Arnd Reitemeier (Hg.): Klosterlandschaft Niedersachsen (= Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen; Bd. 63), Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 2021, 606 S., 75 Farb-, 11 s/w-Abb., ISBN 978-3-7395-1263-1, EUR 39,00
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Hannes Engl: Rekonfigurationen regionaler Ordnungen. Die religiösen Gemeinschaften in Lothringen und das Papsttum (ca. 930-1130), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2023
Paul C. Dilley: Monasteries and the Care of Souls in Late Antique Christianity. Cognition and Discipline, Cambridge: Cambridge University Press 2017
Steven Vanderputten / Tjamke Snijders / Jay Diehl (eds.): Medieval Liège at the Crossroads of Europe. Monastic Society and Culture, 1000-1300, Turnhout: Brepols 2017
Christiane Ulrike Kurz: "Ubi et est habitatio sororum et mansio fratrum" . Doppelklöster und ähnliche Klostergemeinschaften im mittelalterlichen Österreich (Diözese Passau in den Ausdehnungen des 13. Jahrhunderts), Kiel: Solivagus Verlag 2015
Gert Melville: Die Welt der mittelalterlichen Klöster. Geschichte und Lebensformen, München: C.H.Beck 2012
Birgitta von Schweden: Werke I + II. Aus dem Lateinischen übersetzt von Apollonia Buchinger OSsS. Mit einer Einleitung von Wilhelm Liebhart, St. Ottilien: EOS Verlag 2021
Johannes Mötsch (Bearb.): Das Benediktinerinnenkloster Rohr. Regesten zur Klostergeschichte, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2020
Georg Mölich / Norbert Nussbaum / Harald Wolter-von dem Knesebeck (Hgg.): Die Zisterzienser im Mittelalter, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2017
Niedersachsen ist ein Raum, dessen Kultur entscheidend durch Klöster und Stifte geprägt wurde, deren Errichtung weniger von außen durch kirchliches Wanderungs- oder Reformbestreben, als von innen ausging. Der Adel trat als bedeutender Förderer auf und begann bereits früh, klösterliche Gemeinschaften zu begründen. Die Motivation der Stifter lag in der Memoria, dem Gedenken und der Fürsorge für das Heil der Seele der Verstorbenen, begründet, durchaus aber auch in der Schaffung von Orten mit religiös-spiritueller und christlich-sozialer Identifikation. Ökonomische und raumbildende Aspekte mit den Pfadabhängigkeiten dürfen nicht unerwähnt bleiben.
2006 begannen Vorarbeiten zur Erstellung eines 'Klosterbuchs' für die heutigen Bundesländer Niedersachsen und die Freie Hansestadt Bremen, in dem von der Christianisierung bis zum Ende des Heiligen Römischen Reichs Klöster und Stifte inventarisiert werden sollten. Als Vorbild galt das in zwei Bänden 1992 erschienene 'Westfälische Klosterbuch'. Für Niedersachsen und Bremen lassen sich 364 geistliche Einrichtungen belegen. Zahlenmäßig überwiegen die Frauenkonvente.
Das 2012 vorgelegte gedruckte 'Niedersächsische Klosterbuch' war in der ersten Auflage innerhalb eines Jahres ausverkauft. Im Internet stellt das Institut für Historische Landeskunde (Göttingen) seit 2017 zusätzlich, interaktiv nutzbar, die 'Niedersächsische Klosterkarte' bereit. Die Präsentation umfasst eine Karte, die Datenbank mit Suchfunktion und Artikel zu jeder der mehr als 360 monastischen Einrichtungen auf dem Gebiet des heutigen Niedersachsen und Bremen. [1]
Knapp ein Jahrzehnt nach Erscheinen des Klosterbuchs wurden mit einer wissenschaftlichen Tagung (6.-8.2.2020) im Klosterhotel Wöltingerode der Stand der Forschung einerseits, Perspektiven zur 'Klosterlandschaft Niedersachsen' andererseits ausgelotet. Die Tagungsbeiträge wurden in dem hier zu rezensierenden Band dokumentiert.
Auffallend ist, dass in zahlreichen Beiträgen dem Klosterbuch von 2012 mit Verweis auf darin fehlende Inhalte und Aspekte kritisch begegnet wird, obwohl mit diesem erstmals die systematische Erfassung von Klöstern und Stiften gelungen ist.
So kritisiert der Tagungsbandherausgeber Arnd Reitemeier die 'lutherische Kirchengeschichtsschreibung', habe diese bislang doch nur wenig Initiative zur Analyse der Stifte und Klöster der frühen Neuzeit gezeigt. Und der Wirtschafts- und Sozialgeschichte hält er nicht ganz zu Unrecht vor, sie habe die geradezu symbiotische Beziehung vieler Zisterzen und städtischer Klöster und Konvente weniger umfassend als möglich beachtet.
Am Begriff "Klosterlandschaft" arbeiteten sich diverse Tagungsteilnehmer ab. Während Hedwig Röckelein unter dem Titel: "Geistliche Landschaften in Niedersachsen", 'Landschaft' als ein von sozialen, politischen und kulturellen Elementen gebildetes Konstrukt sieht, betont die angelsächsische Forschung darin Zusammenhänge mit der materiellen Umwelt und der Nutzung des Landes. Hingegen lehnen Jörg Richter, der die Notwendigkeit bauhistorischer Untersuchungen betont und Thorsten Albrecht, der auf unzureichende archäologische Ausgrabungen und Sondierungen verweist, den Begriff 'Klosterlandschaft' als wenig hilfreich ab, da es aus Sicht der Kunstgeschichte wie der Denkmalpflege an Informationen zur Konstituierung solcher Landschaften fehle. Albrecht kritisiert zudem, dass im Klosterbuch von 2012 viele Autoren für die Beschreibung der Bau- und Ausstattungsgeschichte auf Angaben des Dehio (erschienen um 1900), primär für das Mittelalter, zurückgegriffen und zudem die Frühneuzeit kaum betrachtet hätten.
Martin Blaich, der die Sichtweise der Archäologie im Tagungsband präsentiert, bescheinigt fehlende archäologische Qualifikationen von am Klosterbuch beteiligten Historiker/innen und Archivare/innen. In seinem Beitrag unterscheidet er den archäologisch genutzten 'Landschaftsbegriff' von dem der Kulturwissenschaften und schlägt vor, dass es zielführender sei, von 'klösterlichen Landschaften' zu sprechen, weil "die Konvente in substanziellem Maß auf die Landschaften im Sinne der Archäologie rekurrierten und diese beeinflussten."
Hans-Georg Aschoff stellt heraus, dass die Einführung des lutherischen Glaubens in Norddeutschland keineswegs zur vollständigen Abschaffung altgläubiger Klöster führte - zum Zeitpunkt der Säkularisation war die Klosterlandschaft sogar prinzipiell lebensfähig. Nicht abgedruckt wurde der Vortragstext von Wolfgang Huschner, der sich mit der Verbindung zwischen der Universität Rostock und der franziskanischen Ordensprovinz Saxonia beschäftigte und zu dem Schluss kam, dass die Klöster tragende Säulen der Universität gewesen seien.
Jörg Bölling (Wallfahrten, Reliquien), Katharina Mersch (gelehrte Nonnen und Mönche), Thomas Haye (Buchbestände, Bibliotheken), Kerstin Schnabel (Bestände aus Klosterbibliotheken in der Herzog-August-Bibliothek) und Gudrun Gleba (Rechnung- bzw. Wirtschaftsbücher der Klöster) konzentrieren sich in ihren Beiträgen auf spezielle Quellen und daraus ableitbare Verflechtungen, wobei Haye sein Interesse auf die intellektuellen Diskurse innerhalb der Klöster richtet und deren Bibliotheksbestände zum Sprechen bringt.
Die soziale Zusammensetzung der Konvente, deren Netzwerke sowie weitere soziale Kontexte nehmen Thomas Vogtherr (Konvent und Adel), Wolfgang Petke (Stifterfamilie am Beispiel des Zisterzienserinnenklosters Wöltingerode), Christian Hoffmann (landsässiger Adel in der frühen Neuzeit), Wolfgang Brandis (Pröpste in den Kanonissenstiften), Helmut Flachenecker (Verhältnisse zwischen Bischöfen, Klöstern, Stiftern), Jörg Voigt (Verhältnis zwischen der Kurie und den Klöstern) - dieser Vortag ist leider nicht abgedruckt -, und Karsten Igel, der mit seinem Beitrag über Beginenkonvente ein Forschungsdesiderat zu unregulierten Frauengemeinschaften in Städten anging, in den Blick.
Wirtschaftlichen Fragestellungen widmen sich Gudrun Pischke (Klöster und Stifte im Landesausbau der welfischen Territorien), Gabriel Zeilinger (Bedeutung der Stadthöfe), Werner Rösener (Konversen und Lohnarbeiter bei den Zisterziensern), Henning Steinführer (Konvente der Bettelorden - Ökonomie der Armut), Gerald Schwedler (Finanzierung der Klosterkirchen) und Hans Otte (Auflösung und Nachleben der Klöster in den welfischen Territorien).
Den Einzelbeiträgen schließt sich das Autorenverzeichnis an. Vergeblich sucht man ein Sach- und Personenregister.
Die Tagung und der vorliegende Sammelband wurden durch das Institut für Historische Landesforschung der Universität Göttingen und die Klosterkammer Hannover realisiert, finanzielle Unterstützung gewährten das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur, die Klosterkammer Hannover sowie die Stiftung Braunschweiger Kulturbesitz. Der Tagungsband ist bedeutsam für die wissenschaftliche Erforschung der niedersächsischen Territorial-, Ordens- und Klostergeschichte. Zugleich zeigt er aber auch Stärken und Schwächen des vor rund zehn Jahren erschienenen 'Niedersächsischen Klosterbuchs' auf (so die Desiderate bei der Archäologie, der kunstgeschichtlichen Forschung der Neuzeit, das fehlende Register der Denkmalpflege sowie die geringe Beachtung von Frömmigkeits-, Glaubens- und Liturgieentwicklungen).
Als Fazit ist allen Beteiligten ein großes Lob für die Realisierung dieses Projektes auszusprechen, das viel Beachtung in der einschlägigen Forschung finden möge.
Anmerkung:
[1] http://www.landesgeschichte.uni-goettingen.de/kloester
Klaus Wollenberg