger theoretisch und praktisch wirklich greifbar zu machen. Zwar wird als Unterstützung zur Entwicklung integrativer Lerneinheiten ein Planungsmodell vorgestellt, das an einem Beispiel erläutert und später bei den theoretischen Reflexionen immer wieder aufgegriffen wird, aber unglücklicherweise ist das Modell insgesamt zu allgemein angelegt und die Integration der verschiedenen Perspektiven wird bei der Planung zu oberflächlich behandelt. Dabei hilft leider auch das Beispiel einer Unterrichtseinheit zum Thema Migration für eine 9. bzw. 10. Klasse für Berufsanfänger kaum, weil die Beschreibung der einzelnen Sequenzen zu unkonkret bleibt, das verwendete Material nicht einsehbar ist und auch die Begründungen der Planungsentscheidungen nicht offengelegt werden. Zumindest exemplarisch hätte man hier konkretere Einblicke in Planungsentscheidungen ermöglichen können, um der Zielgruppe ein besseres Verständnis zu ermöglichen.
Im Kapitel zum didaktischen Kern der Bezugsfächer zeigt sich, ähnlich wie im Kapitel zu den fachspezifischen Medien, ein weiteres Manko des Bandes. Er liefert sehr viele Informationen, Modelle und Definitionen, wodurch es so wirkt, als wolle man alle wichtigen didaktischen und methodischen Basics des Faches präsentieren, um den Referendar:innen eine möglichst breite Grundlage zu bieten. Leider führt dies aber dazu, dass der Text an vielen Stellen sehr oberflächlich bleibt. Beispiele hierfür wären etwa der Abschnitt "Spiele als Mittel historischen Lernens" (51), wo es ohne weitere didaktische oder methodische Erläuterung einfach heißt, "Rollenspiele [können] die Möglichkeit zum empathischen Nachempfinden und zum vertieften Verständnis historischer Situationen bieten", oder zu den Karikaturen, wo schlicht zu lesen ist, "Bilder und Karikaturen haben in allen Unterrichtsphasen ihren berechtigten Platz. Mehr noch: Sie sollten viel häufiger im Zentrum des Unterrichts stehen" (193). Für Berufsanfänger dürften diese knappen Hinweise leider wenig hilfreich und erhellend sein.
Dem Band hätte hinsichtlich des praktischen Aspekts eine stärkere Fokussierung und eine Erhöhung der Anschaulichkeit gutgetan. Bezüglich der didaktischen Weiterentwicklung des Faches hingegen wäre eine stärker theoretisch fundierte Begründung des Kerns des Faches von Nöten gewesen, was aber allgemein ein Desiderat darstellt. [3] Beides in einem Band für die anvisierten Zielgruppe zu vereinen, stellt aber auch eine erhebliche Herausforderung dar.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Matthias Busch / Leif Mönter: Integrationsfach "Gesellschaftslehre" - Zwischen transdisziplinärer Welterschließung und Deprofessionalisierung?, in: Gesellschaft im Wandel. Neue Aufgaben für die politische Bildung und ihre Didaktik, hgg. von Mathias Lotz / Kerstin Pohl, Frankfurt / Main 2019, 133-140.
[2] Dimensionen wie Recht, Philosophie oder Religion werden im Band nur am Rande berücksichtigt.
[3] Matthias Busch / Michel Dittgen / Leif Mönter: Das Integrationsfach Gesellschaftslehre aus der Lehrendenperspektive. Professionalisierung, Fachkultur und didaktische Entwicklungspotenziale. Trierer Quellen- und Studienhefte zur historisch-politischen Bildung 4., Trier 2022, 9.
Steffen Barth