Maximilian Lanzinner: Bayern - Heiliges Römisches Reich - Friedensstiftung. Ausgewählte Abhandlungen zur frühneuzeitlichen Geschichte. Herausgegeben von Michael Rohrschneider und Arno Strohmeyer (= Schriftenreihe zur Neueren Geschichte; Bd. 42), Münster: Aschendorff 2023, VIII + 443 S., ISBN 978-3-402-14776-4, EUR 69,00
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Den drei im Buchtitel genannten Themenfeldern sind jene 16 Aufsätze Maximilian Lanzinners (darunter sein Erstling von 1985) zuzuordnen, die die Herausgeber für einen Wiederabdruck ausgewählt haben, und tatsächlich sind Lanzinners gewichtigste Arbeiten in diesem Dreieck anzusiedeln. Es lohnen aber auch Blicke in das Publikationsverzeichnis auf den letzten zehn Seiten. Man merkt und staunt, was da alles unmöglich erneut abgedruckt werden konnte. Beiträge zu Katalogen und Lexika haben die Herausgeber, aus nachvollziehbaren Gründen, von vornherein vom Wiederabdruck ausgeschlossen: also beispielsweise auch ein kleines Juwel, das 2000 in einem Ausstellungskatalog auf gerade einmal zwölf Seiten unter dem unbescheiden klingenden Titel "Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation" tatsächlich dieses politische System erklärte, und zwar in seinen mittelalterlichen wie neuzeitlichen Entwicklungsstadien. Wir stoßen aber auch auf eine Reihe von Studien, die das moderne Bayern thematisieren, etwa "Bayern im Wiederaufbau" oder, spezieller, bayerische "Schulpolitik nach 1945" ins Visier nehmen, von der "Kultur- und Bildungspolitik in Bayern 1945-1968" oder auch ganz verschiedenen Aspekten der modernen Geschichte Passaus (sogar in der allerneuesten Zeit: "Aufschwung und neue Zentralität 1972-1995") handeln. Und es überraschen uns im Publikationsverzeichnis mehrere Schulbücher.
Um den lebensgeschichtlichen Hintergrund wenigstens anzudeuten: Maximilian Lanzinner war von 1976 bis 1978 Studienreferendar, unterrichtete danach bis 1982 als Studienrat. Der gelernte Lehrer und Schulbuchautor bemühte sich auch in seinem überquellenden wissenschaftlichen Œuvre erfolgreich um eine einfache, klare Sprache. Und er wusste, wie jeder gute Pädagoge, dass die Anziehungskraft der Geschichte darauf beruht, uns handelnde Menschen aus Fleisch und Blut vorzuführen. In einem erstmals 2009 publizierten Aufsatz über "den Münchner Renaissancehof unter Herzog Albrecht V." lesen wir: "Wählt man eine Sicht von wenigstens mittlerer Dauer, erkennt man die neuen, von Renaissance und Humanismus geprägten Wissensbestände, die seit dem 15. Jahrhundert [...] die Praktiken des Herrschens" veränderten. "Aber [...] es waren wie stets in der Geschichte Personen, die dies handelnd bewirkten: die gelehrten Räte" (62).
Auch Lanzinners Interesse an Bayerns Neuester Geschichte lässt sich lebensgeschichtlich herleiten: Betreuer seiner 1974 begonnenen Regensburger Dissertation über "die Entstehung der Zentralbehörden in Bayern 1511-1598" war Dieter Albrecht, ein in Fachkreisen hoch angesehener Spezialist für die Geschichte Bayerns vom 16. bis weit ins 20. Jahrhundert hinein. Albrecht war ferner ein fleißiger Editor, betreute beispielsweise jahrzehntelang die "Briefe und Akten zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges". Der junge Studienrat Lanzinner machte es seinem Mentor nach, wechselte 1982 vom Gymnasium zur Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, um sich der Edition der Akten des Reichstags von 1570 zu widmen. Diesem Quellenwerk erwuchs Lanzinners Habilitationsschrift über "Friedenssicherung und politische Einheit des Reiches unter Kaiser Maximilian II. (1564-1576)", die er 1990 fertigstellen konnte, im Folgejahr wurde er als Professor für Neuere Geschichte und Bayerische Landesgeschichte an die Universität Passau berufen.
Lanzinner ist kein Pionier einer Neubewertung des Alten Reiches, anders als (an vorderster Front) der neun Jahre ältere Volker Press, von dessen frühen Aufsätzen bereits seit der Mitte der 1970er Jahre wichtige Impulse ausgingen; aber Maximilian Lanzinner gehört zu jenem Grüppchen von Historikern, die besagter Neubewertung in den beiden die Jahrtausendscheide flankierenden Jahrzehnten zur seitdem nicht mehr bestrittenen wissenschaftlichen Hegemonie verholfen haben. Aufschlussreich ist schon ein Aufsatz von 1993 über "Passau als geistliches Fürstentum am Beginn der Neuzeit". An sich spricht hier noch der Landeshistoriker zu uns, und doch beginnt die Studie mit diesem gleichsam programmatischen Bekenntnis zur Reichsgeschichte: Traditionell habe man "das Reich als politisches Chaos gebrandmarkt", indes habe "die Geschichte Deutschlands von 1871 bis 1945 [...] gelehrt, das Reich nicht allein am Maßstab der Zentralisierung und der Ausübung von Macht zu messen. Die neuere Geschichtsschreibung macht im Gegenteil den historischen Sinn der politischen und kulturellen Dezentralität Deutschlands in der frühen Neuzeit Stück für Stück sichtbar" (17).
Es hat seine Berechtigung, dass acht der für einen Wiederabdruck ausgewählten Aufsätze das politische System des Reiches analysieren. Lanzinner lernte dieses Reich als junger Historiker in jenem besonders glücklichen Stadium kennen, da der Erste Religionsfrieden von 1555 alles in allem befriedend wirkte. Die konfliktkanalisierende, ja, konsensstiftende Kraft des Reichsverbands veranschlagen Lanzinners Arbeiten - wohl auch aus diesem Grund - sehr hoch. Um das nicht erst seit 1618 zerstörerische konfessionelle Konfliktpotenzial wusste er natürlich, aber er rückte es so wenig ins Zentrum seiner Aufmerksamkeit wie das seit den 1630er Jahren virulente hierarchische Konfliktpotenzial, das standespolitische Ringen zwischen den um ihre "Präeminenz" bangenden Kurfürsten und den auf ihre "Parification" drängenden Fürsten. Lieber als solche Konflikte strich er die Integrationsleistung des Reiches und insbesondere des Reichstags heraus, er ist sicher einer der besten Kenner dieser zentralen Reichsversammlung, die "für einen ständigen Politikausgleich [...] innerhalb des Reichs" gesorgt habe (193). Zu Recht wurden fünf Aufsätze ausgewählt, die die Arbeit des Reichstags beleuchten, bezeichnenderweise blickt Lanzinner stets von handelnden Personen (etwa Karl V., oder dem Mainzer Erzkanzler, oder jenem hessischen Gesandten David Lauck, dessen Diarium vom geschäftigen Treiben und der drangvollen Enge am Ort des Reichstags von 1582, Augsburg, kündet) her auf diese Tagungsform.
Dass sich Lanzinners spätere Aufsätze verstärkt der Historischen Friedens- und Konfliktforschung zuwandten, hängt damit zusammen, dass er 2001 auf den Bonner Frühneuzeitlehrstuhl wechselte und zwei Jahre danach von Konrad Repgen die Leitung der eng mit jenem Lehrstuhl verbundenen "Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V." übernahm. Ihr zentrales Anliegen war die Edition der "Acta Pacis Westphalicae"; unter Lanzinners Leitung erschienen 15 in den Rezensionen hoch gelobte APW-Bände. Der letzte von Maximilian Lanzinner verfasste, 2014 publizierte Aufsatz gibt einen Überblick über das Editionsprojekt, streicht dessen (in der Gründungsphase avantgardistischen) internationalen Zuschnitt heraus und bekennt offen, "dass das Ringen um das Reichsreligionsrecht und somit die Ebene des Reichs noch wenig zum Tragen kommt" (415); das könnte manche Historiker dazu verleitet haben, den 1648 beendeten Krieg zu einsinnig als europäischen Machtkampf zu interpretieren. Der im Hinblick auf den 75. Geburtstag Maximilian Lanzinners zusammengestellte Aufsatzband kündet von einer imposanten wissenschaftlichen Lebensleistung.
Axel Gotthard