Rezension über:

Andrea Sommerlechner / Herwig Weigl (Hgg.): Innocenz III., Honorius III. und ihre Briefe. Die Edition der päpstlichen Kanzleiregister im Kontext der Geschichtsforschung (= Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung; Bd. 79), Wien: Böhlau 2023, 273 S., ISBN 978-3-205-21769-5, EUR 50,00
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Rezension von:
Matthias Thumser
Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Matthias Thumser: Rezension von: Andrea Sommerlechner / Herwig Weigl (Hgg.): Innocenz III., Honorius III. und ihre Briefe. Die Edition der päpstlichen Kanzleiregister im Kontext der Geschichtsforschung, Wien: Böhlau 2023, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 3 [15.03.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/03/38294.html


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Andrea Sommerlechner / Herwig Weigl (Hgg.): Innocenz III., Honorius III. und ihre Briefe

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Die Anfänge des Vorhabens, die im Vatikanischen Archiv liegenden Register Papst Innocenz' III. (1198-1216) kritisch zu edieren, waren schwierig, wie aus dem einführenden Beitrag von Andrea Sommerlechner zur Geschichte dieses Projekts hervorgeht. Angeregt wurde es in den frühen 1950er Jahren von Leo Santifaller. Am Historischen Institut beim Österreichischen Kulturinstitut in Rom setzten es Othmar Hageneder und Anton Haidacher in die Realität um. Bis 1983 waren die ersten beiden Pontifikatsjahre abschließend bearbeitet, dann drohte das Projekt zu versickern. Doch erhielt es einen neuen Aufschwung und die notwendige Professionalisierung, als 1988 Sommerlechner als ständige Mitarbeiterin eingestellt wurde. Seit 2000 ist das Projekt am Institut für Österreichische Geschichtsforschung in Wien angesiedelt. Andrea Sommerlechner und ihre Teamkollegen Herwig Weigl, Christoph Egger und Rainer Murauer publizierten von nun an zügig und im Abstand von jeweils wenigen Jahren die weiteren Bände, elf an der Zahl. Othmar Hageneder blieb bis zu seinem Tod 2020 ständiger Begleiter. Mittlerweile steht die Ausgabe unmittelbar vor ihrem Abschluss. [1] Dass ein Editionsprojekt im Laufe einer solch langen Zeit Modifikationen erlebt, versteht sich fast schon von selbst. So wurde der kommentierende Sachapparat um einiges umfangreicher. Auch begreift man die Papstregister Innocenz' III. heute nicht mehr allein als Lieferanten von Informationen, sondern als ein eigenständiges Werk.

Der Großteil der Beiträge in dem Aufsatzband, der auf eine im Herbst 2021 in Wien veranstaltete Tagung zurückgeht, befasst sich mit Innocenz III., liefert doch die Edition seiner Register nun das Material für Fragestellungen verschiedenster Art. Die Aufsätze lassen die schier unendlichen Möglichkeiten erahnen, diese Ausgabe mit Gewinn heranzuziehen. So widmet sich David L. d'Avray der schon von Hageneder aufgeworfenen Frage, wie das mittelalterliche Papsttum die Christenheit ohne einen entsprechenden Verwaltungsapparat regieren konnte. Sodann befasst sich Patrick Zutshi mit den Prokuratoren an der Kurie Innocenz' III. Christoph Egger geht der Frage nach, inwieweit dessen Briefe persönliche Züge aufzeigen. Das rechtliche Wirken dieses Papstes ist Gegenstand des Beitrags von Stefan Schima. Juristische Fragen im Pontifikat Innocenz' III. betreffen auch die Aufsätze von Anne J. Duggan, Rainer Murauer und Lotte Kéry, in denen die Revision von rechtlichen Entscheidungen der Vorgänger, die Probleme von Pfründenteilung und Pfründentausch beziehungsweise die strafrechtlichen Verfügungen des Papstes behandelt werden. Drei Autoren wenden sich bestimmten Räumen der christianitas zu, Chris Schabel dem lateinischen Osten, Kristjan Toomaspoeg dem Königreich Sizilien, Damian Smith der Iberischen Halbinsel. Digitale Methoden bei der Beschäftigung mit Papsturkunden behandelt Georg Vogeler. Jörg Voigt schildert die Erschließung der vatikanischen Registerserien in Editionen und Regesten von den Bullarien des 18. Jahrhunderts bis hin zum "Repertorium Germanicum".

Noch einmal zurück zum Beitrag von Andrea Sommerlechner. In dessen weiterem Verlauf entwickelt sie in groben Zügen einen Plan für die Edition der Register Honorius' III. (1216-1227), welche die Innocenz-Edition nach deren nunmehr bewährtem Muster fortsetzen soll. Der Umfang würde sich in einem ähnlichen Rahmen bewegen (5.144 Briefe) wie bei Innocenz III. (3.989 Briefe). Sommerlechner hält die Edition für realisierbar, wenn die Rahmenbedingungen stimmen und auch das neue Langzeitprojekt mit fest installierten Mitarbeitern institutionell verankert ist. An der Relevanz und der dringenden Notwendigkeit einer solchen Ausgabe kann überhaupt kein Zweifel bestehen. Honorius III. hat in der Wissenschaft zwar nicht den überragenden Stellenwert wie sein Vorgänger, doch war sein mit elf Jahren relativ langer Pontifikat ereignisreich, seine Handlungsweise gewiss nicht epigonenhaft. Dies zeigen neuere Studien, die sich erstmals intensiv diesem Papst zuwenden. Doch noch sind die Möglichkeiten eines wissenschaftlichen Zugriffs beschränkt, denn die Register sind im wesentlichen nur durch die Regesten des kaum seriösen Priester-Historikers Pietro Pressutti (1888/95) erschlossen [2], die wissenschaftlichen Ansprüchen wenig bis gar nicht genügen (dazu Exkurs 2 von Andreas Gottsmann). Somit ist Sommerlechner uneingeschränkt zuzustimmen, wenn sie das Desiderat auf den Punkt bringt (19): "Für eine Edition der Register Honorius' III. spricht, dass es bis dato keine gibt."

In diesem Zusammenhang sei etwas ausführlicher auf drei Beiträge des Bandes eingegangen, die sich zuallererst mit Honorius III., dem Protagonisten des nun angestrebten Projekts, auseinandersetzen.

Das achte Pontifikatsjahr Honorius' III. (1223/24) mit 546 Registereinträgen hat sich Thomas W. Smith für eine quantitative Untersuchung ausgewählt und hierzu eine Datenbank aufgebaut. Im Ergebnis kann er feststellen, dass die meisten Briefe zwischen Dezember und Mai expediert wurden, die wenigsten im August, als die Kurie zu ihrem Sommeraufenthalt in Segni war. Bei der geographischen Verteilung der Empfänger rangieren Frankreich und Italien mit großem Abstand an der Spitze, was mit besonders intensiven Kontakten erklärt wird. Unter den Empfängern finden sich am häufigsten Bischöfe, Erzbischöfe und Äbte. Auffallend ist hier, dass nur relativ wenige Briefe an weltliche Herrscher gerichtet waren. Nehmen sich diese Erkenntnisse auch nicht gerade umstürzend aus, so geben sie doch einen ersten Einblick in die Schwerpunkte der Register.

Serena Ammirati, Marco Maiorino und Paolo Merialdo stellen das an der Universität Roma Tre angesiedelte Projekt "In codice ratio" vor, das von Informatikern, Archivaren und Paläographen durchgeführt wird. Ziel ist es, die sehr homogen angelegten Register Honorius' III. digital mit Hilfe einer lernfähigen Technik maschinenlesbar zu machen. Dies erfolgte zunächst für die einzelnen Buchstaben und Abbreviaturen crowd-basiert mit Schülern einer scuola superiore, die keine paläographischen Erfahrungen haben. Darauf aufbauend, wurde eine Auswahl von 20 Blättern aus Reg. Vat. 12 von einer Paläographin korrigiert und in diesem Zuge das System trainiert. Als man dann den gesamten Registerband mit 211 Blättern unter Einsatz des hergestellten neuronalen Netzwerks maschinell transkribieren ließ, zeigten sich zwar diverse Fehler, aber das Ergebnis war insgesamt ermutigend.

Andreas Fischer widmet sich der ältesten Redaktionsstufe der Briefsammlung des Kardinals Thomas von Capua (gest. 1239), der sogenannten Primärtradition, die um 1240 entstanden sein könnte und durch die Handschrift Gaddi 116 der Biblioteca Laurenziana in Florenz repräsentiert wird. In deren Anfangsteil finden sich drei Briefe Innocenz' III. und 13 Briefe Honorius' III. Von letzteren sind sieben auch in die Papstregister eingegangen. Aus diesem Fundus hat Fischer einen Honorius-Brief an einen süditalienischen Bischof ausgewählt, der neben der Primärtradition auch in der Pariser Briefhandschrift lat. 11867 und in der Kampanischen Briefsammlung erscheint - allerdings nicht im Register. [3] Aufgrund einer tiefgreifenden Textanalyse gelangt Fischer zu der Erkenntnis, dass die ausführlichere Version der Kampanischen Briefsammlung ursprünglicher als die der Primärtradition sei und dass beide auf ein verlorenes Briefregister des Kardinals zurückgingen.

Die drei Beiträge erwecken Lust auf mehr. So steht zu hoffen, dass sich die Edition der Register Honorius' III. demnächst in die Tat umsetzen lässt und dieser Papst, der weit mehr war als nur der Nachfolger des übergroßen Innocenz' III., erst richtig bekannt wird.


Anmerkungen:

[1] Die Register Innocenz' III. Bd. 1-2, 5-15, Wien 1964-2022.

[2] Regesta Honorii papae III, hg. v. Pietro Pressutti. 2 Bde., Rom 1888/95.

[3] Die Briefsammlung des Thomas von Capua, I 5, hg. v. Matthias Thumser / Jakob Frohmann. 2011, 21-22 https://www.mgh.de/de/blog/post/online-edition-die-briefsammlung-des-thomas-von-capua-97; Die Kampanische Briefsammlung, hg. v. Susanne Tuczek (= MGH, Briefe des späteren Mittelalters; 2). Hannover 2010, 88-91 Nr. 23.

Matthias Thumser